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Rede von Dr. Eva Klotz vor dem Andreas-Hofer-Denkmal am Bergisel

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Rede von Dr. Eva Klotz vor dem Andreas-Hofer-Denkmal am Bergisel

Du kannst vor dem davon laufen, was hinter dir her ist, aber vor dem, was in dir ist, kannst du auf Dauer nicht davonlaufen, denn das holt dich ein! Geschichte hat nämlich einen langen Atem! Was hier am Bergisel geschehen ist, lässt sich nur verstehen, wenn man weiß, was in unseren Tiroler Vätern war. Ihr Selbstverständnis macht sie nicht besser oder schlechter als andere Völker, aber zweifelsohne anders! Die Geschichte dieses Landes hat auch seine Einwohner geprägt und ihr Selbstbewusstsein gestärkt:

Bereits 1293 spielt die Volksvertretung in Tirol eine Rolle; Meinhard
II von Tirol- Görz erlässt die Gerichtsordnung für die Grafschaft
Bozen, in der das ganze Volk vertreten ist, auch Bürger und Bauern.
 
1342 erlässt der Wittelsbacher Ludwig, 2. Gemahl von Margarethe
Maultasch den „Großen Freiheitsbrief“. Darin bestätigt er die alten,
seit Meinhard II geltenden Rechte: „Alle, edel und unedel, rich und
arme“ haben Mitspracherecht bei Gesetzgebung, in Steuer-
Angelegenheiten und bei der Regierung. Man kann diesen also als den 1.
Tiroler Landtag bezeichnen!
 
Herzog Leopold IV von Österreich erlässt dann 1404 für Tirol die
Ordnung zur Regelung der Rechte des Bauernstandes.
Grundherr und Bauer
sind damit vor dem landesfürstlichen Gericht gleichgestellt.
 
Herzog Friedl mit der leeren Tasche 1406 bis 1439 schließlich beruft
einen Landtag ein, in dem Bürger und Bauern neben Adel und
Geistlichkeit die Geschicke des Landes beraten und entscheiden. Kein
Landesangehöriger darf seinem ordentlichen Richter entzogen und ohne
Spruch desselben verurteilt oder bestraft werden. Dem Landesfürsten
wird es verwehrt, in eine Gerichtsverhandlung einzugreifen.
 
Das führt zu einem tiefen Gemeinschaftsgefühl und erklärt, wieso jeder,
auch der ärmste Taglöhner, in späteren Kampfhandlungen in Tirol
Verantwortung übernimmt: Die Landesverteidigung ist nicht Sache des
Adels, sondern Sache des gesamten Volkes.
Das
Zusammengehörigkeitsgefühl orientiert sich am Interesse des gesamten
Landes, nicht an dem eines einzigen Standes. Die Bedrohung durch den
Feind gilt allen, dem ganzen Land, nicht nur dem Landesfürsten oder dem
Adel!
 
Nur aus dieser Entwicklung heraus und aus der Tatsache, dass das
Schießen, zuerst mit dem Bogen, dann mit Feuerwaffen, also das
Schützenwesen, in Tirol seit alter Zeit Volkssport war, ist das
Landlibell von 1511 zu verstehen:
Ohne Zustimmung der Landstände darf von Tirol aus kein Krieg geführt
werden. Alle Tiroler vom 18. bis zum 60. Lebensjahr werden aber zur
Verteidigung des Landes verpflichtet, dürfen aber nicht zum
Kriegsdienst außerhalb des Landes herangezogen werden. Unter Maria
Theresia in der Zeit des sog. aufgeklärten Absolutismus wurden die
Tiroler Landesfreiheiten nicht mehr bestätigt, wohl aber blieb das
Landlibell aufrecht. So bewährten sich die Tiroler Schützen in vielen
Auseinandersetzungen mit den bayrischen Nachbarn in den Erbfolgkriegen,
dann in den Jahren 1797 und 1809 vor allem mit den napoleonischen
Invasoren, aber auch gegen die Freischärler Garibaldis ein halbes
Jahrhundert später. Gegen diese Letzteren verteidigten Tiroler
Standschützen die Südgrenze Tirols, nämlich in Welschtirol.
 
Aber hier am Bergisel stehen wir auf geschichtlich besonders
bedeutendem Boden: drei Schlachten haben hier stattgefunden zwischen
den Angehörigen der bestgerüsteten Armee jener Zeit und den Tiroler
Landesverteidigern, unterstützt durch Truppen des regulären
österreichischen Militärs.
 
Nachdem Andreas Hofer Anfang April 1809 bei Sterzing in ersten größeren
Gefechten mit seinen Schützen gegen bayrische Einheiten siegreich
gewesen war, besetzten Landstürmer die Anhöhen rings um Innsbruck. Am
12. April
fiel hier am Bergisel nach hartem Kampf die Entscheidung: Die
Bayern kapitulierten und räumten die Stadt. Auch im Pustertal und im
Süden hatte sich der Großteil Tirols aus eigener Kraft befreit. In den
vorangegangenen Jahren schien nur ein enges Zusammenwirken mit dem
kaiserlichen Militär sinnvoll, nun aber waren die Tiroler Schützen zu
selbständigem Handeln übergegangen.
 
Die Bayern nahmen ihre Niederlage nicht hin. Verstärkt durch
französische Truppen unter Marschall Lefevre gelang ihnen die
neuerliche Besetzung Innsbrucks. Dank der alten Wehrverfassung war der
Widerstand der Tiroler aber noch nicht gebrochen: Wehraufgebote aus dem
Süden kamen zu Hilfe, und Andreas Hofer, der sich im Süden mehrfach
bewährt hatte, wurde von seinen Leuten mit dem Ober- Kommando betraut.
Die Tiroler Wehraufgebote und die wenigen im Land verbliebenen
österreichischen Truppen stellten sich Ende Mai hier am Bergisel auf.
Den linken Flügel befehligte der Kapuzinerpater Joachim Haspinger, den
rechten Josef Speckbacher. In diesem Kampf gab es zwar keine klare
Entscheidung, aber die Bayern und Franzosen hatten die Höhen nicht
einnehmen können und sahen sich angesichts der kampfeslustigen Stimmung
der Tiroler zum fluchtartigen Abzug durch das Unterinntal genötigt.
Damit war die Entscheidung zugunsten der Tiroler Landesverteidiger
gefallen!
 
Sie konnten sich ihrer Freiheit nicht lange erfreuen, denn Österreich
war von Napoleon im Juli 1809 bei Wagram vernichtend geschlagen worden
und verzichtete auf Tirol. Hofer und die Masse der Landesverteidiger
entschieden sich für den Widerstand gegen den neuerdings zu erwartenden
Feind. Nach dem Willen Napoleons sollte es diesmal eine vollständige
Niederlage der Tiroler sein, weshalb seine Truppen von allen Seiten
gleichzeitig einfielen. Ende Juli stand Marschall Lefevre zwar wieder
in Innsbruck, aber in der „Sachsenklemme“ im Eisacktal, bei der Lienzer
Klause, an der Pontlatzer Brücke im Oberinntal, bei Reutte, südlich von
Trient und bei Cortina bestanden die Tiroler siegreich die Gefechte, so
dass der Oberkommandant Hofer am 13. August die Wehraufgebote zur
neuerlichen Befreiungsschlacht hier am Bergisel zusammenziehen konnte.
Der erbitterte Kampf endete unter dem Eindruck der Erschöpfung und des
Munitionsmangels. Wie im Mai fiel die Entscheidung endgültig nach dem
Abzug Lefevres und der Bayern, Andreas Hofer übernahm die
Verwaltungsgeschäfte als Stellvertreter des Kaisers.
 
Das Aufgebot der Schützen hier am Bergisel hatte also die
Landeshauptstadt dreimal aus den Händen der Eindringlinge befreit, aber
das weitere Schicksal Tirols wurde fernab von Tirol besiegelt, und zwar
infolge der erneuten Niederlage Österreichs und seinen Friedensschluss
mit Napoleon im Oktober 1809 zu Schönbrunn.
 
Napoleon schickte nun eine Truppenstärke von 50.000 Mann gegen die
Tiroler, die in Unkenntnis der wahren Geschehnisse und in ihrem
Selbstbewusstsein durch ihre bisherigen Erfolge gestärkt, den wieder
eindringenden Feind bekämpfen wollten. Diese teils französischen, teils
bayrischen Kontingente unter der Führung französischer Generäle nahmen
Tirol von Norden und Süden her in die Zange. Trotz eines
Amnestieerlasses für die Teilnahme an den vorhergehenden Kämpfen, der
am 25. Oktober in Innsbruck erlassen wurde, kam es am 1. November zu
einer letzten und verlustreichen Bergisel- Schlacht, die mit einer
Niederlage der arg dezimierten und ausgezehrten Tiroler endete.
 
Von den engsten Freunden schlecht beraten und persönlich unschlüssig,
gab Andreas Hofer die Sache noch nicht endgültig auf, und so zogen sich
die letzten Widerstandskämpfe mit örtlichen Erfolgen bis in den
Dezember hinein. Schließlich musste Hofer flüchten, sein Versteck auf
einer Alm im Passeier wurde verraten, und am 20. Februar 1810 wurde er
nach einem Scheinprozess in Mantua hingerichtet.
 
So endete die Erhebung Tirols gegen Fremdherrschaft nach großen
Verlusten mit der Erschießung des Anführers und etlicher seiner
tapfersten Mitstreiter für den Augenblick erfolglos. Der Eindruck, den
das Tiroler Volk auf das damalige Europa, vor allem auf England und
Deutschland, hinterließ, war aber von weit reichenden Folgen. Es ist
durch seinen Kampf zum Symbol des Widerstandes und des Freiheitswillens
geworden, wurde zum Vorbild im Kampf gegen die napoleonische
Fremdherrschaft in Europa. Ohne die Tiroler Erhebung von 1809 wäre es
wahrscheinlich nicht bereits 1813 zum Ende der Fremdherrschaft in ganz
Europa gekommen.
 
1809 hat das Volk geprägt, nicht nur beeindruckt. Und wir wollen nicht
in der Vergangenheit verweilen, sondern unser Verhalten in der
Gegenwart messen am Freiheitswillen und der Opferbereitschaft unserer
Vorfahren. Jede Zeit hat ihre Mittel, jede Zeit hat ihren Stil; und
heute haben wir alle friedlichen und demokratischen Mittel, um für
Freiheit und Gerechtigkeit einzutreten. Aber ohne Idealismus und
Nächstenliebe können die Herausforderungen der Zukunft nicht gemeistert
werden.
 
Angesichts der vielen Versuche in Vergangenheit und Gegenwart, das
Verhalten unserer Vorfahren, der Schützen, Andreas Hofers, in den
Schmutz zu ziehen, dürfen wir in Anbetracht seines Lebens und vor allem
seines Sterbens allen Schmutzfinken getrost zurufen: Ach, wie schießt
ihr schlecht!

 
Eva Klotz

Archiv, Eisacktal, Eva Klotz, Pustertal
Landeshauptstadt Bozen – Weitere Schritte zur Entfremdung
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