Liebe Tiroler aus dem Süden, Osten und Norden unseres Landes, Ihr seid wieder in St. Pauls an der Gedenkstätte unserer zu Tode gefolterten, erschossenen, an den Folgen der Kerkerhaft frühzeitig verstorbenen und verunglückten Mitkämpfer versammelt. Ich kann immer noch nicht persönlich dabei sein. Italien bedroht mich mit lebenslangen Kerkerstrafen – eine Folge des Unrechts, das über unserem Land liegt.
Erinnern wir uns an die unselige Zeit der 50er Jahre im vergangenen
Jahrhundert. Der italienische Faschismus mit seinen für unser Volk und
Heimat tödlichen Ideologien wurde offiziell abgeschafft, aber im
Alltagsleben frech weitergeführt. Italienische Zuwanderung wurde
staatlich gefördert, Arbeitsstellen- und Wohnungsvergabe zum Nachteil
unserer Landsleute gehandhabt. Die Benachteiligungen waren
volksgefährdend und unerträglich geworden. Die Beschwerden unserer
Volksvertreter wurden – wenn überhaupt geführt – nicht beachtet oder
abgewiesen.
In dieser ausweglosen Zeit haben wir uns schweren Herzens entschlossen
zum letzten Mittel zu greifen. Gleich unseren Vorfahren, die bei
Bedrohung oder Besetzung unseres Landes zu den Waffen griffen, sahen
wir uns verpflichtet Gewalt anzuwenden. Eines unserer großen Vorbilder
war Sepp Kerschbaumer. Er, der tiefgläubige Christ und Tiroler,
versuchte zunächst mit friedlichen Mitteln bis hin zum Hungerstreik auf
das Unrecht aufmerksam zu machen. Vergebens! Aus diesen Erfahrungen
reifte in ihm die Erkenntnis: Es gibt keinen anderen Weg, wir müssen
uns gewaltsam wehren! Das Selbstbestimmungsrecht war das Ziel und ein
wiedervereinigtes Tirol der Wunsch. Nicht wegen dehnbarerer
Autonomiestatuten haben wir unser Leben gewagt, sondern um der Freiheit
willen, die man uns genommen.
Grausam und mit verbrecherischen Foltermethoden schlug die Staatsmacht
zu. Die Schmerzensschreie meiner gefolterten Mitkämpfer und die
Unnachgiebigkeit des italienischen Staates bewogen mich und meine
Kameraden in unseren Bergen weiter Widerstand zu leisten. Von der
Politik im Stich gelassen und von der Amtskirche verurteilt, haben wir
6 Jahre durchgehalten und mit viel Glück und Gottes Hilfe überlebt.
Italien hat erkannt, dass mit Gewalt der Widerstand nur gestärkt wird.
Aus dieser Erkenntnis bedient man sich bis heute einer anderen Methode:
Teilzugeständnisse, Geld und Zeit. Die weitreichende Steuer- und
Finanzautonomie soll die Leute einlullen und die scheinbare
Selbständigkeit das Volk beruhigen. Schnell können sich diese Zustände
ändern > Anzeichen dafür sind schon zu erkennen. Geschichtslose
Leute behaupten Tirol sei wiedervereinígt, weil die Grenze
durchlässiger geworden ist. Wenn die Grenze so bedeutungslos wäre wie
sie behaupten, kann die ewig-gestrige und unrechte Forderung nach der
Unantastbarkeit ja aufgegeben und die Grenze vom Brenner nach Salurn
verlegt werden.
Wenn heute noch ein protziges Mussolinirelief, das provokante
Siegesdenkmal, die geschichtsfälschenden Beinhäuser, die italienischen
Ortsnamen und unser Einreiseverbot aufrecht erhalten und gepflegt
werden, sind Zeichen genug, dass der Faschismus nach wie vor Regie
führt. Das seit Anfang angestrebte Ziel bleibt das gleiche. Tirol soll
zerrissen bleiben und der Süden italienisiert werden. Deshalb sollen
wir wachsam bleiben und das Vermächtnis unserer für ein freies Tirol
gestorbenen Mitkämpfer hochhalten.
„TIROL ISCH LEI OANS“
Ladis, 22. November 2008
am Geburtstag von Andreas Hofer
Sepp Forer
Rede zum anhören:
Lebenslauf Sepp Forer
Sepp Forer ist 1940 in Brixen geboren und in Mühlen im Tauferer Ahrntal aufgewachsen. Er ist einer der drei noch lebenden Pusterer Buabn. Schon in seiner Jugendzeit hat er die Schikanen und die Unterdrückung der Südtiroler miterleben müssen.
In seiner Heimatliebe bäumte sich Sepp Forer gegen die Ungerechtigkeiten auf und schloss sich als Zwanzigjähriger der Widerstandsgruppe um Sepp Kerschbaumer (BAS) an.
Nach der Feuernacht im Jahre 1961 flüchtete er mit Siegfried Steger und dem 2006 verstorbenen Heinrich Oberlechner über die Berge in den freien Tiroler Landesteil auf österreichisches Staatsgebiet. Bis in den späten sechziger Jahren kam er zusammen mit den anderen Pusterer Buabn, Siegfried Steger, Heinrich Oberlechner und dem 1963 ebenfalls nach Österreich geflüchteten Heinrich Oberleitner immer wieder heimlich über die Berge nach Südtirol um sich dort aktiv am Widerstand zu beteiligen.
Viele gut gesinnte Landsleute gewährten den jungen Burschen damals Unterschlupf, im gesamten Pusterer Raum erregten ihre Aktionen bei Freund und Feind großes Aufsehen. Da sie mit Kontakten zu anderen Personen sehr vorsichtig waren, sind sie nie aufgeflogen.
Sepp Forer lebt heute als engagierter Hotelier im Tiroler Oberland, ist verheiratet und hat vier erwachsene Kinder. Er wurde in Italien in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt – ohne jemals die Möglichkeit einer Verteidigung gehabt und ohne das Urteil jemals zugestellt bekommen zu haben.