Man würde fast meinen, es sei eine Revolution: Im Durnwalder-Delrio-Abkommen verwendet die SVP erstmals die Fachbegriffe „Zweisprachigkeit“ vs. „Zweinamigkeit“. Dahinter steckt offenbar die Taktik, dem Abkommen eine scheinbar wissenschaftliche Note zu verleihen, um zumindest bei halbkritischen Zweiflern Eindruck zu schinden.
De facto geht dabei der Schuss der SVP erst recht nach hinten los, denn sie hat nicht einmal den Unterschied zwischen Zweisprachigkeit und Zweinamigkeit verstanden. So spricht Martha Stocker („Dolomiten“, 05.09.) irrigerweise von ein- oder mehrnamigen Orts- und Flurnamen. Dies ist in etwa dieselbe Unkorrektheit, wie wenn von günstigen statt niedrigen Preisen die Rede ist.
Wen wundert’s? Die SVP hat einen wissenschaftlichen Zugang zur Toponomastik stets gemieden, und wenn sie jetzt plötzlich mit wissenschaftlichen Termini jongliert, indem sie diese in einen falschen und letztlich nicht zielführenden Zusammenhang bringt, ist das nur bezeichnend für ihre Ahnungslosigkeit. Die Strategie der SVP, uns Südtiroler nunmehr auch noch unter dem Deckmantel der Wissenschaftlichkeit mit faschistischen Kulturverbrechen zwangszubeglücken, wird immer grotesker und beschämender!
Dr. Cristian Kollmann
Zweisprachigkeit − Zweinamigkeit: Unterscheidung ist kein Gewinn
Zweisprachigkeit und Zweinamigkeit sind in der Tat nicht dasselbe. Doch kann sich Zweinamigkeit per se nicht auf den Namen beziehen, sondern auf das (in diesem Fall geografische) Objekt. Dieses kann einen oder mehrere Namen haben, also ein- oder mehrnamig sein. Über die Sprache, in der die Namen existieren, wird damit nichts ausgesagt. Der Ort Bozen ist beispielsweise mehrnamig: Bozen, Bolzano, Bulsan, kann auch Synonyme haben wie Talferstadt, Landeshauptstadt. Zweisprachigkeit bezieht sich dagegen auf den Namen und nicht auf das Objekt. Dieser Name kann in einer oder mehreren Sprachen existieren. Für den Ortsnamen Bozen gibt es Versionen auf Deutsch, Ladinisch, Italienisch bzw. in den jeweiligen Dialekten.
Die Unterscheidung zwischen Zweisprachigkeit und Zweinamigkeit in der Toponomastikdebatte ist, selbst wenn diese Begriffe im korrekten Kontext gebraucht werden, dennoch kein Gewinn. Der Knackpunkt in der Toponomastikdiskussion ist nämlich die jeweilige Sprache der Namen und nicht deren Anzahl. Dies geht aus dem Pariser Vertrag sowie dem Autonomiestatut klar hervor, denn darin ist von „zweisprachiger Ortsnamengebung“ sowie von der „Verpflichtung zur Zweisprachigkeit in der Ortsnamengebung“ die Rede. Und genau hier gilt es anzusetzen, d.h. es gilt zu unterscheiden zwischen Zweisprachigkeit von Wörtern und Zweisprachigkeit von Namen, und nicht zwischen Zweisprachigkeit und Zweinamigkeit.
Die Funktion eines Wortes besteht darin, zu bedeuten: z.B. das Wort Ort = Ansiedlung von mehreren Häusern. Die Funktion eines Namens besteht darin, zu bezeichnen: z.B. der Name Bozen = ein Ort. Namen sind in der Regel also inhaltsleer und daher nicht übersetzbar. Übersetzt werden kann nur das, was etwas bedeutet. Wenn ein geografischer Name trotzdem in zwei oder mehreren Sprachen überliefert ist, wenn also Mehrsprachigkeit vorliegt, dann hat dies unterschiedliche Gründe: 1. Er wurde unabhängig in mehr als einer Sprachschicht benannt (z.B. Egna, San Candido von den Romanen bzw. Italienern, Neumarkt, Innichen von den Deutschen, Sanćiana von den Ladinern). 2. Er wurde vom Superstrat, der jüngeren Sprachschicht, aus dem Substrat, der älteren Sprachschicht übernommen und konnte sich, aus Gründen, die mit der Siedlungsgeschichte und der Relevanz des Objekts zusammenhängen, in mehr als einer Sprache bis zum heutigen Tag halten (z.B. Etsch / Adige oder Bozen / Bolzano / Bulsan). 3. Er wurde vom Superstrat übersetzt, weil er vielmehr als Wort denn als Name empfunden wurde (z.B. Fortezza für Franzensfeste oder Póstal für Burgstall).
Zwei- bzw. mehrsprachige Namen stellen allerdings eher die Regel als die Ausnahme dar: Sie finden sich in folgenden Fällen: 1. In historisch gemischtsprachigen Gebieten: z.B. Branzoll / Bronzolo, Leifers / Laives, Pfatten / Vadena. 2. In heute einsprachigen Gebieten, die nahe an der Grenze zu einem anderen Sprach- und Kulturraum liegen: z.B. Innichen / San Candido / Sanćiana, Sexten / Sesto / Le Sest, Pustertal / Pusteria / Val de Puster, Vinschgau / Venosta / Vnuost). 3. In Gebieten, die verkehrsmäßig für die andere Sprachgruppe schon immer wichtig waren: z.B. Bozen / Bolzano / Bulsan, Meran / Merano / Maran, Brixen / Bressanone / Persenon, Sterzing / Stérzen, Bruneck / Brunìco / Bornech. Eine flächendeckende zweisprachige Namengebung für das Gebiet des heutigen Südtirols hat es jedoch nie gegeben, sondern nur eine punktuelle, und zwar in den vorgenannten Fällen.
Um auf die Verpflichtung zur Zweisprachigkeit Deutsch / Italienisch in der Ortsnamengebung zurückzukommen, bedeutet das Dargelegte aus wissenschaftlicher Sicht: Zweisprachigkeit ja, aber nur, wenn die obgenannten Kriterien der Authentizität erfüllt sind, die italienische Version der jeweiligen Namen somit bereits ante Tolomei sowie außerhalb der „Prontuari“ nachgewiesen ist und weder forciert noch künstlich herbeigeführt wurde.
Untenstehend eine Liste von historisch mehrsprachigen geografischen Namen im Gebiet des heutigen Südtirol