Heute und Montag legen die Angestellten des öffentlichen Verkehrs die Arbeit nieder. Als Pendler ist man geneigt zu sagen: Schon wieder! Das Streikrecht, dies sei unbestritten, ist ein wichtiger Grundpfeiler der Demokratie. Doch Rechte gehen Hand in Hand mit Pflichten. Das Recht auf kollektive Arbeitsniederlegung geht mit der Pflicht einher, dieses verantwortungsvoll anzuwenden. Bei den öffentlichen Verkehrsbetrieben hat man diesen Eindruck nicht. Beinahe wöchentlich bleiben die Damen und Herren von „Trenitalia“ zu Hause. Geschadet wird, neben den zig tausenden Pendler/innen, die auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind, dem Streikrecht selbst, das durch die inflationäre Verwendung seinen Wert verliert.
Im Jahr 2004 erlebte Österreich seinen letzten offiziellen Streik, als ganze 30 (!) Beschäftigte die Arbeit niederlegten. Deutschland und die Schweiz weißen eine ähnlich niedere Rate auf. Demgegenüber ist das Streiken in Italien beinahe Volkssport. In kaum einem anderen Land Europas wird häufiger der Arbeitskampf ausgerufen, mit oft fragwürdigem Erfolg.
Die zerklüftete Gewerkschaftslandschaft mit seinen vielen politisch gefärbten Richtungsgewerkschaften, macht ein kohärentes Auftreten schwierig. Manche Gewerkschaften scheinen geradezu im Konkurrenzkampf gegeneinander zu stehen. Dabei zeigte Deutschland im Auge des Finanztornados 2008/2009, wie fruchtbar ein verantwortungsvoller Umgang miteinander sein kann. 2008 hatten CDU/CSU und SPD zusammen mit den großen Gewerkschaften beschlossen, die Kurzarbeit auszuweiten, womit Massenkündigungen verhindert werden konnten. Deutschland hat die Krise souverän überstanden. Auch Italiens Gewerkschaften sollten anstatt auf die Straße, öfter ins Verhandlungszimmer gehen und dabei mehr Kompromissbereitschaft zeigen.
Gewiss ist demonstrieren aber einfacher und populärer als verhandeln, auch wenn viele dabei buchstäblich auf der Strecke bleiben…
Stefan Zelger,
Hauptausschussmitglied und Gemeinderat der SÜD-TIROLER FREIHEIT in Tramin