Am 6. Mai 2010 stellte der Buchautor Helmut Golowitsch, Autor mehrerer zeitgeschichtlicher Forschungsergebnisse zur Südtirolfrage, in Linz im Pressezentrum des Alten Rathauses im Rahmen einer festlichen Veranstaltung vor weit über 100 Zuhörern aus den Bereichen der Wirtschaft, der Politik und es akademischen Lebens das Dokumentarwerk „Für die Heimat kein Opfer zu schwer“ der Öffentlichkeit vor.
Bei diesem Anlass hielt auch der Obmann des Süd-Tiroler Heimatbundes, Sepp Mitterhofer, einen Vortrag. Dieser gliedert sich in zwei Teile:
1. Begründung, warum wir zum Sprengstoff gegriffen haben, Aufbau der Untergrundorganisation BAS (Befreiungsausschuss Südtirol) und die Auswirkungen der Anschläge.
2. Die heutige politische Situation in Südtirol aus der Sicht des Heimatbundes.
Der 1. Teil
Die Südtiroler hatten aufgrund der schlechten Erfahrungen durch die Faschisten, welche uns mit Gewalt italianisieren wollten bis hin zur Aussiedlung (Option 1939), nach dem Zweiten Weltkrieg die Hoffnung auf die Aliierten gesetzt. Es wurden in Südtirol 1945 166.000 Unterschriften für die Selbstbestimmung gesammelt und noch im Herbst in Innsbruck dem damaligen Bundeskanzler Figl übergeben. Es hat aber nichts genützt, die Aliierten haben Südtirol höheren politischen Interessen geopfert und wieder bei Italien belassen. Das große Unrecht nahm wieder seinen Fortgang.
Als Ersatz für die Verweigerung des Selbstbestimmungsrechtes wurde Südtirol eine Autonomie gewährt (bekannt als Pariser Vertrag), welche eigens als Schutz des deutschen Elementes der Südtiroler geschaffen wurde. Dieser Vertrag blieb buchstäblich ein leeres Blatt Papier. Dazu kam noch die Tatsache, dass Degasperi, der 1948 bereits Ministerpräsident war, die beiden Provinzen Bozen und Trient zu einer Region zusammenlegte und somit seine Landsleute, die Trentiner, an der Autonomie teilhaben ließ. Das war für uns Südtiroler ein arger Schlag, denn dadurch kamen wir auf demokratische Art und Weise in die Minderheit. Die meisten Kompetenzen lagen bei der Region und so konnten sie mit uns Schlitten fahren, was sie auch weidlich ausgenützt haben.
Zusätzlich setzte in den fünfziger Jahren eine starke, vom italienischen Staat gelenkte Zuwanderung ein, welche uns im eigenen Land in die Minderheit drängen sollte. Von daher stammt der von Kanonikus Michael Gamper geprägte Satz vom „ Todesmarsch der Südtiroler.“
Scharenweise kamen arbeitslose Italiener vom Süden nach Bozen und wurden dort in Holzbaracken untergebracht. Durch ein gut ausgeklügeltes System bekamen diese Arbeiter dann immer mehr Punkte als die Südtiroler, da diese doch, wenn auch alte, aber eben doch Wohnungen besaßen. Die Italiener bekamen dann die Neubauwohnungen und in den leer gewordenen Baracken rückten wieder die inzwischen zugewanderten Italiener nach. Es war ein Kreislauf, der nicht aufhörte. So kam es, dass bei den neuen Wohnungen 90% Italiener zum Zuge kamen und nur 10% Südtiroler.
Bei den öffentlichen Arbeitsstellen war ein ähnliches Verhältnis. In den Schlüsselstellungen saßen immer noch die alten Faschisten, im Mantel der damaligen DC eingehüllt, welche ihren Landsleuten die guten Arbeitsplätze zuschanzten. So kam es, dass viele Tausende (10.000-15.000) junge Südtiroler ins Ausland gehen mussten, weil sie in der Heimat keine Arbeit fanden. Das verursachte natürlich böses Blut.
1957 im Sommer hat der damalige Innenminister Togni 2,5 Milliarden Lire für ein neues Stadtviertel in Bozen mit 5.000 Neubauwohnungen ausgeschüttet. Das hat dann das Fass zum Überlaufen gebracht: Die SVP organisierte eine Großkundgebung auf Schloss Sigmundskron, die Landeshauptstadt Bozen wurde uns dafür verwehrt, an der 35.000 Südtiroler teilnahmen. Die Luft knisterte förmlich vor Spannung, als der neue Parteiobmann Silvius Magnago ans Rednerpult trat. Er rief damals das Schlagwort „Los von Trient“ aus. Enttäuschung machte sich breit, die meisten Teilnehmer hatten sich das „Los von Rom“ erwartet. Sehr viele Transparente wiesen in diese Richtung. Dieser Tag war wohl auch die Geburtsstunde des BAS (Befreiungsausschuss Südtirol). Es hatten sich mehrere gleichgesinnte Männer um Sepp Kerschbaumer geschart, welche bei dieser Kundgebung das erste Mal mit Transparenten in Aktion traten.
Damit begann auch der Aufbau der Untergrundorganisation BAS. Es wurden gleichgesinnte Männer gesucht, welche bereit waren, für die Heimat Opfer zu bringen und wenn nötig zum Sprengstoff zu greifen. Im ganzen Land wurden Zellen aufgebaut, soweit eben Leute gefunden wurden, und diese wurden dann abwechselnd nach Nordtirol zu Sprengstoffkursen geschickt.
1960 wurden dann die ersten Anschläge auf Rohbauten der Volkswohnbauten durchgeführt. Diese und die Industriezone in Bozen waren für uns nämlich der Inbegriff der Italianisierung in unserer Heimat.
Im November 1960 brachte der österreichische Außenminister Bruno Kreisky das Südtirol-Problem vor die Vollversammlung der Vereinten Nationen. Ein halbes Jahr vorher hatte in Bozen bei der Landesversammlung der SVP diese mit einer knappen Mehrheit entschieden, dass Kreisky das Problem im Zeichen der Autonomie vorbringen soll. In einer heiß umkämpften Resolution hatte diese Italien aufgefordert, mit Österreich über das Problem zu verhandeln und eine Lösung zu finden. Italien zog die Verhandlungen in die Länge, der politische Wille fehlte. Sie behaupteten immer, der Pariser Vertrag sei erfüllt, sie verhandeln nicht, sie führen nur Gespräche.
Als dann in der ersten Hälfte von 1961 nacheinander die Verhandlungen in Mailand, Zürich und Klagenfurt scheiterten, platzte uns der Kragen und wir beschlossen in Zernetz in der Schweiz, den großen Schlag durchzuführen. Wir wollten die Weltöffentlichkeit auf das große Unrecht in Südtirol aufmerksam machen und natürlich die Loslösung von Italien durch Selbstbestimmung verlangen.
Es war die Feuernacht vom 11. Juni, bei der 47 Elektromasten und 8 Anschläge auf E-Werke durchgeführt wurden. Der politische Effekt war groß, die Presse schrieb vom “Aufstand“ bis hin zum “Bürgerkrieg“.
Im Land wurden zahllose menschenrechtswidrige Hausdurchsuchungen durchgeführt, aber keine bei uns Aktivisten. Anscheinend tappte der Geheimdienst im Dunkeln. Bis dann ein Monat später die Lawine der Verhaftungen, ausgelöst durch die brutalen Folterungen, losbrach.
Den Bereich Folterungen wird mein Kollege Luis Gutmann behandeln.
Die Auswirkungen der Anschläge waren das sogenannte Paket, das Ergebnis der Verhandlungen mit Italien durch die Neunzehner Kommission. 8 Jahre hat es gedauert bis zum Paket, also kann man wohl nicht vom guten Willen von Seiten Italiens sprechen!
1969 wurde dieses Paket bei der Landesversammlung der SVP in Meran mit knapper Mehrheit von 52% zu 48% angenommen.
1972 ist dann das zweite Autonomiestatut in Kraft getreten.
1976 hat SVP-Parteiobmann Magnago bei der SVP-Landesversammlung in Meran uns Freiheitskämpfer rehabilitiert. Er sagte, dass die Anschläge der 60er Jahre sehr wohl zum Zustandekommen des zweiten Autonomiestatutes beigetragen haben.
Nordtirols Landeshauptmann Wendelin Weingartner und Südtirols Landeshauptmann haben in den neunziger Jahren öffentlich sinngemäß dasselbe erklärt.
In den folgenden Jahren, eigentlich Jahrzehnten, ist durch die schleppende Anwendung der Autonomie und den Fleiß der Südtiroler ein Wohlstand entstanden, der sich sehen lassen kann. Aber der Wohlstand hat ein positives und negatives Gesicht. Und somit komme ich zum zweiten Teil meines Vortrages, zur jetzigen politischen Situation in Südtirol.
Der 2. Teil (politische Situation in Südtirol)
Der Südtiroler Heimatbund und die patriotischen Kräfte im Lande, haben diese Autonomie immer nur als Übergangslösung betrachtet. Sie kann auf die Dauer unser Volkstum nicht schützen, denn die schleichende Assimilierung geht unaufhaltsam weiter.
Unser Ziel ist und bleibt weiterhin das „Los von Italien“ durch Selbstbestimmung! Der SHB hat in Süd-, Nord- und Osttirol Umfragen in Auftrag gegeben und zwar wegen einer eventuellen Rückkehr zu Österreich oder einen Freistaat Südtirol. In Südtirol sprachen sich 55% für ein „Los von Italien“ aus. Davon 33% für einen Freistaat und 22% für eine Wiedervereinigung mit Österreich. In Nord- und Osttirol haben sich 54% für eine Wiedervereinigung der drei Landesteile ausgesprochen. Die Italiener in Südtirol haben sich zu 20% spontan für eine Loslösung von Italien hin zu einem Freistaat ausgesprochen und weitere 16%, wenn es in Italien wirtschaftlich weiter bergab geht. Wenn es einmal soweit ist, dann werden wir auch die Stimmen der Italiener brauchen, das wäre Rom gegenüber ein starkes Argument.
Wenn die vernünftigen Italiener die Geschichte unseres Landes und die Tiroler Kultur anerkennen, dann haben wir nichts dagegen, schließlich gab es früher ja auch drei Sprachgruppen im Lande.
Die negative Seite des Wohlstandes ist das nachlassende Interesse am Volkstumskampf. Der politische Weitblick wird getrübt, die Gleichgültigkeit eines Teiles der Südtiroler der Politik und der schleichenden Assimilierung gegenüber ist erschreckend. Die vielen tausend Mischehen sind eine große Gefahr, denn der italienische Partner ist meistens der Stärkere, weil die Italiener von Haus aus nationalistischer eingestellt sind als die Tiroler. In den Schulen, im Kindergarten fängt es schon an, dort wird verstärkt auf die italienische Sprache gedrängt und unterrichtet. Wir sind nicht gegen das Erlernen der ital. Sprache, das ist sogar sehr wichtig. Es darf aber nicht zu früh geschehen und darf nicht auf Kosten unserer Muttersprache gehen. Auch der Sport hat seine Tücken. Wenn unsere Spitzensportler mit der Trikolore herummarschieren und unsere jungen Fans jubeln ihnen zu, identifizieren sie sich unbewusst mit Italien. Dann: Die vielen Ausländer kommen nach Südtirol und glauben in Italien zu sein. Sie kennen unsere Kultur nicht und schicken die Kinder in den ital. Kindergarten und später in die ital. Schulen. Die meisten werden später einmal italienisch wählen. Die Überfremdung unserer Volksgruppe geht also noch schneller vonstatten.
Der italienische Staat hat sein Ziel, uns zu assimilieren, nie aufgegeben. Er wendet nur andere, schlauere Methoden an, sozusagen sanftere und das ist sehr gefährlich, weil wir es nicht merken. Keine Minderheit kann auf die Dauer einer so großen Übermacht wie Italien trotzen; auch uns als Volksgruppe geht – trotz der Autonomie – so langsam die Luft aus.
Andererseits gibt es aber auch positive Anzeichen, denn noch nie war der Zulauf von Jugendlichen bei den patriotischen Verbänden und Parteien so groß wie in den letzten Jahren.
Die Jugend findet bei der SVP keine Heimat mehr, sie bietet ihnen keine Visionen. Ihr geht es nur mehr um den Erhalt der Macht und das Geld. Sie ist zu einem Verwaltungs- und Geldverteilungsapparat herabgesunken. Sie hat in den vergangenen Jahren die Volkstumspolitik sträflich vernachlässigt! Möchte dabei aber betonen, dass es auch innerhalb der SVP noch gute Kräfte gibt, denen diese Linie nicht passt, welche aber leider in der Minderheit sind.
Aber auch die Berlusconi-Regierung hat neben den negativen auch ihre guten Seiten für uns Patrioten: Die enorme Staatsverschuldung und das ständige Loch im Staatshaushalt treiben die Steuern in die Höhe, Italien ist ja Spitzenreiter in der EU. Die Unternehmer und Handwerker stöhnen unter der hohen Steuerlast. Tausende Südtiroler Familien wissen am Ende des Monats nicht, wie sie ihre Lebensmittelrechnung bezahlen sollen. Die vielen Skandale in Italien und die veruntreuten Gelder verschlingen Unsummen von Finanzmitteln, welche dem italienischen Staat verloren gehen. Die Wirtschaft in Italien liegt am Boden und reißt uns Südtiroler trotz Autonomie mit in die Tiefe.
Dies alles muss uns Südtirolern zu denken geben und vielen die Augen öffnen. Wir müssen versuchen, sobald als möglich von diesem bankrotten Staat wegzukommen, mit dem wir nichts gemeinsam haben, weder die Sprache noch die Kultur oder die Mentalität! Auch die SVP wird früher oder später einsehen müssen, dass der Weg der Autonomie zu Ende ist, wenn wir als Tiroler überleben wollen. SVP-Parlamentarier Karl Zeller hat schon voriges Jahr öffentlich erklärt, dass die dynamische Autonomie tot sei, dass sie schon jahrelang rückläufig sei. Wir müssen die patriotischen Kräfte bündeln und gemeinsam die SVP versuchen zu überzeugen, dass es so nicht weiter geht. Denn die Selbstbestimmung werden wir auch nicht von heute auf morgen bekommen, aber wir müssen endlich erste Schritte in diese Richtung in die Wege leiten, damit wir nicht von einem möglichen politischen oder wirtschaftlichen Zusammenbruch Italiens überrascht und überrumpelt werden.
Die Initiative muss aber von uns Südtirolern ausgehen und wenn wir den festen Willen dazu haben, werden uns auch Österreich und andere europäische Länder dabei unterstützen. Ich hoffe sehr, dass uns dies gelingt, bevor es zu spät ist, damit die vielen und großen Opfer des Freiheitskampfes der fünfziger und sechziger Jahre nicht umsonst gewesen sind!!
Linz, am 6. Mai 2010
Sepp Mitterhofer