Am Dienstag, den 17. August 2010 ist der aus Sassari in Sardinien stammende ehemalige italienische christdemokratische Innenminister, Ministerpräsident, Senatspräsident und Staatspräsident Francesco Cossiga in einer römischen Klinik im Alter von 82 Jahren verstorben. Cossiga war überzeugter sardischer Autonomist und ein Freund Südtirols. Die SÜD-TIROLER FREIHEIT, so Leitungsmitglied Roland Lang, widmet ihm ein ehrendes Andenken.
Initiative für das Selbstbestimmungsrecht der Südtiroler
Am 24. Mai 2006 legte Cossiga in seiner Eigenschaft als Senator auf
Lebenszeit dem römischen Senat einen mit einer historischen Begründung
versehenen Antrag vor, dessen Kernsatz (Artikel 1) lautete: „Dem Volk
des Landes Südtirol-Autonome Provinz Bozen wird das Recht zur
Selbstbestimmung eingeräumt.“
Die Südtiroler aller Sprachgruppen sollten darüber abstimmen können, ob
ihr Land weiterhin bei Italien bleiben, einen Freistaat-Status erhalten
oder an Österreich oder an die Bundesrepublik Deutschland angeschlossen
werden solle.
Eine öffentliche Debatte hätte angeregt werden sollen
Der erfahrene Politiker Cossiga war kein Traumtänzer, der nun meinte, in
Senat und Kammer des römischen Parlaments umgehend die Selbstbestimmung
Südtirols herbeiführen zu können. Es sollte aber wohl angesichts
zunehmender zentralstaatlicher Tendenzen Roms eine öffentliche
Föderalismusdebatte bis hin zur Erörterung völliger regionaler
Selbständigkeiten vom Zaun gebrochen werden. Mit Sicherheit hatte der
überzeugte sardische Patriot und Autonomist dabei auch eine Debatte über
die Zukunft seiner Heimat Sardinien im Sinn.
Unverständliche und feindselige Reaktion der Südtiroler Volkspartei
Statt den Ball aufzugreifen und die öffentliche Debatte über die Zukunft
Südtirols zu beginnen, reagierte die „Südtiroler Volkspartei“ (SVP)
feindselig auf die Cossiga-Initiative.
Zunächst hatte sich am 24. Mai 2006 der SVP-Obmann Pichler-Rolle noch
für die Cossiga-Initiative bedankt und erklärt, dass man dieser „mit dem
Herzen“ zustimmen könne. (SVP-Mediendienst) An Cossiga persönlich
schrieb Pichler-Rolle, dass die SVP den Gesetzesentwurf sorgfältig
prüfen werde („esaminerà con attenzione il disegno di legge“).
Landeshauptmann Durnwalder jedoch lehnte Cossigas Vorschlag rundweg ab
und erklärte, dass eine Ablehnung des Cossiga-Antrages in der
Parlamentskommission das endgültige „Aus“ für die Südtiroler
Selbstbestimmung bedeuten würde. Weshalb man also dieselbe erst gar
nicht verlangen dürfe.
Die Landtagsabg. Dr. Eva Klotz erklärte dazu: „Durnwalders Aussage, es
bedeute das endgültige Nein für die Selbstbestimmung, wenn ein Antrag in
der entsprechenden Parlamentskommission abgelehnt würde, ist Ausdruck
unverzeihlichen Dilettantismus!“
Auf die Brüskierung durch die SVP hin zog Cossiga seinen Antrag zurück.
Nun fiel der SVP-Obmann Pichler-Rolle öffentlich in einer
Presseerklärung über ihn her: „Ich habe den Eindruck, dass Senator
Francesco Cossiga bewusst der Südtiroler Volkspartei schaden will, aus
welchen Gründen auch immer. Er will offenbar die Einigkeit und
Geschlossenheit der Südtirolerinnen und Südtiroler brechen und einen
Keil in die Bevölkerung treiben.“
Trotz dieser Beleidigungen brachte Cossiga seinen Antrag einen Monat
später auf Bitten der deutschen Oppositionspolitiker – vor allem auf
Initiative der Landtagsabg. Dr. Eva Klotz – erneut ein.
Die SVP verweigerte sich aber weiterhin jeder sachlichen Diskussion
darüber und war auch nicht bereit, die Initiative auf parlamentarischer
Ebene zu unterstützen. Damit verlief das Projekt im Sande.
Bei der „Siegesplatz“-Provokation auf Seiten der Südtiroler
Dass Cossiga durchaus Verständnis für die Südtiroler Anliegen hatte,
zeigte sich bei dem Referendum in Bozen über die Frage, ob der
Friedensplatz nahe der Bozener Altstadt wieder die alte faschistische
Bezeichnung „Siegesplatz“ tragen sollte.
Am 15. November 2001 hatte der Gemeinderat auf Initiative des
demokratisch gesonnenen Bürgermeisters Giovanni Salghetti-Drioli die
Umbenennung in „Friedensplatz“ beschlossen gehabt. In der
Gemeinderatssitzung hatte der Bürgermeister bewegt von einer „Morgenröte
der Südtiroler Geschichte“ gesprochen gehabt. Das hatte die Faschisten
alter und neuer Prägung nicht ruhen lassen.
Unbedingt sollte der Name des Platzes wieder an die gewaltsame
Inbesitznahme des südlichen Tirol durch die italienische Armee nach dem
Zusammenbruch Österreich-Ungarns erinnern.
Ein von der neofaschistischen „Alleanza Nazionale“ (AN) und der
neofaschistischen Splitterpartei „Unitalia“ initiiertes Referendum in
der mehrheitlich italienisch (rund 73%) besiedelten Stadt Bozen hatte am
6. Oktober 2002 eine Mehrheit von 61,94% Ja-Stimmen gegen 38,06%
Nein-Stimmen für die Rückbenennung des Platzes zu „Siegesplatz“ ergeben,
die dann auch erfolgte.
Der ehemalige italienische Staatspräsident Francesco Cossiga hatte sich
darauf hin in der Zeitung „Dolomiten“ umgehend bei den Südtirolern für
das Fehlverhalten seiner Bozner Landsleute entschuldigt: Das
Abstimmungsergebnis sei „Ausdruck eines nationalistischen Revanchismus
und eines authentischen, nicht mehr Post- sondern Neofaschismus.“
Cossiga stellte außerdem fest, „dass die föderalistische Politik der
Regierung Berlusconi etwas zwischen kraftlosem Willen und Betrug ist.“
Zudem sah Cossiga auch die Autonomieregelungen für seine Heimat
Sardinien in Gefahr und befürchtete: „Das Ergebnis bringt Italien in
Misskredit auf europäischer Ebene.“
Cossiga im Jahre 2009 über Südtirol: Recht auf Selbstbestimmung kann dem Südtiroler Volk nicht vorenthalten werden!
Am 3. September 2009 gab Cossiga dem Journalisten Günther Jeneweil von
der „Tiroler Woche“ ein Exklusiv-Interview, in welchem er erklärte,
„dass das Recht der Völker auf Selbstbestimmung, welches in den
Erklärungen der Vereinten Nationen und des Europarates für unantastbar
erklärt wurde, dem Tiroler Volk nicht vorenthalten werden kann … Die
italienische Regierung, insbesonders unter dem Faschismus, plante eine
Entgermanisierung Südtirols und entfernte sich damit von den Idealen
Mazzinis. Zuerst kam die italienische Kolonialisierung und später im
Einvernehmen mit Adolf Hitler die Ausweisung der Bürger deutscher
Volkszugehörigkeit.“ Südtirol „wurde von einem geistig bescheidenen und
verlogenen faschistischen Geografen (Anm.: Ettore Tolomei) ‚Alto Adige‘
genannt.“
Bedauernd erklärte Cossiga in dem Interview, dass die SVP offenbar keine
Änderung des Status quo, „also keine Ausübung des
Selbstbestimmungsrechtes“ wolle.
Er habe übrigens noch keine Einladung zu dem Tiroler Landesfestzug erhalten, würde aber gerne kommen.
Man sah Cossiga dann auch nicht auf der Innsbrucker Ehrentribüne des
Landesfestzuges von 2009. Offenbar war er als Befürworter der
Selbstbestimmung Südtirols nicht für würdig erachtet worden, neben
Politikern wie Platter, Khol und Spindelegger zu sitzen, die den Leuten
damals erzählten, die Landeseinheit Tirols sei ohnedies in der EU
bereits erreicht.
Roland Lang
Leitungsmitglied der SÜD-TIROLER FREIHEIT
Obmannstellvertreter des Südtiroler Heimatbundes