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Landesversammlung 2008: Grußworte von Julius Franzot

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Landesversammlung 2008: Grußworte von Julius Franzot

Es liegt mir fern, die Geschichte der deutschsprachigen Minderheit in Triest auf die deutschsprachige Mehrheit in Südtirol zu übertragen, nur, sind hier alle so sicher, dass nicht eines Tages die Mehrheit zur Minderheit werden wird, wie es heutzutage schon in der Gemeinde Bozen Realität ist?

Wie Herr Etienne Andrione schon
über die Lage der französischsprechenden, ehemaligen Mehrheit im
Aostatal berichtete, gilt es, aus den Fehlern der anderen zu lernen, um
dem, nennen wir ihn so, sozialen Druck nicht zu erliegen. In Triest
kann ich mehrere Situationen erkennen, die an die Vorkommnisse im
Aostatal erinnern. Der grundlegende Unterschied ist aber, dass die
Deutschsprachigen in Triest schon immer eine Minderheit waren, seit dem
von der Freien Kommune von Triest 1382 selbst beantragten Anschluss der
Stadt an das Habsburger Reich.

Mit dem Begriff „Minderheit“ fängt die leidliche Geschichte an. Wie
groß war und ist diese Minderheit? Statistiken aus der zeit der
Monarchie sind spärlich, wurden vom Klerus und von der Gemeinde geführt
und beide waren bemüht, sie nach Kräften zu fälschen und so bewegen
sich die Zahlen zwischen 15% bei der kaisertreuen Kirche und 5% bei der
pro-italienischen Kommunalverwaltung. Ich halte die Zahl von 10% für
das Jahr 1880, die im Brockhaus steht, für realistisch und gehe in
meinen Berechnungen davon aus.

Beim Sturz der Serenissima Ende des 18. Jahrhundert kamen zahlreiche
Venezianer nach Triest und verdrängten damit innerhalb einiger Dekaden
die ursprüngliche ladinische Sprache. Diese Venezianer waren erfahrene
Seeleute, die ihren Dialekt nicht nur in die Stadt Triest einführten,
sondern daraus die eigentliche Sprache der österreichischen Marine
machten. Damit fand die erste Infiltrierung einer mit dem Italienischen
verwandten Sprache in einen ansonsten von deutschsprachigen
Österreichern dominierten Bereich. Es war die erste Impfung.

Die Auffrischung fand gegen das Ende des 19. Jahrhundert statt, als die
Nachfahren der italienischen Karbonari in die Kulturszene Triests
drangen, eigene Vereine gründeten, vor allem die Ginnastica Triestina,
die offiziell das Gedankengut des Turnvaters Jahn propagierte, und
damit der Obrigkeit unverdächtig war, aber insgeheim heftige Propaganda
für Italien ausübte. Andere Kulturvereine und der Circolo Artistico der
Malerei, ebenfalls mit Geldern aus Italien subventioniert,
konkurrierten mit den etablierten österreichischen Vereinen, allen
voran der Schillerverein. Es dauerte nicht lange, bis die finanzielle
Überlegenheit der Italiener und die Tatsache, dass diese doch die
Mehrheit in der Stadt stellten, eine starke Sogwirkung auf die
Deutschsprachigen erzeugten, die sich zunehmend selbst italienisierten
und die eigenen Wurzeln vergaßen. Dies ist besonders deutlich am
eklatanten Beispiel des Siebenbürger Sachsens Hector Schmitz, der als
Italo Svevo auf Italienisch geschriebene, aber den Geist der Wiener
Psychoanalyse atmenden Romane „Ein Mann wird älter“ und „Zeno Cosini“
verfasste. In der Zeit zwischen der Jahrhundertwende und dem Ersten WK
wurde es immer stärker verpönt, sich zum Deutschtum zu bekennen, und
dabei kamen vor allem zwei Argumente zur Anwendung:

Die Wiener Regierung und die katholische Kirche würden versuchen,
Triest mit Slawen zu füllen. Da die Karbonari kirchenfeindlich waren,
war jeder slowenische Priester ein gefundenes Fressen
Als Intellektueller könne man nur Italiener sein, da Österreich einem
sinkenden Schiff gleiche und obendrauf ein Polizeistaat sei. Auf dem
sinkenden Schiff waren Freud, Klimt, Schnitzler und andere
Persönlichkeiten tätig, aber das wurde dem Volk verschwiegen.
 
Bald hieß es, dass nur Unterschichtleer keine italienischen Patrioten
sein konnten und damit wurde der Stolz einer peinlich auf soziale
Zugehörigkeit achtenden Stadt  gekitzelt. Als Folge davon, gingen
diverse Klassen von Gymnasiasten, oft deutscher, slowenischer oder
sonstiger nichtitalienischer Muttersprache, geschlossen nach Venedig,
um sich in Italien zum Dienst an der Waffe zu melden.
Der Sieg Italiens im Ersten Weltkrieg wurde sehr publikumswirksam
vermarktet, es wurde eine ganze Legende zusammengedichtet, die meisten
Straßen Triests wurden nach den italienischen Kriegshelden genannt,
schwungvolle, und in hohem Maßen rassistische, Volkslieder wurden neu
erfunden und zum immer-da-gewesenen Volksbrauchtum erklärt. Der Stadt
und ihrer Einwohner war bereits vor dem Krieg viel Geld und Wohlstand
im Falle eines Anschlusses an Italien versprochen worden. 1915 wurden
auch etwas reifere Personen angesprochen und ihnen handfeste Vorteile
als Belohnung für die Unterstützung Italiens zugesichert.

Nach dem Krieg war Italien so bettelarm, dass es gar nichts verteilen
konnte. Mussolini bereitete sich auf den Marsch auf Rom vor. Über die
Hälfte der deutschsprachigen Triestiner hatte gleich beim Einstimmen
der ersten Chore große Gefahr gewittert und hatten die Stadt
geräuscharm verlassen. Es gab einen Exodus nach Marburg, heute Maribor,
aber die Spuren davon sind akribisch beseitigt worden.

Während der Duce-Zeit fingen die ersten Umsetzungen von Italienern in
industriellen Maßstab an, Namen und Familiennamen wurden
zwangsübersetzt, alle nichtitalienischen Schulen und Vereine wurden
geschlossen. Diese Maßnahmen trafen in ersten Linie die Deutschen, die
Slowenen wurden erst später zur Zielscheibe der Faschisten. Man merke
sich, dass Deutschland und Österreich immer als besonders gefährlich
angesehen wurden, die Deutschsprachigen immer als potentielle Erzfeinde
betrachtet, bis man sie im Rundumschlag als Nazis abstempeln konnte und
damit durften sie gar nichts mehr sagen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es zwar keinen Faschismus mehr, aber der
soziale Druck auf die Deutschsprachigen hatte nicht nachgelassen. Die
aus Istrien vertriebenen Aussiedler waren dankbare Italiener und
freuten sich, den Hinrichtungen in Jugoslawien entkommen zu sein.

Aus den 10% des ausgehenden 19. Jahrhunderts waren 1950 maximal 5%
Deutschsprachige übriggeblieben. Die KZ hatten auch ihren blutigen
Beitrag zu diesem Schwund geleistet. Der soziale Druck hat so bis heute
nicht nachgelassen.

Bei Mischehen ist es bis heute unüblich, dass die Kinder auch Deutsch
lernen, der deutschsprachige Elternteil spricht heute meistens eine
Mischsprache zwischen Altwienerisch und Triestinisch, die Kinder
wachsen meistens mit Deutsch als Fremdsprache auf, lernen die Sprache
entweder bei den entwurzelten Eltern oder in der Schule bei
italienischen Lehrern, die der richtigen Aussprache und Wortwahl nicht
mächtig sind und so dafür sorgen, dass ihre Zöglinge in Deutschland
oder Österreich sofort als Ausländer identifiziert werden. Genau das
ist das Ziel Italiens: Die Minderheiten sollen im Land, wo die
Minderheitssprache mehrheitlich gesprochen wird, sofort auffallen. So
werden sie gedemütigt nach Italien zurückkehren und es umso mehr als
Vaterland empfinden. Den Begriff „Heimat“ gibt es auf Italienisch nicht.

2007 hat eine kleine Gruppe Mutiger, zu denen ich mich selbst zählen
darf, den Schillerverein neu gegründet und alle zwei Wochen einen
Stammtisch auf Deutsch ins Leben gerufen. Über diese Initiative
beichtete die Presse eher halbherzig, aber wir konnten über andere
Kanäle die meisten Deutschstämmigen, die heute in Triest wohnen,
informieren. Das Publikum bei den kostenfreien Veranstaltungen und beim
kostenfreien Stammtisch besteht vorwiegend aus Italienern, die ihre
verblassten Deutschkenntnisse aufbessern wollen. Die Deutschen trauen
sich immer noch nicht.

Julius Franzot
Vertreter des mitteleuropäischen Kulturvereins aus Triest

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Landesversammlung 2008: Die Landesversammlung in Bildern
Landesversammlung 2008: Die Grußbotschaften der Ehrengäste an die Versammlung

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