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Rede von Dr. Cristian Kollmann anlässlich der Josef-Noldin-Gedenkfeier in Salurn

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Rede von Dr. Cristian Kollmann anlässlich der Josef-Noldin-Gedenkfeier in Salurn

Geschätzte Schützen und Marketenderinnen! Werte Freunde der Schützen und Freunde Tirols! Wir gedenken heute einer großen Tiroler Persönlichkeit, einer Persönlichkeit, deren Leben dem Einsatz für den Erhalt des deutschen Volkstums und dem Kampf gegen den italienischen Faschismus galt. Einer Persönlichkeit, die dieser Einsatz und dieser Kampf das Leben kosteten: Dr. Josef Noldin, geboren 1888, gestorben 1929.

Nach einer unbeschwerten Kindheit in Salurn verbringt „Beppo“, wie er in seinem Familienkreis liebevoll genannt wird, seine Gymnasialzeit in Trient, Feldkirch, Rofreit/Rovereto und Bozen. Während seines Aufenthalts in den Welschtiroler Städten macht er Bekanntschaft mit den irredentistischen Bestrebungen und erfährt erstmals vom Hass mancher italienischer Kreise gegenüber alles Deutsche, der sich im Laufe der Jahre zuspitzt. In Innsbruck absolviert Josef Noldin das Studium der Rechtswissenschaft und promoviert im Jahr 1912.

Im Ersten Weltkrieg ist der nunmehrige Rechtsanwalt Dr. Josef Noldin Oberleutnant bei den Kaiserjägern und kommt, nachdem er zwischenzeitlich schwer verletzt worden und wieder genesen ist, im Jahr 1915 in russische Gefangenschaft.

Als er im Jahr 1920 wieder daheim in Salurn ist, schmerzt auch ihn die Feststellung, dass jener Teil Tirols, in dem er lebt, nunmehr zu Italien gehört. Doch „die Schule ist wie vor dem Krieg deutsch“, schreibt er in sein Tagebuch. Auch schreibt er: „Die grün-weiße Schützenfahne Salurns liegt zum Trotz der neuen Herren wohlverborgen. […] Der Kampf um die Behauptung des deutschen Charakters hat noch nicht begonnen“. Noldin ahnt, was kommen wird.

Im Jahr 1922 ist es soweit. Die Faschisten ergreifen die Macht und verbieten im annektierten Tiroler Landesteil namens „Alto Adige“ alles Deutsche, also auch die deutsche Schule. Noldin erklärt sich unverzüglich bereit, den Salurner Kindern den Deutschunterricht durch private Lehrerinnen zukommen zu lassen. Durch sein Engagement wird Noldin für die Faschisten zwangsläufig unbequem. Des Öfteren wird er von diesen schikaniert, und in einem Fall wegen angeblicher Amtsehrenbeleidigung zu einer fünftägigen Haftstrafe und 500 Lire Geldbuße verurteilt.

Nach abgesessener Haft arbeitet Dr. Noldin wieder als Rechtsanwalt, doch von nun an wird er von den faschistischen Behörden noch strenger bewacht als bisher. Zwar bitten ihn seine Freunde, über die Grenze zu fliehen, doch Noldin weigert sich. Zu Beginn des Jahres 1927 wird Noldin für fünf Jahre auf die Sizilianer Insel Lipari verbannt. Dort erkrankt er an der Liparite, eine der Malaria ähnlichen Krankheit. Gegen Ende des Jahres 1928 darf Noldin den Ort seiner Verbannung vorzeitig entlassen.

Doch ist es ihm nunmehr verboten, seinen Beruf als Rechtsanwalt auszuüben. Noldins psychischer und physischer Gesundheitszustand wird zunehmend schwächer. Seine Mutter wirft ihm vor, dass es vielleicht anders gekommen wäre, wenn er sich nicht so hervorgetan hätte. Dazu sagt Noldin: „Ich täte es gerade wieder, Mutter. Wenn alle so täten, wo wären wir dann Deutsche! Man darf sich nicht zu Boden drücken lassen. Wir dürfen uns nicht zurückziehen“.

Dr. Josef Noldin stirbt in der Nacht vom 14. auf den 15. Dezember 1929 im Sanatorium im Grieser Hof. Heute vor 79 Jahren. Wir verneigen uns vor diesem großen Mann der Tiroler Geschichte und respektieren seinen selbstlosen Einsatz! Unser Respekt gilt in diesen Minuten auch jenen Persönlichkeiten, die für unser Tiroler Land Unglaubliches geleistet und dabei ihr Leben riskiert haben.

Werfen wir nun einen Blick in die Gegenwart. Was ist aus dem Anliegen, dem Kampf von Dr. Josef Noldin geworden? Gewiss: Wir haben jetzt deutsche Schulen, und wir können vielfach vom Recht, Deutsch zu sprechen, Gebrauch machen. Doch die ideale Situation haben wir nicht. Im Gebiet des heutigen Südtirols ist, trotz „Musterautonomie“, die Gefahr einer Italianisierung immer noch nicht gebannt. Viele mögen meinen, dass heutzutage, wo wir doch Teil der EU sind, der Kampf für den Erhalt unserer deutschen Sprache endgültig der Vergangenheit angehört. Doch das ist eine zu schnell gefasste Meinung. Zwar sind die deutschen Schulen und der Gebrauch der deutschen Sprache Gott sei Dank nicht mehr verboten, doch wird, besonders von interethnischer und italienischer Seite, immer wieder versucht, den Artikel 19 des Autonomiestatuts, der den deutschen Südtirolern den muttersprachlichen Unterricht zusichert, in Frage zu stellen. Es wird gerne so getan, als sei in einem mehrsprachigen Land wie Südtirol der ausschließlich einsprachige Unterricht nicht mehr zeitgemäß und ein Zeichen für mangelnde Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Sprachen bzw. Volksgruppen. Es wird so getan, als müssten die Südtiroler perfekt zwei- bzw. mehrsprachig sein, damit sie den Herausforderungen der Zukunft in diesem mehrsprachigen Südtirol gewachsen sind.

Auf den ersten Blick mögen diese Ansprüche durchaus etwas für sich haben. Doch es gilt, genauer hinzuschauen, sich genauer umzuschauen. Zunächst müssen wir festhalten, dass das Gebiet des heutigen Südtirols zwar durchaus mehrsprachig besiedelt ist, doch dass dies nicht flächendeckend der Fall ist. Das Gebiet des heutigen Südtirols ist in erster Linie ein deutsches Land. Auch die Ladiner, die nur mehr eine kleine Minderheit sind, sind eine alteingesessene Volksgruppe. Vielfach wird in Südtirol Tiroler Dialekt gesprochen. Für die deutschen Südtiroler sollte es daher vielmehr gelten, allem voran die deutsche Hochsprache angemessen zu erlernen, aber auch das Bewusstsein für den Unterschied zwischen Dialekt und Hochsprache zu fördern. Das ist ja auch schon Mehrsprachigkeit. Mehrsprachigkeit ist also bereits in diesem Fall eine Bereicherung und die beste Basis für das Erlernen weiterer Sprachen. Doch mit dem vertieften Studium weiterer, fremder Sprachen sollte  erst begonnen werden, wenn die muttersprachliche Basis solide genug ist, wenn man in der eigenen Muttersprache gefestigt ist.

Ansonsten läuft man Gefahr, das muttersprachliche Gespür zu verlieren und nicht mehr zu wissen, wo man eigentlich hingehört. Ich möchte an dieser Stelle auf das Beispiel Aostatal verweisen. Dieses sollte uns Warnung genug sein: Im Aostatal ist aufgrund der mehrsprachigen Schule und des massiven Drucks des nationalistischen Italiens die frankoprovenzalische Identität fast zur Gänze verlorengegangen, und mittlerweile fühlen sich die Aostaner größtenteils als Italiener.

Vor einer derartigen Assimilierung auch noch für uns Südtiroler möchte ich eindringlich warnen. Wir brauchen nur über die Grenzen Italiens hinauszublicken: In allen europäischen Regionen, in denen sprachlich-ethnische Minderheiten leben, hat eine mehrsprachige Schule dazu geführt, dass die Sprache der Minderheit geschwächt und die Sprache der nationalstaatlichen Mehrheit gestärkt wird. Nicht zuletzt aus diesem Grund setzt man beispielsweise in Wales, Katalonien oder im Baskenland wieder vermehrt auf den muttersprachlichen Unterricht. Die mehrsprachige Schule ist daher im Grunde als überholtes Modell zu betrachten, und wer, so wie die interethnischen und italienischen Gruppierungen, immer nur über die Vorteile einer mehrsprachigen Schule redet, verbreitet Halbwahrheiten.

Eine Sprache ist mehr als nur Sprache! Mit einer Sprache werden auch Mentalität und Lebensgefühl vermittelt! Es ist über die Sprache des Nationalstaates, mit der eine Minderheit am einfachsten für die nationalstaatlichen Interessen zu gewinnen ist. Und diese nationalstaatlichen Interessen besagen ganz klar: Südtirol, oder besser gesagt das „Alto Adige“, ist ein Teil, eine Provinz Italiens. Tolomei und die Faschisten wussten das. Auch Dr. Noldin wusste von dieser Intention. Und wir?

Lassen wir den unermüdlichen Kampf unseres Helden Dr. Josef Noldin nicht vergebens gewesen sein. Stehen wir zu unserer Sprache und unserer Kultur, und stellen wir diese vor die europäische Identität. Denn was wäre Europa ohne seine regionalen Identitäten und seine regionale Vielfalt? Es ist ganz wichtig, dass wir Südtiroler unser muttersprachliches Gespür bewahren, damit wir wissen, wo wir sprachlich hingehören, damit wir nicht zu „Altoatesinen“ und am Ende zu gewöhnlichen Italienern werden. Denn wenn wir uns mit der Sprache des fremden Nationalstaates gleichermaßen identifizieren wie mit der deutschen bzw. ladinischen Sprache, verlieren wir langfristig den Anspruch auf unsere Autonomie, geschweige denn auf die Selbstbestimmung. Seien wir wachsam und hören wir genau hin, wer am Ende von einer solchen Situation profitieren könnte.

So lange Südtirol immer noch Teil des italienischen Staatsgebiets ist, ist der Kampf für bzw. gegen unsere Muttersprache, ein Kampf auf beiden Seiten somit, noch nicht zu Ende gekämpft. Nicht zuletzt deshalb muss die Erinnerung an Dr. Josef Noldin wachgehalten und seine Leistung honoriert werden.

Dem Land Tirol die Treue!

Salurn, den 14. Dezember 2008

Archiv, Cristian Kollmann
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