Der erste Beschlussantrag auf der Tagesordnung hatte das Selbstbestimmungsrecht für Süd-Tirol zum Gegenstand, eingebracht von den Abgeordneten der SÜD-TIROLER FREIHEIT, Eva Klotz und Sven Knoll als Erstunterzeichner, sowie Ulli Mair, Sigmar Stocker, Pius Leitner, Thomas Egger und Roland Tinkhauser von den Freiheitlichen.
Am Nachmittag wurde die Debatte zum Antrag von Süd-Tiroler Freiheit und Freiheitlichen zur Selbstbestimmung wieder aufgenommen. Die Einbringer haben dazu einen Ersetzungsantrag mit folgenden Forderungen nachgereicht: Der Landtag sieht die Abtrennung von Österreich als Unrecht an, bekennt sich zum Selbstbestimmungsrecht aller drei Sprachgruppen laut UNO-Menschenrechtspakt, begrüßt das für 2014 anberaumte Selbstbestimmungsreferendum in Schottland und beauftragt Landeshauptmann und Landesregierung, mit der schottischen Regierung Kontakt aufzunehmen, um nach dem Vorbild dieser Abstimmung einen Aktionsplan für die Durchführung der Selbstbestimmung auch in Südtirol zu erstellen.
Manche Kollegen würden diesen Antrag gleich verbieten, bemerkte Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit), manche würden so tun, als gebe es nicht über die Autonomie hinaus. Dabei seien in den vergangenen 20 Jahren in Europa viele Grenzen verschoben worden, siehe Deutschland oder Jugoslawien. Ohne diese Grenzveränderungen gäbe es heute auch nicht das vereinte Europa. Der 8. Mai sei der Tag der Befreiung vom Nazifaschismus, es sei auch der Gründungstag der SVP, die zur Erreichung der Selbstbestimmung gegründet worden sei. Schottland zeige, dass eine Grenzverschiebung auch heute von Europa akzeptiert werde.
Es sei erstaunlich, wie ein Grundrecht immer als Schreckgespenst dargestellt werde, bemerkte Pius Leitner (Freiheitliche). Man traue dem Volk nicht zu, über seine Zukunft abzustimmen. Leitner erinnerte an den Schützenmarsch, bei dem dazu aufgerufen wurde, über eine Zukunft ohne Rom nachzudenken. Die Wirtschaft habe sich bisher immer dagegen gewehrt mit dem Argument, es gehe uns ja gut. Heute in der Krise würde das Gegenargument nahe liegen, aber das dürfe nicht ausschlaggebend sein. Die Autonomie, so gut sie sein möge, sei nicht das Ende der Geschichte.
Man sei bei diesem Anliegen immer damit vertröstet worden, dass die Zeit noch nicht reif sei, erklärte Eva Klotz (Süd-Tiroler Freiheit), aber für viele sei es bereits fünf nach zwölf. Wenn der Staat sicher sein könne, dass die meisten Südtiroler für einen Verbleib bei Italien stimmen würden, dann würde er die Abstimmung anordnen: Daher müsse man vorher agieren, bevor die Assimilierung zu weit fortgeschritten sei. In diesem Zusammenhang verwies Klotz darauf, dass LH Durnwalder an einem Marsch mit der Trikolore teilnehmen wolle.
Südtirol sei historische eine Übergangsregion mit Wurzeln in Aquileia und Bayern, stellte Hans Heiss (Grüne) fest. Als Übergangsregion habe Südtirol auch eine Friedensmission. Es habe ein anderes Schicksal als die DDR oder Kosovo und sei damit nicht vergleichbar. Die Autonomie sei solche ein Friedensweg, der weiterhin zielführend sei. Es bedürfe keiner Selbstbestimmung oder Abtrennung, sondern die konsequente Weiterführung des eingeschlagenen Weges. Der 8. Mai sei auch jener Tag, an dem sich in Nordirland Katholiken und Protestanten zum ersten Mal getroffen und Friedensgespräche begonnen hätten.
Andreas Pöder (BürgerUnion) sprach sich für den Antrag aus, kritisierte jedoch die Verwendung des Begriffs Sprachgruppe statt Volksgruppe. Wenig zielführend schien ihm auch der Verweis auf Schottland, das eine ganz andere Entwicklung habe.
Donato Seppi (Unitalia) zeigte sich schockiert über bestimmte Vergleiche, etwa mit der DDR. Dort habe es nicht nur ein bestimmtes Regime gegeben, dort gebe es auch nur eine Sprachgruppe. Seppi zweifelte die Schutzmachtrolle Österreichs an, diese sei mit der Erfüllung des Pakets erschöpft. Er sei gegen den Antrag, würde aber dennoch für eine baldige Volksabstimmung sein, dann würde man endlich sehen, dass nur 10 Prozent für die Sezession wären.
Südtirol sei nun bald hundert Jahre Kriegsbeute Italiens, erklärte Sigmar Stocker (F). In der Zwischenzeit habe sich das Zusammenleben aber gebessert, und man bemerke auch einen Willen nach Unabhängigkeit, über alle Sprachgruppen hinweg. Italien sei im Vergleich rückständig, und Südtirol wolle sich seinen Fortschritt nicht nehmen lassen. Selbstbestimmung bedeute heute nicht mehr Bomben, es brauche nur den Mut, es gemeinsam anzupacken.
Alessandro Urzì (Futuro e Libertà) betonte, dass der Antrag für ihn unzulässig sei. Er widerspreche der Verfassung, und diese könne nur vom Parlament geändert werden. Der Antrag habe einen Beigeschmack von Verrat – die Autonomie sei das Ergebnis eines Abkommens zwischen Italien und Österreichs unter dem Segen der UNO. Italien habe sich an dieses Abkommen gehalten, wer davon abgehe, begehe hingegen Verrat.
Laut Maurizio Vezzali (PdL-Berlusconi) ist die Selbstbestimmung unterdrückten Völkern vorbehalten. Die Südtiroler könnten sich nicht als unterdrücktes Volk betrachten, nicht nach Erreichen der Autonomie. Ein Vergleich mit dem Kosovo, wo viel Blut geflossen sei, sei unzulässig. Er stimme gegen den Antrag, auch wenn er in einem Punkt das Selbstbestimmungsrecht aller drei Sprachgruppen betone.
Elmar Pichler Rolle (SVP) plädierte gegen die geforderte namentliche Abstimmung nach Absätzen – man sollte ganz dafür oder dagegen stimmen können. Nach vielen schlimmen Ereignissen habe man sich zusammen mit Österreich und Italien auf einen Vertrag geeinigt – pacta sunt servanda. Gewisse Schwierigkeiten mit manchen römischen Regierungen würden es nicht rechtfertigen, den Vertrag aufzukündigen. Südtirol habe immer mehr an Freiheit gewonnen. Im Gegensatz zur Süd-Tiroler Freiheit blicke die SVP nicht zurück, sondern in die Zukunft.
Riccardo Dello Sbarba (Grüne) erklärte sein Nein zum Antrag. Südtirol sei nicht mit dem Kossovo vergleichbar. Der Antrag sei im 20. Jahrhundert stecken geblieben. Die Abtrennung sei ein Unrecht, das aber nach vielen Mühen überwunden wurde. Die Autonomie sei nicht zweite, sondern die beste Wahl, die man treffen konnte, sie habe dem Land Fortschritt und Wohlstand gebracht.
Florian Mussner (SVP) kritisierte Urzìs Verratsvorwurf. Er sei aber auch nicht mit dem Beschlussantrag einverstanden, nicht einmal mit den Prämissen, die die SVP als Verzichtspartei hinstellten. Sie habe nicht Verzicht geübt, sondern vieles für Südtirol erreicht. Und auf diesem Weg wolle man weiter gehen, bis hin zur Vollautonomie. Auch ein Freistaat sei nicht die richtige institutionelle Form für eine zukunftsträchtige Lösung.
Enttäuscht von der Diskussion zeigte sich Ulli Mair (F). Jeder wolle ein selbstbestimmtes Leben. Die Selbstbestimmung als Ewiggestriges abzutun, sei beschämend, sie sei hingegen etwas Modernes. Mair bedauerte auch Urzìs Aussagen, der Selbstbestimmung mit Pädophilie vergleiche. Das Problem sei, dass die Menschen in diesem Lande, vor allem die Italiener, nicht über die Selbstbestimmung aufgeklärt werden – in diesem Zusammenhang spiele auch der “Alto Adige” eine wesentliche Rolle. Der Landtag arbeite gerade an einem Gesetz zur direkten Demokratie, aber wenn es um die Zukunft des Landes gehe, dann traue man dem Volk keine Entscheidung zu.
Er habe nicht das Selbstbestimmungsrecht als antiquiert bezeichnet, sondern die Politik der Süd-Tiroler Freiheit, stellte Elmar Pichler Rolle in persönlicher Angelegenheit klar. Jeder hier handle aus Überzeugung, antwortete Sven Knoll und bat um entsprechenden Respekt. Alessandro Urzì präzisierte, dass er mit dem Wort “Verrat” die heutige Debatte gemeint habe, nicht das Südtiroler Volk.
LH Luis Durnwalder wandte sich gegen Urzìs Argument der Unzulässigkeit, man habe z.B. auch über die Aufnahme der Türkei in die EU im Landtag geredet oder über andere Dinge, die nicht unbedingt Sache des Landtags seien. Das Abkommen zwischen Italien und Österreich habe gute Früchte erbracht, es wäre unverantwortlich, dies aufzugeben. Etwas anderes wäre es, wenn Italien den Vertrag verletzen würde – dann müsste Österreich den Vertrag kündigen und man müsste eine andere Politik einschlagen. Der Teil des Antrags, der grundsätzlich das Recht auf Selbstbestimmung unterstreiche, sei überflüssig, das sei bereits in UNO-Richtlinien festgeschrieben.
Der Landtag habe sich auch öfters gegen die Verletzung der Menschenrechte ausgesprochen, meinte Sven Knoll (STF). Das Argument mit den unterdrückten Völkern funktioniere nicht – auch Island und Schottland dürften abstimmen. Die allgemeinen Teile des Antrags seien nicht überflüssig, der Landtag sollte sich schon einmal eindeutig für bestimmte Prinzipien aussprechen. Daher habe er bewusst eine getrennte Abstimmung verlangt, im Bewusstsein, dass sich die SVP mit dem letzten Teil (zur Einleitung der Selbstbestimmung) schwer tun werde. Auch die Grünen sollten klarstellen, ob sie sich zu den Menschenrechten bekennen oder nicht.
Elmar Pichler Rolle stellte den Antrag auf geheime Abstimmung des beschließenden Teils.
Die Prämissen des Antrags wurden in offener Abstimmung mit 8 Ja und 25 Nein abgelehnt. Über den beschließenden Teil wurde zu den verschiedenen Punkten geheim abgestimmt:
Abtrennung vom Vaterland als Unrecht: 12 Ja, 22 Nein
Annexion unrechtmäßig: 11 Ja, 23 Nein
Bekenntnis zu UNO-Menschenrechtspakt mit Selbstbestimmungsrecht: 11 Ja, 24 Nein
Selbstbestimmungsrecht aller drei Sprachgruppen: 9 Ja, 25 Nein
Befürwortung des Referendums in Schottland: 10 Ja, 25 Nein
Aktionsplan zur Durchführung der Selbstbestimmung: 10 Ja, 24 Nein
Alle Teile des Beschlussantrags wurden abgelehnt.