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Landesversammlung 2010: Rede von Dr. Margareth Lun

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Landesversammlung 2010: Rede von Dr. Margareth Lun

Jahresversammlungen sind immer ein Anlass, einmal innezuhalten, zurückzuschauen, und den Standort zu bestimmen. Solche Jahresversammlungen sind aber auch wichtig für den Gedankenaustausch, und damit gemeinsame Perspektiven vereinbart werden können. Auch in diesem Jahr sind wieder wichtige politische Akzente gesetzt worden – und zwar sowohl kulturelle als auch volkstumspolitische Akzente.

Vor allem aber hat die Südtiroler Freiheit unermüdlich ihre Stimme erhoben, wo es um unsere Heimat und vor allem um die Wahrung unserer Rechte als Minderheit ging.

Das stärkste Zeichen, das ihr in diesem Jahr aber gesetzt habt, ist sicher die Bürgerinitiative zur doppelten Staatsbürgerschaft.

Wenn das klappt, wenn wir diese doppelte Staatsbürgerschaft für Südtiroler wirklich erreichen, und davon bin ich fest überzeugt, dann sind wir unseren Zielen schon ein ganzes Stück näher gekommen.

Die Vorteile für eine österreichische Staatsbürgerschaft für uns Südtiroler liegen auf der Hand. Es ist nicht nur, dass fast alle von uns das erste Mal in ihrem Leben eine Staatsbürgerschaft haben, auf die sie auch stolz sein können, sondern es gibt noch eine ganze Reihe von anderen Gründen, die es erstrebenswert machen, österreichischer Staatsbürger zu werden:

• Erstens kann Österreich seine Schutzmachtfunktion für Süd-Tirol international viel besser ausüben, wenn wir Südtiroler österreichische Staatsbürger sind; schließlich hat ja jeder Staat nicht nur das das Recht, sondern auch die Pflicht, seine eigenen Staatsbürger zu schützen.

• Zweitens können sich die Südt-Tiroler überall, wo immer auf der Welt sie es brauchen, an eine österreichische Botschaft wenden und dort deutsch reden.

• Dann können selbstverständlich auch Südtiroler Sportler in die österreichische Nationalmannschaft aufgenommen werden. Das heißt, es kommt endlich nicht mehr zu diesen peinlichen Situationen mit der Mameli-Hymne und dass unsere Sportler, wie z.B. ein Andreas Seppi, in den internationalen Medien immer wieder als „Italiener“ bezeichnet werden.

• Ganz toll ist natürlich vor allem auch, dass jeder von uns mit der österreichischen Staatsbürgerschaft zugleich auch das aktive und passive Wahlrecht bekommt: und das bei Nationalratswahlen, bei den Bundespräsidentenwahlen und bei Volksabstimmungen bekommt. Im Idealfall haben wir dann irgendwann auch einen Südtiroler Vertreter im Nationalrat in Wien sitzen.

• Und wer als Süd-Tiroler im Besitz der Österreichischen Staatsbürgerschaft ist, dem steht auch dort jede Stelle im öffentlichen Dienst offen, und das auch auf höchster Ebene.

Und – nicht zuletzt – könnten damit auch die Tiroler Landesteile wieder enger zusammengeführt werden. Und das ist ebenfalls etwas, was mir persönlich ein ganz großes Anliegen ist.

Sicher, durch das Schengenabkommen ist die innertirolische Grenze nicht mehr so sichtbar und so spürbar wie früher, aber es gibt auf diesem Gebiet noch ganz ganz viel zu tun.

Vor allem fällt das Resümee ernüchternd aus, wenn wir uns anschauen, wie die derzeitige Zusammenarbeit der Tiroler Landesteile auf offizieller Ebene abläuft.

Nicht nur, dass ganz wenig Konkretes gemacht wird, sondern es werden sogar noch nach und nach Einrichtungen abgebaut!

Wir brauchen da nur an das „Tiroler Landesinstitut“, zu denken, das auch im Bozner Waltherhaus ein Büro hatte, und das irgendwann einfach aufgelöst worden ist. Oder an das das Referat „S“ –, das Dr. Viktoria Stadlmayer, die Grande Dame der Südtirol-Politik, aufgebaut hat und das wirklich toll gearbeitet hat. Das Südtirol-Referat war ja Jahrzehnte lang eine wichtige Anlaufstelle der Südtiroler bei der Tiroler Landesregierung. Aber irgendwann wurde es anscheinend auch nicht mehr als notwendig erachtet und ebenfalls geschlossen.

Und dann die „Europaregion Tirol“ und das gemeinsame Büro in Brüssel: da hätte man wirklich etwas Zukunftsweisendes, Grenzübergreifendes daraus machen können. Tatsache ist, dass es nach wie vor keinen rechtlichen Rahmen für eine Europaregion gibt.
Mir scheint, dass diese „Europaregion Tirol“ nur mehr eine Alibi-Vision für die geworden ist, die sich halt nicht trauen, ein selbstbestimmtes Südtirol anzustreben.

Die Südtiroler Freiheit hingegen hat zum Glück dieses Ziel vor Augen.

Alle Bereiche, wo Südtirol bisher selbst die Verantwortung übernommen hat, liefern den Beweis: Sie funktionieren besser als die staatlich verwalteten, es verschwindet weniger Geld, und wir haben vor allem den besseren Überblick. Der nächste Bereich, der ganz dringend vom Land übernommen werden muss und der ja auch schon seit Jahren zur Debatte steht, ist die Post. Wer von euch je in einem österreichischen oder in einem deutschen Postamt war, dem ist so richtig der Unterschied bewusst geworden.
Je mehr Bereiche wir jetzt schon übernehmen können, desto besser sind wir auf das selbstbestimmte Südtirol vorbereitet.

Und ich werde nicht müde, liebe Zuhörer, darauf hinzuweisen, dass unser heutiges Autonomiestatut, auf das die Mehrheitspartei immer noch so setzt, ein Kartenhaus ist.

Unser Autonomiestatut ist ja nur bis zum Status von 1992 international verankert. Das heißt, alles, was in den letzten 18 Jahren dazugekommen ist, ist nicht mehr international abgesichert!

Tatsache ist, dass seit dem Referendum von 2001 und durch das Verfassungsgesetz Nr. 3/2001 das italienische Parlament jederzeit eine Anpassung des Autonomiestatuts an die neue italienische Verfassung vornehmen kann, wenn es im Interesse des Staates ist. Und das, ohne auf Südtirol Rücksicht nehmen zu müssen.

Das heißt im Klartext: Auf Grund dieser so genannten „ausschließlichen Zuständigkeiten“ kann der Staat seit 2001, wenn er Bedarf sieht, – und dieser Begriff kann bekanntlich sehr weit ausgelegt werden – jederzeit auch unserem Land wieder im wirtschaftlichen, im sozialen und im kulturellen Bereich seinen Willen aufzwingen.

Aber da ist noch eine andere Aktion, die ich besonders hervorheben möchte – weil sie vor allem ein junges Publikum anspricht: das Gesamttiroler Merkheft.
Das ist mir persönlich ein ganz besonderes Anliegen: dass nicht nur Jugendliche, sondern alle querbeet durch alle Altersstufen und Schichten wieder ein neues – nennen wir es einmal: patriotisches Selbstbewusstsein entwickeln.

Dabei geht es um Bewusstseinsbildung, die eng mit dem Bewusstsein unserer Kultur und unserer Rechte zusammenhängt.

Und – ganz egal, ob bei Diskussionen in den Familien, bei der Arbeit, im Gemeinderat oder im Landtag – aus diesem patriotischen Selbstbewusstsein und Wertebewusstsein können wir unglaublich viel Kraft und Energie schöpfen, um für unsere Ziele einzustehen.

Und da gibt es bei Gott noch unendlich viel zu tun: Denken wir nur an diese oft zermürbenden Verhandlungen und Diskussionen in der Ortsnamenfrage, wo es einfach wichtig ist, sich ein fundiertes Wissen anzueignen, Ausdauer zu haben, nie das Ziel aus den Augen zu lassen und vor allem nicht den Mut zu verlieren, wenn es auch manchmal so aussieht, als ob wir jahrelang auf der Stelle treten würden.

Gerade das Siegesdenkmal ist das Paradebeispiel dafür. Da werden sagenhafte 2 Mio. Euro an Steuergeldern für die Renovierung eines faschistischen Denkmals verschwendet, während in Pompeji Häuser zusammenfallen und damit Kultur-schätze, und zwar Kulturschätze von Weltrang! unwiederbringlich verlorengehen.

Als Historikerin bin ich wirklich jemand, der an der Bewahrung und Erhaltung von historischen Bauten gelegen ist. Aber ein Denkmal aus einer Diktatur nicht nur nicht abzureißen, wie sonst überall in Europa, sondern sogar noch zu renovieren, das ist wohl unerhört.

Aber was können wir uns schon von Rom anders erwarten? Da finde ich es mindestens gleich bedenklich, wenn unsere eigenen Politiker, Südtiroler Politiker, fordern, dass das Siegesdenkmal bleiben und plötzlich einfach nur ein „Mahnmal“ sein soll. Ja wen soll dieses Denkmal um Himmels Willen ermahnen? Uns etwa?

Das Siegesdenkmal als Mahnmal zu verniedlichen, ist ja genauso absurd, wie wenn die Deutschen in Polen, wo sie bekanntlich brutal gewütet haben, ein Nazidenkmal aufstellen würde und dann sagen würden, da habt ihr jetzt etwas nachzudenken, ein Mahnmal…

In Deutschland wurden alle vom NS-Regime, aber auch von der Wehrmacht errichteten Denkmäler konsequent entfernt. Auch wenn Deutschland im Zweiten Weltkrieg große Schuld auf sich geladen hat, so hat es nachher einen klaren Schnitt in seiner Geschichte gemacht.

Ein Denkmal mit einer solchen politischen Brisanz und einem solchen politischen Hintergrund kann und darf nie und nimmer eine Frage des Geschmacks sein, wie vielleicht manches Kunstwerk.
Die Symbole und die Inschriften sprechen eine klare Sprache. Europäische Friedenspolitik und die Pflege und Erhaltung von faschistischen Denkmälern sind ein Widerspruch in sich.

Und genau dasselbe wie für das Siegesdenkmal gilt für all die anderen faschistischen Relikte auch: das Mussolinirelief auf dem Finanzgebäude, der Kapuzinerwastl in Bruneck, das Alpinidenkmal in Meran, wo gerade jetzt erst wieder Kränze niedergelegt wurden, aber auch die Beinhäuser und bestimmte Straßennamen in Bozen, wie die Amba-Alagi-Straße:

Solche Relikte, die den Faschismus, die Diktatur, den Völkermord in Abessinien verherrlichen, die haben in unserem demokratischen Land nichts zu suchen.

Und trotzdem, verehrte Zuhörer: Ich möchte euch Mut machen!

Trotz vieler mühseliger Auseinandersetzungen und Diskussionen, die oft wirklich hoffnungslos scheinen: Sowohl für die Gestaltung der Gegenwart als auch für unsere Zukunft haben wir eine Unmenge an Möglichkeiten zur Verfügung – konventionelle und unkonventionelle. Wir müssen nur den Mut haben, sie zu nützen!

Es braucht Mut in der Politik, – und es braucht Mut im Alltag … jeder dort, wo er steht. Unser Land braucht heute vielleicht mehr denn je Menschen, die sich trauen, ihre Stimme zu erheben, gegen das, was nicht rechtens ist.

Es braucht Menschen mit Charakterstärke, Menschen, die sich trauen, etwas zu unternehmen, um Misstände zu beseitigen.

Und es braucht viel mehr Menschen, und vor allem Führungspersönlichkeiten, die ihr Handeln nicht nach dem eigenem finanziellen Vorteil ausrichten, sondern die wirklich bereit sind, mit ihrer ganzen Kraft und Überzeugung für die Heimat einzustehen und dabei auch bereit sind, persönliche Opfer zu bringen.
Tirol braucht Menschen, die bereit sind, Verantwortung zu tragen, um für unser Land etwas zu bewegen.

Um unsere Ziele zu erreichen, braucht es jeden von uns. Denn wir alle sind es, die Verantwortung zu tragen haben. Wir sind es, in deren Hand die Zukunft liegt.

Und ich möchte euch allen, zum Abschluss meiner heutigen Rede, noch etwas mit auf den Weg geben: Es ist ein Ausspruch, der fast 2500 Jahre alt ist, der aber heute noch aktuell ist. Es ist ein Satz von Perikles, einem der berühmtesten Politiker des alten Athen:

Perikles sagte:

Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.

Liebe Anwesende!

Habt den Mut, dieser Freiheit, die wir uns so sehr wünschen, mit Überzeugung und mit sicheren Schritten entgegenzugehen!

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