In Italien sind wieder "Duce"-Rufe zu hören, und das auch bei Auftritten Berlusconis. Die rechte Gesinnung ist gesellschaftsfähig. Und nicht nur Ewiggestrige feiern Mussolini. Eine beliebte App für das iPhone in Italien ist "iMussolini", ein Programm mit Reden und Bildern des Duce.
Der Bürgermeister von Rom, Gianni Alemanno, ist ein verurteilter rechter Schläger. "Wir extremen Rechten sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen, stehen im Zentrum der Geschichte", sagt der neofaschistische Politiker. Berlusconi paktierte bei der letzten Wahl mit einer bekennenden Neofaschistin, der Enkelin des Duce. "Italien ist in das Stadium der Postdemokratie eingetreten", erklärt der Historiker Aram Mattioli. "Man weiß nicht, was noch geschehen wird." Der italienische Verteidigungsminister Ignazio Larussa begann seine Karriere bei den Neofaschisten. "Es ist eine Tatsache, dass viele von uns extremen Rechten jetzt in der Regierung sind", sagt Roberto Fiore.
Berlusconi mit "Duce"-Rufen begrüßt
An seinem Wahlbündnis beteiligte Silvio Berlusconi im großen Stil extreme Rechte und Neofaschisten. Mit "Duce, Duce"-Rufen und dem ausgestreckten Arm feiern sie Berlusconi. Nach dem Krieg war Pino Rauti Mitbegründer der ersten neofaschistischen Partei Italiens. Er hat berühmte "Freunde". "Ich treffe Berlusconi sehr oft", sagt Rauti. "Ich muss sagen, dass er immer großes Interesse und Respekt zeigt. Interesse, weil er logischerweise die Traditionen und Wurzeln der extremen Rechten noch nicht so genau kennt, und vor allem Respekt und Achtung für all das, was wir für das Leben des Landes leisten können."
Pino Rautis größtes Idol ist Benito Mussolini. In seinem Regal stehen Fotos aus der Gruft des Duce und aus dem Garten der Mussolini-Villa. Direkt daneben lächelt Gianni Alemanno, der römische Bürgermeister. Er ist mit Rautis Tochter verheiratet. Anfang der 1960er Jahre gründete der eine blutige Terrorgruppe und wittert nun Morgenluft. "Ich betrachte den Faschismus als eine Art Tagebau, der offen ist für alle", sagt Rauti. "Er ist eine Quelle von Ideen, von Ansätzen, von Hinweisen. Viele waren damals ihrer Zeit voraus und sind heute aktueller denn je."
Entfaschisierung des Faschismus
Das Colosseo Quadrato in Rom ist ein Bau von Mussolini. Er wird gerade auf Geheiß des Bürgermeisters für viele Millionen Euro aufpoliert. Hier sollen einmal Läden und Cafes einziehen. An die Verbrechen des Faschismus wird nichts erinnern. Das, so Aram Mattioli, sei symptomatisch für die Situation Italiens. Über die Wiederaufwertung des Faschismus hat er jetzt ein Buch geschrieben. Ein Werbespot der Berlusconi-Partei zeigt junge Menschen, die eine Hymne auf den Staatschef singen – ausgerechnet vor dem berühmten Mussolini-Bau Italiens. "In den letzten Jahren gibt es eine Tendenz zur Entfaschisierung des Faschismus", erklärt Mattioli. "Was der Faschismus wirklich historisch dargestellt hat, wird entkernt. Er wird banalisiert, trivialisiert, geschönt, versüßt."
Seit kurzem gibt es den Duce auch fürs Handy. "iMussolini" ist eine der beliebtesten iPhone-Applikationen und, wurde 10.000-fach herunter geladen. Sie bietet Reden und Bilder des Duce völlig unkommentiert. Kein schlechtes Programm, sagt Michele Pigliucci, einer der Führer der rechten Jugendorganisation Azione Giovani. "Es gibt Faszination und Neugier", erklärt Pigliucci. "Die jungen Menschen wollen einfach wissen, wer das war und wie er es geschafft hat, das italienische Volk so lange zusammen zu halten – im Guten wie im Schlechten. Und bei der historischen Rekonstruktion geht man nicht nur die traditionellen Wege."
Straßen nach Faschisten benennen
Der römische Sitz von Azione Giovani befindet sich im Gewölbe einer antiken Therme, Colle Oppio genannt. Jahrzehntelang trafen sich hier Neofaschisten. Seitdem sie kürzlich mit Berlusconis Jugendorganisation fusioniert haben, geben sich die jungen Männer geläutert. Der militante Kampf soll der Vergangenheit angehören. Nun wollen sie, dass Straßen an jene von ihnen erinnern, die bei politischen Auseinandersetzungen starben. Der römische Bürgermeister unterstützt sie. "Das waren doch junge Menschen wie wir", sagt der Vorsitzende der Azione Giovani, Michele Pigliucci. "Sie haben Plakate geklebt und Flugblätter verteilt. Man hat sie umgebracht nach dem Motto: ‚Einen Faschisten zu töten, das ist kein Verbrechen‘. Früher hat man so gedacht. Wir möchten mit dieser Vergangenheit abschließen und Straßen nach unseren Märtyrern benennen."
Berlusconis neue Freunde zum Heldengedenken: vermummte Skinheads, Fackeln und eine echte Ministerin. Seit 2009 bringt Giorgia Meloni, im Kabinett Berlusconi für Jugend verantwortlich, einen Kranz zur Ehre der Neofaschisten vorbei. "Ich denke, dass dieser Revisionismus die politische Funktion hat, die aktuelle Politik ein Stück weit zu stützen", sagt Historiker Mattioli, "vor allem die harte Hand gegenüber Minderheiten, seien es jetzt Schwarze, Roma und Sinti oder Homosexuelle."
Politiker machen den Hitler-Gruß
Es geht noch schlimmer: Die Tourismus-Ministerin Michela Brambilla reckt den Arm zum römischen Gruß. Wie das "Heil Hitler" in Deutschland steht er zwar unter Strafe, doch niemanden kümmert das. Roberto Fiore, ehemaliger Terrorist und einer der mächtigsten Neofaschisten im Land, kann da nur schmunzeln. "Ich kenne natürlich viele Mitglieder der Regierung und der regierenden Parteien persönlich", sagt er. "Mit vielen ihrer Vertreter und Abgeordneten war ich, als wir alle noch jung waren, in derselben rechten Organisation. Viele waren Mitarbeiter, ich war sogar ihr Chef."
Stolz zeigen uns die Mitarbeiter seiner Partei Forza Nuova TV-Ausschnitte. Roberto Fiore gehört im Fernsehen zu den Politikern mit der höchsten Einschaltquote. Der elffache Vater verehrt Evita Peron und glaubt an den Endsieg des Faschismus – ganz im Sinne des Duce, der bei ihm im Schrank steht. "Ganz Europa erlebt zur Zeit eine schwere Krise", sagt der Rechtsradikale. "Die Völker sind dabei, sich zu verlieren. Sie haben keine eigene Seele und Identität mehr. Italien kann mit seiner jetzigen Entwicklung die Speerspitze werden und die Rolle der Avantgarde einnehmen." Um noch mehr Stimmen zu gewinnen, hat Berlsuconi die extreme Rechte salonfähig gemacht und eine Entwicklung angestoßen, deren Ende nicht absehbar ist.
Quelle: http://www.3sat.de/mediathek/frameless.php?url=/kulturzeit/themen/142364/index.html