Am 15. Juli 2013 jährt sich zum 90. Mal der Tag, an dem Ettore Tolomei sein 32-Punkte-Programm zur Assimilierung der Südtiroler im Bozner Stadttheater verkündete. Auch wenn die Südtiroler Rom Rechte abgerungen haben, so lebt der Geist Tolomeis bei den italienischen Politikern weiter: Noch heute gelten in Südtirol faschistische Gesetze. Die von ihm erfundenen Ortsnamen sind gesetzlich, die deutschen nur geduldet. Die Denkmäler aus Mussolinis Zeiten werden vom Staat geschützt.
Nicht nur die Berlusconi-Partei mit ihren Postfaschisten ist zutiefst nationalistisch, auch die Sozialdemokraten. 1920 lehnten diese im Parlament die Annexion Südtirols strikt ab und boten der Südtiroler Delegation die Rückgliederung zu Österreich an. Heutzutage empfinden die Vertreter der PD die genannten Zustände als ihre Italianitá und die Annexion als kein Unrecht (siehe Abstimmverhalten am 08.05.2012 im Bozner Landtag und Unterstützung des Alpinitreffens am 12./13.05.2012).
Roms Politiker betrachten, ganz im Sinne Tolomeis, die Autonomie nicht als Minderheitenschutz, sondern als Regionalpolitik, wo man Regelungen nach Belieben kippen kann.* Die Autonomie sei angeblich eine inneritalienische Angelegenheit. Allein deshalb habe, so Prof. Felix Ermacora in seinem Buch „Südtirol – Die verhinderte Selbstbestimmung“, die Autonomie Südtirols kein Vorbildcharakter. Er wies auch auf die Tatsache hin, dass es auf Betreiben Mussolinis und Tolomeis bis zum heutigen Tag eine „Ausrichtungs- und Koordinierungsbefugnis“ gibt, wodurch Südtirol an Italien geknebelt und bevormundet wird.
Mario Monti hat sich über Gesetze/Vereinbarungen hinweggesetzt und die Autonomie bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Auch vom sozialdemokratischen Ministerpräsident Letta dürfte nichts Gutes zu erwarten sein: Ein „neues“ Mailänder Abkommen ist nicht in Sicht, das vom Südtiroler Landtag verabschiedete Toponomastik- Gesetz wird von Rom angefochten und das bestehende Südtiroler Schulsystem steht auf der Kippe…
Die Kompromisse der romtreuen SVP, die fast bis zur Selbstverleugnung gingen, konnten diesen Trend nicht aufhalten. Das Südtiroler Volk steht bei der bevorstehenden Befragung zur Selbstbestimmung und im Oktober 2013 bei den Landtagswahlen vor der Wahl, ob es die schleichende Assimilierung im Sinne Tolomeis hinnehmen, oder ob es Rom selbstbewusst die Stirn bieten will.
Wolfgang Schimank
Berlin, den 15.07.2013
*) Äußerungen italienischer Politiker betreffs Südtirol:
-Der designierte Außenminister Franco Frattini (Forza Italia) am 25.04.2008 in der „Tiroler Tageszeitung“: „Man muß und kann das Südtiroler Statut im europäischen Sinne revidieren. Die EU sieht keine auf ethnischer Basis gegründeten regionalen Gebiete vor. Ich bin daher auch gegen eine Euregio Tirol.“
-Renato Brunetta (PdL), Minister für öffentliche Verwaltung, am 08.02.2009 in der „Il Gazzettino“: „Regionen mit Sonderstatut müssen der Vergangenheit angehören… In drei bis fünf Jahren wird alles anders sein. Regionen, die bis dato Privilegien besitzen, darf es bis dahin nicht mehr geben.“
-Giorgio Napolitano, Staatspräsident, bezweifelte in einem Kommuniqué vom 11.02.2011 die Existenz einer österreichischen Minderheit in Südtirol.
-Mario Monti, Ministerpräsident, am 26.10.2012 im „Kurier“: „Ich glaube dadurch, dass 1992 der Konflikt vor der UNO gelöst wurde, gibt es keine Notwendigkeit für so eine Rolle Österreichs. Wir reden hier von inneritalienischen Problemen, da braucht es keine Kompetenzen für Wien.“ Süffisant ergänzte er: „Die Provinz Südtirol hat im Rahmen der italienischen Verfassung alle Möglichkeiten, um ihre Positionen durchzusetzen.“
-Im Vorfeld der Parlaments- und Senatswahlen im Februar 2013 kündigten Bersani und Palermo (PD) an, die Südtiroler Autonomie vom „ethnischen Ballast“ befreien zu wollen.