Folter in den Sechzigerjahren: Bis heute hört man es in Italien nicht gerne, wenn die in den Sechzigerjahren durch italienische Carabinieri verübten Folterungen Südtiroler politischer Häftlinge öffentlich zur Sprache gebracht werden, so Roland Lang, Obmann des Südtiroler Heimatbundes (SHB). Natürlich hat sich der Staat auch nie dafür entschuldigt, von Entschädigungen ganz zu schweigen.
Es ist noch nicht lange her, da hatte im Jahre 2011 der mit den Stimmen der SVP gekürte italienische Landtagspräsident Mauro Minniti (PdL) in der „Neuen Südtiroler Tageszeitung“ behauptet, es habe in den Sechzigerjahren in Südtirol keine Folterungen politischer Häftlinge gegeben. Einige italienische Rechtsaußen-Politiker hatten daraufhin in dasselbe Horn geblasen. Minniti hatte diese Äußerung dann aber rasch wieder zurückgenommen, als sich auch in SVP-Kreisen Empörung breit gemacht hatte und er befürchten hatte müssen, aus seinem Amt wieder abgewählt zu werden. Der PdL-Jugendvertreter Alessandro Bertoldi fand damals diesen Rückzieher „ekelerregend“ und erklärte in einem Interview, dass die Sicherheitskräfte des Staates das Recht hätten, mit solchen Methoden den Staat zu verteidigen.
Als im Jahre 2011 die Landtagsabgeordneten Dr. Eva Klotz und Sven Knoll von der „Süd-Tiroler Freiheit“ der Öffentlichkeit ein Plakat vorstellten, welches an die Folterungen erinnerte, ließ der Oberstaatsanwalt Guido Rispoli sofort eine Untersuchung wegen Schmähung der Streitkräfte einleiten. Als die beiden Landtagsabgeordneten erklärten, dass in einem derartigen Prozess noch lebende Zeitzeugen die erlittenen Folterungen schildern könnten, wurde die Untersuchung wieder still und leise eingestellt.
Folter 1976:
Am 14. Februar 2013 wurde in der „Talkshow“ von Markus Lanz enthüllt, dass es noch im Jahre 1976 in Italien einen bis heute totgeschwiegenen Folterskandal mit offenbar geheimdienstlichem Hintergrund gegeben hat. Ein Folteropfer namens Giuseppe Gulotta und der ehemalige Vatikan-Korrespondent der Bild-Zeitung, Andreas Englisch, berichteten vor einem Millionenpublikum Atemberaubendes.
Eine schwerwiegende Entdeckung
Am Abend des 27. Januars 1976 kontrollierten die beiden Carabinieri Carmine Apuzzo und Salvatore Falcetta in Alcamo Marina auf Sizilien ahnungslos einen LKW, der offenbar eine geheime Waffenlieferung für die der Öffentlichkeit damals noch nicht bekannte „Gladio“-Untergrundarmee transportierte, die in Italien auch in neofaschistische Putschversuche verwickelt war.
Die Tat
Bevor der Fall politische Wellen schlagen konnte, drang noch in derselben Nacht ein Spezialkommando in die Carabinieristation ein und erschoss die beiden Carabinieri. Das Mordkommando hatte die Eingangstür professionell aufgeschweißt und hinterließ im Gebäude weder Fingerabdrücke noch Patronenhülsen.
Die Sündenböcke
Nun galt es aber, diesen Mord jemandem anderen anzuhängen. Als Opfer wurden 4 junge Burschen auserwählt: Der damals 18-jährige Maurerlehrling Giuseppe Gulotta zusammen mit drei weiteren Männern namens Gaetano Santangelo, Vincenzo Ferrantelli und Giuseppe Vesco.
Die Folter
In der Nacht des 12. Februar 1976 wurde Giuseppe Gulotta verhaftet und in die Carabinierikaserne gebracht. Dort wurde er an einen Stuhl gefesselt, von einem guten Dutzend Carabinieri geschlagen, getreten, an den Genitalien gefoltert und mehrmals Scheinhinrichtungen unterzogen. „Das ging so die ganze Nacht,“ sagte Gulotta vor laufender Fernsehkamera. „Ich war natürlich morgens völlig fertig und verlor das Bewusstsein. Als ich dann nach fünf oder zehn Minuten, ich weiß es nicht mehr genau, wie lange das gedauert hat… hab ich mir gedacht, na ja, vielleicht ist es besser, das zu sagen, was sie hören wollen.“ Gulotta unterschrieb ein Geständnis, an der Ermordung der beiden Carabinieri beteiligt gewesen zu sein.
Das ignorierte Attest über Folterspuren
Als Gulotta dem Haftrichter vorgeführt wurde, lag ein ärztliches Attest über die an Gulotta festgestellten Folterspuren vor. Der Untersuchungsrichter ging diesem Skandal aber nicht nach, sondern schickte Gulotta in Untersuchungshaft. 1981 gab es nach bereits 5 Jahren Untersuchungshaft einen ersten Prozess, der mit einem Freispruch endete. Die italienische Justiz entließ aber Gulotta und seine drei angeblichen Mittäter, denen es bei den Verhören ähnlich ergangen war, keineswegs aus ihren Klauen.
Zwei der Angeklagten setzten sich nach Brasilien ab, wo sie bis heute leben. Gulotta und ein weiterer Mitangeklagter wurden erneut verhaftet. Nun folgte ein etwa zehnjähriger Prozeßmarathon, der 1990 mit Gulottas Verurteilung zu Lebenslang endete. Sein Mitgefangener hatte sich – obwohl er nur eine Hand besaß – in der Zelle selbst erhängt.
Das Enthüllung des Carabiniere – Freiheit nach 22 Jahren Haft
Für Gulotta folgen weitere 17 Jahre Haft, bis im Jahre 2007 sich einer der damaligen Folterknechte aus Gewissensgründen zu Wort meldete und öffentlich erklärte, dass Gulotta unschuldig sei und man das damalige „Geständnis“ unter der Folter erzwungen habe.
Nun war es die italienische Justiz, die ihr Fehlverhalten nicht so schnell zugeben wollte. Es dauerte weitere 4 Jahre, bis Gulotta in einem neu aufgerollten Prozess 2012 freigesprochen und in die Freiheit entlassen wurde – nach 36 Jahren ungerechtfertigter Verfolgung und mehr als 22 Jahren Inhaftierung durch den italienischen Staat.
Der Journalist Englisch: „Ich fühle mich schlecht!“
Der Bild-Journalist Andreas Englisch sagte jetzt bei Markus Lanz: „Ich fühle mich bei dem Fall ja selber schlecht, weil die Medien – und ich auch! – haben in dem Fall versagt. Also dass er reingelegt worden war, das wusste in Italien jeder, das war vollkommen klar. Nur, wir haben auch einfach zu wenig dagegen getan.“ Er habe als Journalist in den Achzigerjahren mit zwei italienischen Ministerpräsidenten über den Fall gesprochen und sagte dann: „…meiner Ansicht nach wussten die beiden, was damals passiert war.“
Und Giuseppe Gulotta sagte: „Sie haben mir meine besten Jahre gestohlen!“
Folterverbrechen verjährt
Wir wünschen Giuseppe Gulotta, dass er das Erlittene seelisch verarbeiten möge und dass ihm noch schöne Jahre seines Lebens vergönnt seien. Seine Jugend und die besten Mannesjahre, die er im Gefängnis verbringen musste, kann ihm aber niemand wieder bringen. Der Staat hat sich übrigens bei ihm nie entschuldigt und er muss auf dem Zivilrechtsweg mühsam um eine Entschädigung prozessieren.
Seine Folterer werden nicht belangt, ihre Untaten sind verjährt.
Roland Lang
Obmann des Südtiroler Heimatbundes (SHB)
Bild:
Die Talk-Runde bei Markus Lanz. Ganz rechts im Bild Giuseppe Gulotta.
Bild: Englisch links und Gulotta
Links der Vatikan-Korrespondent Andreas Englisch, rechts Giuseppe Gulotta