Wir sind zu einem ernsten Gedenken zusammengekommen. Die Herz-Jesu-Nacht von 1961 erschütterte Südtirol, erschreckte Italien und erinnerte das demokratische Nachkriegseuropa an die ungelöste, brennende Frage der Behandlung der österreichischen Minderheit im italienischen Staat.
Todesmarsch der Südtiroler
Wir erinnern uns an den politischen Notruf von Kanonikus Michael Gamper
vom Todesmarsch der Südtiroler. Wenn ein Volk im Ringen um seine
Existenz alle rechtsstaatlichen Mittel ausgeschöpft hat und dennoch
grundlegende Rechte nicht zugestanden erhält, dann hat ein solches Volk
das Recht auf Widerstand als letztes Mittel. Nach diesem Grundsatz
handeln auch in der Gegenwart die unterdrückten Völker mancher Staaten,
und einigen von ihnen hilft auch die internationale Gemeinschaft mit
bewaffnetem Einsatz. Auch Italien entzieht sich diesem nicht.
Unveräußerliches Naturrecht
Das Recht eines jeden Volkes, seine Existenz zu sichern, ist ein
Naturrecht aller Völker, auch wenn sie nur als Minderheit in einem
fremden Staat leben, der sich noch dazu das Territorium imperialistisch
angeeignet hat. Das alles galt schon damals als kodifiziertes, von der
internationalen Staatengemeinschaft anerkanntes Recht. Dieses Naturrecht
entspringt der Menschennatur und ist unveräußerbar.
Nach diesem Grundsatz hat das Tiroler Volk 1809 gehandelt und sich gegen die bayrische und französische Herrschaft aufgelehnt.
Risorgimento
Aus der gleichen Überzeugung hat auch die Bewegung des italienischen
Risorgimento gehandelt. Zu Recht hat das italienische Volk im 19.
Jahrhundert zum Mittel des organisierten militärischen Widerstandes
gegriffen, um eine fremde Herrschaft abzuschütteln. Dabei war es weder
durch Überfremdung noch in seiner Kultur und Sprache bedroht. Aber es
wollte seine Einheit herstellen. In diesem Jahr hat es den 150.
Jahrestag seiner Einigung feierlich begangen. Nie wäre es jemandem
eingefallen, die italienischen Freiheitskämpfer um Garibaldi als
Terroristen hinzustellen.
Imperialismus der Brennergrenze
Aus genau diesem Verständnis von Recht für sich selbst hätte das geeinte
Italien sich hüten müssen, später imperialistisch nach der
Brennergrenze zu greifen. Aber seine Machthaber haben 1915-18
Hunderttausende seiner einfachen Söhne kaltblütig geopfert. Nach 1945
wurden dann Hunderttausende von Italienern aus Istrien vertrieben. Sie
erlitten das gleiche schwere Unrecht wie die Vertriebenen aus dem Osten
Deutschlands.
Demokratische Mittel ausgeschöpft
Fünfzehn Jahre nach dem Pariser Vertrag waren 1960/61 in den
Südtirolverhandlungen alle demokratischen Mittel ausgeschöpft. Trotz
UNO-Resolution hatte sich Italien zu keinen Zugeständnissen
bereitgefunden. Die Zuwanderung wurde gezielt fortgeführt, um Südtirol
durch einen Einwanderungskeil zu zerteilen und auch beide Hälften noch
mit italienischen Mehrheitsinseln zu durchsetzen. Dafür sprachen die
Zahlen der beängstigend schnellen, staatlich finanzierten Zuwanderung.
Vorhaben des Ausbürgerungsgesetzes
Das Parteiorgan der Democrazia
Cristiana, der L’ADIGE, forderte von der Regierung, sie solle gegen die
heimgekehrten Optanten vorgehen, ihnen die Staatsbürgerschaft entziehen
und sie ausweisen. Das Organ der DC zeigte unverhüllt das Gesicht
Mussolinis. Der DC-beherrschte Senat verabschiedete am 27. April 1961
das Ausbürgerungsgesetz. Kreisky warnte. Die SVP wagte aber kein zweites
Sigmundskron als Protest. Sie hätte mit der gleichen Klarheit wie am
17. November 1957 handeln müssen. Das Südtiroler Volk wäre dem Aufruf
der SVP so verlässlich wie 1957 gefolgt. Die Partei traute sich auch
nicht, sich bei der österreichisch-italienischen Verhandlungsrunde in
Klagenfurt blicken zu lassen.
Recht auf Widerstand in Notlage
Mit dem Vorhaben des Ausbürgerungsgesetzes waren die letzten Zweifel
über die italienischen Staatsabsichten ausgeräumt. Es war eine
politische Notlage entstanden, in der das Recht auf Widerstand als
Notwehr zweifelsfrei gegeben war.
Darum hat der Südtiroler Widerstand des BAS richtig gehandelt. Er ist
gerechtfertigt vor der Heimat und vor dem moralisch-politischen
Gewissen.
Verbrecherische Reaktion des Machtstaates
Umso schwerer wiegt die damalige Reaktion des Machtstaates. Umso
unentschuldbarer bleibt die grauenhafte Folter- und Mörderpraxis jener
staatlichen Institution, die sich bei ihren Untaten durch den
kollektiven Geist der Regierung und die zuständigen Minister speziell
gedeckt fühlte. So kam es nie zu den notwendigen gerichtlichen
Verurteilungen der Folterer und Mörder an den Männern des Widerstandes.
Dem Unrecht wehren
Wie betrüblich ist es, zu vermerken, dass Reste dieses Ungeistes immer
wieder aufbrechen können, wenn sie sich durch die Politik gedeckt
wähnen. Darum wagte es eine Einheit von Ordnungshütern auch beim
G-8-Gipfel im Juli 2001 in Genua, wehrlose Demonstranten, die sich in
eine Schule zurückgezogen hatten, brutal zu verprügeln und zum Teil
schwer zu verletzten. Diesmal handelte die italienische Gerichtsbarkeit
ehrbar: Nach fast neun Jahren wurden bei einem Berufungsprozess in Genua
25 Polizisten zu schweren Haftstrafen verurteilt. Zu den Verurteilten
zählt auch die Leitung der Einsatzkräfte.
Wachsam bleiben
Demokraten sollen wachsam bleiben. Dies aus grundsätzlichen Erwägungen
und ungeachtet der Gewissheit, dass die heutigen Einsatzkräfte der
Polizei (PS) und der Carabinieri aus dem Geist der Verfassung handeln
und von Verantwortlichen kommandiert werden, die sich als Bürger in
Uniform im Dienst der Bevölkerung verstehen. Das erkennt Südtirol
ausdrücklich an.
Der Südtiroler Widerstand ist kein Terror
Der Südtiroler Widerstand war kein Al- Kheida-Terror, kein Terrorismus
nach dem heutigen Verständnis, kein blindwütiges Vernichtungswerk wie
der ETA-Terror, keine bewaffnete Partisanentätigkeit wie zur gleichen
Zeit der griechisch-zypriotische Widerstand der EOKA gegen die Briten,
kein Mordterror der Roten Brigaden oder der RAF. Die Feuernacht war
ausschließlich auf psychologisch wirksame Aktionen ausgerichtet, um das
europäische Gewissen wachzurütteln und dem nationalistischen Machtstaat
Einhalt zu gebieten.
Feuernacht stoppt Zuwanderung
Ohne den Widerstand des BAS wäre die Autonomie nach ergebnislosen
Südtirol Verhandlungen, angesichts der Überfremdungspolitik und der
Ausbürgerungsabsichten, nicht möglich geworden. Wäre das nicht so, dann
hätte Italien spätestens der Aufforderung der Vereinten Nationen folgen
müssen. Doch es dachte nicht einmal daran. Darum konnte allein der
Widerstand den Druck erzeugen, der dann italienische Staatsmänner mit
einer offeneren Gesinnung an die Macht brachte, vor allem Moro, später
Andreotti. In unserem Vaterland Österreich hat sich Bruno Kreisky größte
Verdienste erworben.
Feuernacht erzwingt Autonomieverhandlungen
Die Feuernacht hat das europäische Gewissen wachgerufen und am Ende zum
politischen Kompromisserfolg des Südtirolpakets geführt. Die Automomie
ist kein Ersatz für das Grundrecht auf Selbstbestimmung. Sie ist keine
Lösung der Südtirolfrage, sondern nur eine provisorische Teillösung. Sie
nimmt die Unrechtsgrenze am Brenner nicht weg, weil auch der freie
Personen- und Warenverkehr in der EU daran nichts ändert. Die
Grenzbalken wurden beseitigt, die Grenze aber nicht. Mit ihr bleibt die
ungelöste Südtirolfrage auf der Grundlage des Rechts der Südtiroler auf
freie Selbstbestimmung.
1976: Magnago würdigt den Widerstand
Allein dieser Widerstand mit seinem schweren Opfer hat uns die Heimat
politisch handlungsfähig erhalten, sie aus der Erfolglosigkeit
herausgeführt und die Autonomie als reale Durchführung des Pariser
Vertrages erzwungen. Als Innenminister Scelba nach seiner Begegnung mit
Magnago im September 1961 heimreiste, hatte er begriffen, dass seine
Drohung der Auflösung der SVP als blindwütige Reaktion auf die Attentate
ins Leere ging. Stattdessen sagte er Magnago fast kleinlaut, wenn auch
unter der alten DC-Arroganz verdeckt, er werde eine Verhandlungs-
Kommission ins Leben rufen. Die Feuernacht hatte dieser
nationalistischen Politik bereits das Genick gebrochen.
Auf der Landesversammlung der SVP von 1976 griff SVP-Obmann Magnago
diese Tatsache auf und erklärte sich – in der Form zurückhaltend, in der
Sache eindeutig – solidarisch im Namen der SVP und der Südtiroler
Bevölkerung. Damals lag die Feuernacht erst 15 Jahre zurück und die neue
Autonomie war erst vier Jahre alt.
50. Jahrestag der Feuernacht – würdige Erinnerung und Dank
Heute, am 50. Jahrestag der Feuernacht, stattet das Südtiroler Volk in
würdiger Erinnerung den selbstlosen Männern des Widerstandes und den
tapferen Frauen einen aus dem Herzen kommenden, überzeugten Dank ab. Um
wahrhaftige Darstellung bemühte Medien und einzelne verdiente
Journalisten und Historiker tragen zur sachgerechten Bewusstwerdung und
Einstufung jener Zielsetzungen und Ereignisse bei. Politiker auf der
italienischen Seite haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten ihren
notwendigen Beitrag geleistet.
Das Beispiel der britischen Königin
Europa wartet auf eine vertiefte politische Reifung der italienischen
Demokratie. Wenn sie eintritt, werden Vertreter des italienischen
Staates nicht nur zur Feier des kriegerischen Risorgimento oder der
Resistenza, sondern auch zu einer Handlung fähig sein, wie sie jüngst
die britische Königin Elisabeth bei ihrem Staatsbesuch in Dublin am 16.
Mai d.J. vollzogen hat.
1911 hatte das britische Parlament die irische Selbstverwaltung
abgelehnt. Den irischen Osteraufstand von 1916 und die Ausrufung der
irischen Unabhängigkeit 1919 hatte Großbritannien mit militärischer und
polizeilicher Gewalt, mit Folter, Mord und Erschießungen beantwortet.
Hundert Jahre nach dem ersten Aufflammen der irischen Freiheitsbewegung
legte Königin Elisabeth nun im Namen Großbritanniens einen Kranz vor dem
Denkmal der irischen Freiheitskämpfer nieder, als Bitte um Verzeihung
der britischen Staatsverbrechen an den Iren.
Nutznießer der Autonomie alle gemeinsam
Die Generation der neuen Autonomie erfährt heute die Segnungen dieser
Autonomie. Daran hat der Widerstand des BAS entscheidenden Anteil, er
war zu jenem Zeitpunkt die rettende Bedingung der Möglichkeit. Heute
sind Deutsche und Ladiner und mit ihnen 130.000 Italiener in Südtirol
gemeinsame Nutznießer und tragen gemeinsam ein vielfältiges,
sprachlich-kulturelles, rechtliches, soziales und wirtschaftliches
Ordnungssystem. Zum gemeinsamen Wohl entwickeln sie es gemeinsam fort.
Die Feuernacht ist Teil der Landesgeschichte
Im 150. Jahr der gewaltsam durchgesetzten Einigung Italiens, 202 Jahre
nach dem Freiheitskampf Andreas Hofers und 42 Jahre nach der
Paketabstimmung ist es recht und angemessen, dass diese Gedenkstunde die
Feuernacht in Erinnerung ruft, als leidvollen und dornigen Weg, der das
Südtirolpaket erzwang und die Überfremdung verhinderte. Damit ist die
Feuernacht ein bedeutsamer Teil der Südtiroler Nachkriegsgeschichte und
der Erinnerung würdig wie der Aufstand von 1809.
Der Weg Südtirols zur Lösung der Südtirolfrage ist nicht zu Ende. Die
erfolgreiche Autonomie ist keine Selbstbestimmung, sondern der halbe Weg
dorthin. Auch darum ist es angemessen, das historische Bewusstsein zu
vertiefen, zu schärfen und in die offizielle Anerkennung auch den
Widerstand der 60-er Jahre politisch und sachlich gerecht in das
gemeinsame Tiroler Landesbewusstsein zu rücken, wie es für den
Freiheitskampf von 1809 längst selbstverständlich ist.
Einen Erinnerungsort schaffen auf Schloss Tirol
Darum wäre ein Erinnerungsort zu schaffen, in der diese opferreiche
Wendezeit der Südtirolgeschichte würdig und einsichtig zum Ausdruck
kommt. Die exemplarische Stätte der Landesgeschichte, Schloss Tirol,
wäre der geeignete Ort, diese Erinnerung in würdiger Weise wachzuhalten.
Sie kann mit eine Mahnung an die Politik sein, zur rechten Zeit weise
und gerecht zu handeln. So kann ein vertieftes Bewusstsein alle
umschließen, die in unsrem Lande als ihrer Heimat leben.