Das Selbstbestimmungsrecht ist zwar kein zwingendes Recht, es gewinnt aber weltweit immer mehr an Bedeutung, auch wenn es immer noch von Fall zu Fall verschieden, das heißt nach politischen Erwägungen, bewertet wird. Dies ist eine der wichtigsten Erkenntnisse einer internationalen Tagung zu diesem Thema an der Universität Innsbruck. Für Südtirol bedeutet dies, dass der von der SÜD-TIROLER FREIHEIT eingeschlagene Weg der richtige ist.
 „Die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo – Das Gutachten des
 Internationalen Gerichtshofes (IGH) vom 22. Juli 2010 und seine
 Auswirkungen auf das geltende Völkerrecht“, so lautete der Titel der vom
 Südtiroler Professor Peter Hilpold einberufenen und geleiteten Tagung
 an der Uni Innsbruck. Im Jahr 2008 hatte die Volksvertretung des Kosovo
 die Unabhängigkeit der bis dahin zu Jugoslawien gehörenden, aber
 mehrheitlich von Albanern bewohnten Provinz erklärt. Am 22. Juli 2010
 hat der Internationale Gerichtshof (IGH) in einem Gutachten erklärt,
 dass die Unabhängigkeitserklärung nicht gegen das Völkerrecht verstoße,
 weil es keine Völkerrechtsnorm gebe, die eine Unabhängigkeitserklärung
 verbiete. Gleichzeitig hatte der IGH festgestellt, dass die
 Unabhängigkeitserklärung auch nicht gegen die UN-Resolution 1244 vom
 Jahr 1999 verstoße, mit der die Vereinten Nationen den Kosovo „unter
 Wahrung der territorialen Unversehrtheit Jugoslawiens“ unter
 UN-Verwaltung gestellt haten. Das Völkerrecht betreffe nur die
 Beziehungen zwischen Staaten, die Abspaltung eines Gebietes ohne
 Intervention eines anderen Staates sei aber eine interne Angelegenheit
 eines Staates.
Die internationale Tagung in Innsbruck, bei der dieses Gutachten des IGH
 von allen Seiten beleuchtet wurde, ließ erkennen, dass die Sezession
 gewisser Gebiete von den Staaten, zu denen sie gegen den Willen ihrer
 Bevölkerung gehören, mehr eine Frage der Politik als des Völkerrechtes
 ist. Das Prinzip der Selbstbestimmung verschafft sich allerdings, so
 Prof. Marc Weller von der University of Cambridge, auch im Völkerrecht
 immer mehr Geltung. Die Staaten werden immer weniger als heilige Kühe
 gesehen, sondern immer mehr als Einrichtungen, die ihre Funktion zum
 Wohle der Bürger zu erfüllen habe, sagte Prof. Christian Tomuschat von
 der Humboldt-Universität Berlin. Wenn diese Funktion für einen
 Bevölkerungsteil wegfalle, schwinde auch die Legitimation der Staaten.
Wie sehr das Gutachten des Internationalen Gerichtshofes (IGH) im Grunde
 eine politische Entscheidung war, geht auch aus den unterschiedlichen,
 vom IGH eingeholten Stellungnahmen der Staaten hervor, die zum Gutachten
 geführt haben. Deutschland und Österreich (die österreichische Position
 erläuterten Prof. Gerhard Hafner und Mag. Nadia Kalb von der
 Universität Wien) haben sich für die Unabhängigkeit des Kosovo
 ausgesprochen und dies juridisch schlüssig begründet, gleichzeitig aber
 betont, dass die Unabhängigkeit des Kosovo auf keinen Fall mit anderen
 Situationen vergleichbar sei und damit keinen Präzedenzfall darstelle.
 Spanien hat ebenso juridisch schlüssig die Unabhängigkeit des Kosovo
 abgelehnt und darauf verwiesen, dass dies ein gefährlicher Präzedenzfall
 sei, der den Unabhängigkeitsbetrebungen der Basken und der Katalanen in
 Spanien Auftrieb geben könne, wie Prof. Isabel Liriola von der
 Universität Santiago de Compostela ausführte. Der Riss geht also quer
 durch die Völkergemeinschaft; bemerkenswert ist aber, dass die Mehrheit
 der europäischen Staaten und beinahe die Hälfte der UN-Mitglieder den
 Kosovo inzwischen als Staat anerkannt hat.
Das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“, von dem in den
 UN-Menschenrechtspakten die Rede ist, betreffe selbstverständlich nicht
 nur Völker, sondern auch Minderheiten, erklärte Christoph Perathoner aus
 Bozen in seinem Beitrag über „Regionale Sezessionstendenzen“ im
 Zusammenhang mit dem Kosovo-Gutachten. Die Abspaltung eines Gebietes sei
 völkerrechtlich zulässig, für den betreffenden Staat hingegen strafbar.
 Es setze sich aber immer mehr die Überzeugung durch, dass demokratische
 Meinungsäußerungen keinen Strafbestand darstellen können. Offen bleibe
 allerdings die Frage, ob es ein Recht auf Selbstbestimmung bzw. auf
 Sezession gebe. Diese Frage sei auch vom Kosovo-Gutachten nicht
 beantwortet worden. International abzeptiert würden Sezessionen, wenn es
 um die Beendigung eines Kolonialstatus gehe (der allerdings nirgends
 definiert ist), oder wenn Fakten geschaffen wurden, die man eben
 akzeptieren müsse. „Wir leben in einer Zeit des Wandels, in der der
 klassische Nationalstaat an Bedeutung verliert“, sagte Perathoner. Diese
 „Denationalisierung“ sei eine Chance für den Frieden, und die
 Friedenspflicht nicht nur zwischen den Staaten, sondern auch innerhalb
 der Staaten sei heute einer der am meisten akzeptierten allgemeinen
 Werte. In diesem Sinne habe auch das Selbstbestimmungsrecht
 international großes Entwicklungspotential.
Hartmuth Staffler
 SÜD-TIROLER FREIHEIT



