Nachdem nun der am 3. November 2010 im Alter von 92 Jahren im Bozner Landeskrankenhaus verstorbene Dr. Alfons Benedikter in geweihter Erde ruht, möchte ich, Roland Lang, der Wahrheit zuliebe und nach vielen ehrlichen aber auch einigen heuchlerischen Nachrufen auf sein politisches Lebenswerk klarstellen, dass dieser große Politiker niemals die Zugehörigkeit Südtirols zu Italien anerkannt und niemals die Autonomie als endgültige Lösung für Südtirol angesehen hat!
Alfons Benedikter, den ich durch den Südtiroler Freiheitskämpfer Hans
Stieler ungefähr im Jahre 1987 kennenlernte und mit dem ich bei
Sitzungen und Versammlungen viel zusammen war, strebte immer die
Selbstbestimmung für Südtirol an.
Sein Einsatz galt dem Erhalt des derzeit fremdbestimmten Tiroler Volkes
bis zur Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes! Das beweist auch die
nachstehende dokumentarische Zusammenstellung:
Unterschriften für Freiheit und Landeseinheit
In seiner Jugend erlebt Alfons Benedikter die Bedrückung der deutschen
und ladinischen Volksgruppe durch den Faschismus. Er studiert
Rechtswissenschaften in Neapel und lernt dabei auch die italienische
Mentalität in Bezug auf formale Rechtsauffassung kennen. Nach
Kriegsdienst in der Deutschen Wehrmacht und seiner Rückkehr in die
Heimat gehört Benedikter zu dem Gründerkreis der „Südtiroler
Volkspartei“ (SVP).
Anfang Oktober 1945 übernimmt er in Schlanders die Leitung des Bezirks
Vinschgau der SVP, welche das Ziel der Wiedervereinigung Tirols in ihren
Statuten verankert hat.
Er hilft maßgebend die heimliche Sammlung von Unterschriften für die
Rückkehr Südtirols zu Österreich zu organisieren und geht im Vinschgau
zusammen mit anderen selbstlosen Helfern auch selbst mit
Unterschriftenlisten von Haus zu Haus.
Die Carabinieri vernehmen Gerüchte, sind argwöhnisch, können die
Unterschriftensammler aber nicht fassen. Es ist wie ein Wunder! Das
ganze Land hält eisern zusammen. Es gibt keinen Verrat!
Die Unterschriften werden heimlich über die Grenze gebracht. Am 22.
April 1946 werden auf einer Großkundgebung in Innsbruck 123.777
Südtiroler Unterschriften dem österreichischen Bundeskanzler Dr. Figl
übergeben. So gut wie alle wahlberechtigten Südtiroler haben für die
Wiedergewinnung der Einheit Tirols unterschrieben. Zusammen mit den
Unterschriften der in Österreich befindlichen Optanten, die noch nicht
in ihre Heimat zurück kehren dürfen, sind es rund 155.000 Unterschriften
für die Freiheit und Einheit des Landes.
155.000 Südtiroler Unterschriften für die Landeseinheit Tirols werden am
22. April 1946 dem österreichischen Außenminister Figl (links im Bild)
übergeben
Die Enttäuschung: Der „Pariser Vertrag“ – Kampf für verbesserte Autonomie und Selbstbestimmung
Der von dem österreichischen Außenminister Karl Gruber unterzeichnete
„Pariser Vertrag“ von 1946 und das daraus folgende unzulängliche erste
Autonomiestatut von 1948 sind für Benedikter eine große Enttäuschung. Ab
nun gilt sein ganzer Einsatz dem Widerstand gegen eine Selbstaufgabe
der Südtiroler.
Dabei bleibt die Selbstbestimmung das große und endgültige Ziel Alfons
Benedikters, welches er auch als jahrzehntelanges Mitglied des
Südtiroler Landtags, der Regionalregierung und der Südtiroler
Landesregierung als Landesrat und Landeshauptmannstellvertreter nie aus
den Augen verliert.
Benedikter wird als hervorragender Verfassungs- und Verwaltungsjurist
von der SVP als sachverständiger Verbindungsmann zu den österreichischen
UNO-Delegationen und Verhandlungsdelegationen bei den
Südtirol-Verhandlungen in Mailand, Klagenfurt, Zürich und Genf entsandt.
Paketabschluss 1969: Erste große Auseinandersetzung mit Magnago
Zur ersten grundsätzlichen Auseinandersetzung zwischen ihm und dem
Parteiobmann Magnago kommt es, als dieser am 20. Oktober 1969 dem
Parteiausschuss der SVP den von ihm mit den Italienern ausgehandelten
„Paket“-Text im Eiltempo vorliest und sich weigert, den
Ausschussmitgliedern die Unterlagen zur näheren Durchsicht zu
überlassen.
Benedikter verlässt zusammen mit Senator Dr. Peter Brugger, Assessor Dr.
Joachim Dalsass und dem Kammerabgeordneten Dr. Hans Dietl empört die
Sitzung. Die verbliebenen Mitglieder beschließen jedoch nach der
Eilvorlesung mit 41 gegen 23 Stimmen bei zwei Enthaltungen, der
Landesversammlung die „Paket“-Annahme zu empfehlen.
Trotz Magnagos Geheimniskrämerei kennt Benedikter bald die Inhalte des
Verhandlungsergebnisses und am 5. November 1969 legen er, Dalsass und
Dietl der Öffentlichkeit eine Broschüre mit dem Titel „Südtirol vor der
Entscheidung“ vor, in welcher sie Magnagos Verzicht auf eine eigene
Regionalautonomie für Südtirol anprangern. Dies bedeute den Verzicht auf
eine Reihe klarer Autonomieregelungen und gewähre Rom zu viele
Einmischungsmöglichkeiten in die Südtiroler Autonomie-Belange.
Die Broschüre „Südtirol vor der Entscheidung“ warnt vor Fehlentscheidungen.
Am 23. November 1969 nimmt die Landesversammlung der SVP jedoch mit knappen 52,8 Prozent der Stimmen das „Paket“ an.
Bei der Paketumsetzung der wichtigste Mann Südtirols
Obwohl Benedikter und seine Freunde auf der SVP-Landesversammlung
überstimmt worden sind, bringt Benedikter in der Folge als Mitglied der
wichtigsten Kommissionen sein ganzes Fachwissen und seine Arbeitskraft
in die Umsetzung des „Pakets“ zu einer möglichst guten Autonomie ein.
Er ist von 1972 bis 1989 wesentlich an der Ausarbeitung der
Durchführungsbestimmungen zum Statut beteiligt und nimmt an rund 60
Ministerratssitzungen in Rom teil, um mit der italienischen Gegenseite
zäh um jedes Detail zu ringen.
Die „Dolomiten“ berichten am 4. November 2010 darüber, wie sich der
heutige SVP-Kammerabgeordnete zum römischen Parlament, Dr. Karl Zeller,
an diese Zeit erinnert, in der er ein junger Mitarbeiter Benedikters
war:
„‘Alfons Benedikter war ein brillanter juridischer Kopf. Er war der Mann
fürs Kleingedruckte.‘ … Zeller ist überzeugt: ‚Bei der Paketumsetzung
war Benedikter der wichtigste Mann in Südtirol. Die Ironie des
Schicksals wollte es, dass mit Benedikter gerade ein Paketgegner das
Letzte aus dem Paket herausholte, was noch herauszuholen war – mit
Zähnen und Klauen‘, erinnert sich Zeller. Benedikter habe akribisch über
die buchstabengetreue Umsetzung gewacht, und er arbeitete die
Durchführungsbestimmungen eigenhändig aus – das können nur wenige
Politiker, berichtet Zeller.“
Benedikter ist der Mann für das Genaue. Nicht weil er ein pedantischer
Kleingeist ist, sondern weil ihm die Einstellung der Regierungsseite
vertraut ist, formaljuristische Schwachstellen interpretativ ausufernd
auszunützen. Mit dieser Pflichtauffassung wird er wiederum in Gegensatz
zu Magnago geraten.
Benedikter gegen zu große Ermessensspielräume Roms
Ende der 1980er Jahre stellt sich Benedikter gegen einen vorschnellen
Abschluss der zähen und detailreichen Autonomieverhandlungen. Aus seiner
Sicht eröffnen Unklarheiten und Zweideutigkeiten lediglich der
römischen Auslegungskunst ein weites Feld und werden damit Quelle
künftiger Auseinandersetzungen sein oder in letzter Konsequenz zu
Kapitulationen auf der Südtiroler Seite führen.
Am 29. Februar 1988 präsentiert Magnago dem Parteiausschuss der SVP
jedoch ein ultimatives Verhandlungsangebot des italienischen
Regionen-Ministers Gunella, der androht, dass die italienische Regierung
einseitig weiter vorgehen werde, wenn die SVP ihre Vorschläge ablehne.
In dieser Situation gibt der SVP-Parteiausschuss dem Drängen von
Parteiobmann Magnago nach und akzeptiert das italienische
Verhandlungsangebot.
Magnago wird später vor der Presse erklären, man habe Rom im Vertrauen auf dessen guten Willen „Blankoschecks“ ausgestellt.
Benedikter, der erfahrene langjährige SVP-Chefunterhändler in Rom, lehnt
als guter Verwaltungsjurist am 3. März 1988 in den „Dolomiten“ den
Beschluss des SVP-Parteiausschusses als vorschnell ab.
Am 16. August 1988 stellen Benedikter und der Regionalratspräsident Dr.
Luis Zingerle (ebenfalls SVP) in Wien der Presse ihre warnende Broschüre
„Paketabschluß – so nicht“ vor.
Sie weisen neben zahlreichen inhaltlichen Mängeln der geplanten Lösung
darauf hin, dass keine internationale Garantie des „Pakets“ vorgesehen
ist.
Die warnende Broschüre „Paketabschluß – so nicht“ weist darauf hin, dass
keine international verankerte rechtliche Garantie des „Pakets“
vorgesehen ist.
Völlige Ausschaltung des herausragendsten Autonomiefachmannes Südtirols
Magnago schaltet nun Benedikter aus allen weiteren Verhandlungen mit Rom
aus. Die gehorsame Parteileitung der SVP zieht Dr. Alfons Benedikter
aus der 6er und 12er Kommission zurück, wo die Durchführungsbestimmungen
zum „Paket“ beraten werden. Dr. Magnago und Dr. Riz nehmen nun alles
allein in ihre Hand.
Nun tritt Benedikter aus der SVP aus und erklärt: „Wenn die 1988 von
Jänner bis Dezember von Parteiausschuss und Landesversammlung gefassten
Beschlüsse so wie bisher dem Worte und dem Geiste nach durchgeführt
werden, steht am Ende der endgültige Verzicht auf jegliche
internationale Verankerung der Südtirolfrage.“
Benedikter weist öffentlich darauf hin, dass die einzelnen
„Paket“-Bestimmungen selbst und nicht nur der ganz allgemein gehaltene
und unpräzis formulierte „Pariser Vertrag“ international garantiert und
einklagbar gemacht werden müssten.
Von links nach rechts: Dr. Alfons Benedikter, Dr. Eva Klotz, der
FPÖ-Südtirolsprecher Dr. Siegfried Dillersberger und Gerold Meraner
haben sich in Wien zur Beratung der Südtiroler Frage getroffen.
„Paket“ ist nur Übergangslösung – Berufung Benedikters in österreichischen Parlaments-Ausschuss
Am 16. Oktober 1990 stellt der nunmehr der Oppositionspartei „Union für
Südtirol“ angehörende Experte Benedikter zusammen mit den
Landtagsabgeordneten Eva Klotz und Gerold Meraner der Presse die
Broschüre „Südtirol 1990. SVP und Österreich verzichten auf
Selbstbestimmung und Autonomie“ vor.
Darin kritisiert Benedikter wiederum die mangelnde völkerrechtliche
Absicherung des „Pakets“. Neben der Aufzählung zahlreicher mangelhaft
geregelter Fragen (darunter auch der Ortsnamensgesetzgebung) verweist
Benedikter auf die mangelnde Rechtswahrung hinsichtlich des
Selbstbestimmungsrechtes. In diesem Zusammenhang stellt er aber auch
klar: „Selbst wenn das Paket mit all seinen Maßnahmen echt durchgeführt
und seine internationale Verankerung sichergestellt würde, bliebe es nur
eine Übergangslösung bis zur Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes.“
Benedikter erhebt in der Broschüre einige wichtige Forderungen an die
Schutzmacht Österreich, deren Durchsetzung er in der Folge mit der Hilfe
der FPÖ erreichen wird. Eine davon ist die Forderung nach offizieller
Übergabe aller italienischen „Paket“-Maßnahmen an Österreich, um die
Aussichten auf deren Einklagbarkeit bei dem Internationalen Gerichtshof
in Den Haag zu verbessern.
Alfons Benedikter hat sich auf deren Bitten der FPÖ als Berater in
Südtirolfragen zur Verfügung gestellt. Hier sehen wir ihn (ganz links)
in Beratung mit dem ihm gegenübersitzenden FPÖ-Obmann Dr. Jörg Haider.
An dessen Seite sitzt (im blauen Sakko) der nunmehrige
FPÖ-Südtirolsprecher Walter Meischberger.
Benedikter stellt sich dem FPÖ-Parteiobmann Jörg Haider und dessen
Südtirol-Sprecher Walter Meischberger auf deren Bitte als Berater in
Südtirolfragen zur Verfügung.
Am 25. Mai 1992 beginnen wichtige Beratungen des
Südtirol-Unterausschusses des Außenpolitischen Ausschusses des
Nationalrates in Wien: Erstmals ist mit Dr. Alfons Benedikter ein
Südtiroler mit italienischer Staatsbürgerschaft als Experte an den
Beratungen eines österreichischen Parlamentsausschusses beteiligt. Die
FPÖ hat ihn nominiert und zugezogen. Der ÖVP-Experte Univ. Prof. Dr.
Ermacora ist darüber hoch erfreut. Außerhalb der Sitzungen treffen sich
die beiden Patrioten heimlich und sprechen ihr koordiniertes Vorgehen im
Ausschuß ab. Ermacora’s Partei, die ÖVP, darf davon nichts erfahren.
Die Argumente der beiden Experten werden in der Beschlussfassung des
Österreichischen Nationalrates zur Streitbeilegungserklärung und in der
Formulierung der österreichischen Verbalnote an Rom ihren Niederschlag
finden.
Alfons Benedikter (links) mit dem FPÖ-Obmann Jörg Haider
Rechtswahrung des Österreichischen Nationalrates: „Paket“-Lösung ist kein Verzicht auf Selbstbestimmung
Am 30. Mai 1992 beschließt die Landesversammlung der SVP ihre endgültige
Zustimmung zum „Paket“-Abschluß. Der Österreichische Nationalrat
beschließt darauf hin am 5. Juni 1992 die Abgabe der österreichischen
Streitbeilegungserklärung.
Es ist mit das Verdienst von Ermacora und Benedikter, deren Anliegen von
dem ehemaligen österreichischen Justizminister Univ. Prof. Dr. Hans
Klecatsky unterstützt wird, dass in diesem Beschluss folgende wichtige
Rechtswahrung enthalten ist: „„Der Nationalrat stellt fest, daß es seine
zuvor schon wiederholt zum Ausdruck gebrachte Auffassung ist, daß die
Paketmaßnahmen Akte in Ausführung des Pariser Vertrages sind.
In Hinblick auf diesen Charakter der Paketmaßnahmen bekräftigt der
Nationalrat die Aussage des Ausschusses des Nationalrates vom 1. Oktober
1946, daß der Pariser Vertrag keinen Verzicht auf die Selbstbestimmung
Südtirols bedeutet.“
Benedikter zieht sich bald altersbedingt ins Privatleben zurück.
Magnagos „Paket“-Lösung weist, wie alle Fachleute wissen, neben Vorzügen
auch bedeutende und sehr grundlegende Schwachstellen und Mängel auf.
Dass deren nicht viel mehr sind, dafür hat Alfons Benedikter von Magnago
und der SVP weitgehend unbedankt mit Fachwissen, ungeheurem
Arbeitsaufwand und jahrelanger unermüdlicher Zähigkeit gesorgt.
Wir behalten ihn als einen großen Sohn Tirols im ehrenden Gedächtnis.
Roland Lang