Heute Vormittag wurde die Debatte über den Beschlussvorschlag zur Änderung der Geschäftsordnung wieder aufgenommen – mit einer leichten Verzögerung, da die Opposition im Plenarsaal eine Pressekonferenz zum Thema abgehalten hatte. Dies sei ein Präzedenzfall, der durch die außergewöhnliche Situation begründet sei, erklärte dazu Eva Klotz, denn die Mehrheit wolle die demokratischen Spielregeln außer Kraft setzen, um ihr Wahlgesetz durchzusetzen.
Er mache sich Sorgen um den Landtag, erklärte Thomas Egger (Freiheitliche), nach einigen zweifelhaften Interpretationen zur Geschäftsordnung versuche man nun einen weiteren Schritt. Das Ziel sei immer, sich trotz Wählerschwund die Macht zu erhalten. Der Art. 97-quinquies (die Sonderregeln für die Änderung des Wahlgesetzes oder der Geschäftsordnung) sei ein Schutz nicht nur für die Opposition, sondern für alle Abgeordnete, und diesen wolle man nun abschaffen. Wenn dieser Artikel abgeschafft werde, werde es für die SVP ein Leichtes sein, immer wieder die Geschäftsordnung nach Gutdünken abzuändern und vor allem das Wahlgesetz so abzuändern, dass es für sie vorteilhaft ist. In Art. 2 und 3 der Beschlussvorlage gehe es um weniger wichtigere Dinge, und zwar um die Zuordnung zu einer Fraktion. Aber im Vorschlag sei ein Fehler enthalten: Wer irgendwann im Laufe der Legislatur die Fraktion wechsle, könne das nicht schon bereits fünf Tage nach seiner Vereidigung erklären. Änderungsanträge und somit Korrekturen an den Artikeln seien nicht zulässig, deshalb sollte man Art. 2 ablehnen. Schlimmer aber sei die Abschaffung des Art. 97-quinquies der derzeitigen Geschäftsordnung. Wenn das durchgehe, könne die Mehrheit immer wieder Änderungen an der Geschäftsordnung vornehmen, etwa die lästige Fragestunde abschaffen.
Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) wies eingangs darauf hin, dass auch Mehrheitsabgeordnete oft im Plenarsaal Gespräche mit Medienvertretern führen, daher könne es die Opposition auch tun. Die SVP und der Landeshauptmann bestünden immer darauf, dass Verträge einzuhalten seien, aber nun wollten sie sie selbst nicht mehr einhalten. Die derzeitige Geschäftsordnung sei nicht eine Erfindung der Opposition, sondern das Ergebnis langer Verhandlungen, das von einer breiten Mehrheit im Landtag abgesegnet worden sei. Die Mehrheit tue so, dass ohne diese Änderungen der Landtag nicht arbeiten könne – dann frage er sich, wie der Landtag bisher imstande gewesen sei zu arbeiten. Mit der Wahl der Jugendanwältin habe der Landtag gezeigt, dass er zügig arbeiten könne. Aber der Sinn der parlamentarischen Arbeit sei es nicht, Gesetze rasch durchzuwinken, sondern zu prüfen und eventuell zu verbessern. Die Arbeiten würden eher aufgehalten, wenn die Mehrheitsvertreter während der Sitzung im Foyer Gespräche führten. Wenn nun zu diesem Beschlussvorschlag keine Änderungsanträge möglich seien, dann stelle sich die Frage, wozu es noch den Landtag brauche. Die einseitige Abänderung der Geschäftsordnung werde dazu führen, dass der Landtag nicht mehr arbeite – nicht weil die Opposition die Arbeiten blockiere, sondern weil die Mehrheit kein Interesse daran habe.
Die Mehrheit verweise immer auf das Einwanderungsgesetz als Beispiel für Obstruktion, stellte Roland Tinkhauser (Freiheitliche) fest. Damals sei nicht Obstruktion betrieben worden, die Abgeordneten hätten nur das Gesetz eingehend diskutiert. Er fragte die sog. Rebellen in der SVP, ob es ihnen egal sei, wenn im Landtag nicht mehr diskutiert werden dürfe. Der SVP gehe es hauptsächlich um das Wahlgesetz, aber auch da werde man kämpfen. Im Landtag könne die Opposition den Kampf vielleicht nicht gewinnen, aber draußen beim Volk schon. Dieses könne sich unter einer Geschäftsordnung nicht viel vorstellen, aber es verstehe, wenn die Demokratie geknebelt werde und wenn man das Wahlrecht für den eigenen Vorteil zurechtbiegen wolle.
Sigmar Stocker (Freiheitliche) lud das Publikum ein, nachzusehen, wer im Saal sitze und wer nicht – die Opposition sei vollzählig vertreten, die Mehrheit kaum. Die Mehrheit habe vor dem Volk Angst und greife zu faulen Mitteln – ein Vergleich mit Russland liege nahe. Sie versuche nun, ihre Macht künstlich zu erhalten. Aber die Bevölkerung sei imstande, dieses Spiel zu durchschauen. Die so genannten Rebellen in der SVP stellte Stocker als “Pinocchio”-Rebellen hin, denn sie würden dieses Spiel mitspielen. Wenn man eine Wahl nicht mit eigener Kraft gewinnen könne, dürfe man nicht zu faulen Mitteln greifen. Die Debatte um das Einwanderungsgesetz, die von der Mehrheit als Obstruktion hingestellt werde, sei eine intensive, demokratische Debatte gewesen. Wenn die vorgeschlagene Änderung beschlossen werde, werde sich das Klima im Landtag verschlechtern, und dies sei hauptsächlich das Werk der Vizepräsidentin. Dieser fehle das nötige Gespür, zwischen Mehrheit und Minderheit ausgleichend zu wirken. Was die SVP heute vorhabe, sei grundlegend falsch und feige und wirderspreche auch ihrer eigenen Parteigeschichte.
Diese Geschichte, um die es heute gehe, habe mit der Inthronisierung von Julia Unterberger begonnen, erklärte Pius Leitner (Freiheitliche), Mitglied des Geschäftsordnungsausschusses. Er verwahrte sich gegen Unterstellungen, wonach er das Spiel mitgemacht habe. Bisher seien Änderungen immer im Einvernehmen vorgenommen worden, seit einiger Zeit aber nicht mehr. Unter Präsident Steger habe man sich darauf geeinigt, nur einstimmig befürwortete Änderungen ins Plenum zu bringen, nun sei diese Vereinbarung aufgekündigt worden. Er sei nie ein Freund der Obstruktionspolitik gewesen, aber diese Betonblockmentalität der SVP sei nicht akzeptabel. Leitner stellte den Antrag, den Beschlussvorschlag zurückzuziehen und im Geschäftsordnungsausschuss eine Konsenslösung zu suchen. Was die SVP hier betreibe, das sei Wahlkampf, und den Wählern seien anderthalb Jahre Wahlkampf nicht zuzumuten. In ganz Europa werde derzeit ein Abbau der Demokratie betrieben, 27 nicht gewählte Personen würden über das Schicksal von 500 Millionen entscheiden. Die Machtpolitik der SVP habe Beispielwirkung auch auf die unteren Ebenen, etwa die Gemeinden: “Wenn der Durnwalder das tut, dann tue ich es auch.” Als Demokrat sei er verpflichtet, Mehrheitsentscheidungen zu akzeptieren, aber wenn es um Grundsätze gehe, dann sollte man den Konsens anstreben.
Leitner habe sich immer bemüht, die Arbeiten im Landtag mit Disziplin mitzugestalten, hielt ihm Elmar Pichler Rolle (SVP) zugute. Man lebe in einem Klima der Unsicherheit, auch im Verhältnis mit dem Staat. Während die Trentiner eine Kundgebung für die Autonomie abhielten, marschiere der Schützenbund hier für die Abtrennung von Italien; es sei das Maß verloren gegangen, das die unsichere Zeit erfordere. Mit der Änderung der Geschäftsordnung vor einem Jahr seien viele vernünftige Verbesserungen eingeführt worden, damit sei der Landtag aufgewertet worden. Darüber sei er froh, auch wenn er dafür von manchen kritisiert worden sei – denn im Landtag sollten die wichtigen Entscheidungen fallen. Es gehe heute um die Grundrechte, und diese habe er bereits in 23 Jahren im Bozner Gemeinderat respektieren gelernt. Wenn ein Abgeordneter einen Antrag stelle, habe er das Recht, dass dieser in absehbarer Zeit diskutiert werde – wer dagegen sei, könne seine Argumente darlegen, aber nicht den Antrag blockieren. Es gebe aber genug Beispiele für eine Obstruktion, etwa da Wohnbaugesetz, zu dem Seppi einen 700-Seiten-Antrag vorgelegt habe, um eine Änderung durchzudrücken. Nachher, bei der Umsetzung, habe sich diese Änderung als fatal für das Wohnbauprogramm erwiesen. Es könne nicht sein, dass ein einziger Abgeordneter die Arbeiten blockieren könne. Ein eigenes Südtiroler Wahlgesetz sei schon längst fällig, aber es sei bisher immer von einem einzigen Kollegen blockiert worden. Bei einem Wahlgesetz gebe es genügend Garantiemechanismen, wenn es im Landtag nicht die Zweidrittelmehrheit erreiche, könnten sieben Abgeordnete ein Referendum dazu beantragen. Demokratie sei, wenn demokratisch diskutiert und abgestimmt werde. Die SVP sei nicht arrogant, sie stelle sich dem Urteil der Bevölkerung.