Als ich im Juni 2013 in Südtirol Urlaub machte, waren in meinem Hotel die deutschen Gäste unter sich. Der Speisesaal war ziemlich leer, weil die Touristen aus Italien fehlten. Angesichts der Wirtschaftskrise können sich viele Italiener einen Urlaub nicht mehr leisten. Während in Deutschland und Österreich die Betriebe volle Auftragsbücher haben und auch die Hotels gut ausgelastet sind, wirft die Wirtschaftskrise in Italien ihren Schatten auf Südtirol…
1. Die italienische Misere
Die Einführung des Euros in Westeuropa als Gemeinschaftswährung wurde gegen den Rat vieler Finanz- und Wirtschaftsexperten von den Politikern durchgeboxt. Während in Deutschland, Österreich und Frankreich der Widerstand sehr groß war (und noch heute viele den Euro ablehnen), wurde von den Mittelmeerländern die Einführung dieser Währung freudig begrüßt. Wie von Geisterhand verschwanden zum Stichtag die Haushaltsdefizite bei vielen dieser Länder. –Glaubte man dort allen Ernstes, dass mit dem Euro die vor sich her geschobenen Probleme sich damit in Luft auflösen? Das Gegenteil ist der Fall!
„Gebt uns ein normales Land!“ rief verzweifelt Giorgio Squinzi, der Vorsitzende des italienischen Industriellenverbandes. Durch die Entwertung der Lira konnten italienische Produkte wettbewerbsfähig gemacht und viele Versäumnisse vertuscht werden. Mit der Gemeinschaftswährung Euro ist das nicht mehr möglich. Nun treten die Probleme Italiens in voller Wucht auf und gefährden nicht nur Italien/Südtirol, sondern das gesamte europäische Wirtschaftssystem (Dominoeffekt).
Wie in Deutschland ist auch in Italien der Mittelstand die tragende Säule der Wirtschaft und des Wohlstandes. Diesen trifft weniger die Schuld am Dilemma. Der Mittelstand ist oftmals fleißig und kreativ. Es ist ein Geflecht von Versäumnissen und von Unfähigkeit politischer Entscheidungsträger, aus das es scheinbar kein Entrinnen gibt und die Wirtschaft lähmt: zu geringe Produktivität, hohe Steuern, Rechtsunsicherheit, hoher Kündigungsschutz, unendliche Bürokratie, mafiöse Wirtschaftsstrukturen, politische Instabilität, überdimensionierter Staatsapparat, Reformunwilligkeit, Selbstbedienungsmentalität der Politiker, hohe Staatsschulden, hohe Arbeits- und Jugendarbeitslosigkeit und das Vergraulen ausländischer Investoren.
Nachfolgend ein paar Gegenüberstellungen zu Deutschland:
Italien Deutschland
Lohnstückkosten* 30% 2,5%
Arbeitsproduktivität je Stunde* 2% 15%
Arbeitskosten je Stunde* 32% 20%
Ausgaben für Entwicklung und Forschung vom BIP* 1,3% 2,8%
Anzahl der Patente je 1 Million Einwohner* 12 69
Stromanschluss für neu gegründeten Betrieb nach* 155 Tage 17 Tage
Klärung von Vertragsstreitigkeiten nach* 1.210 Tage 394 Tage
Schattenwirtschaft anteilig am BIP** 27% 16%
Die Steuern können bis zu 57% betragen. Es ist eine „italienische Spezialität“, dass Steuern im Nachhinein erhoben werden können. Dadurch wird eine seriöse Planung unmöglich gemacht. Viele Personen/Betriebe weichen in die Illegalität aus und verursachen damit einen Steuerausfall in Höhe von 180 Mrd. €**.
Italiens Politiker gehören mit zu den am besten bezahlten Politikern Europas. Italien hat ein Fuhrpark von 600.000 (staatseigenen) PKWs.
Die Jugendarbeitslosigkeit (betrifft Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren) betrug im August 2013 40,1%. Sie ist die höchste Zahl seit Aufzeichnung im Jahre 1977.
Trotz harter Sparmaßnahmen ist die Staatsverschuldung stetig gestiegen. Waren es im Jahre 2011 121% des Bruttoinlandproduktes (BIP), so sind es 2013 voraussichtlich 132% und nächstes Jahr 133%. Italien kommt einfach nicht vom Fleck. Viele Betriebe verlassen Italien und gehen in die Schweiz oder nach Österreich.
Auch ausländischen Firmen wird das Leben schwer gemacht: IKEA brauchte 7 Jahre, bis es endlich ein Einrichtungshaus in Rom eröffnen konnte. British Gas wollte in Süditalien für 800 Mio. € eine Flüssiggas-Fabrik errichten und gab nach 11 Jahren Bemühungen auf. Die Übernahme von italienischen Aktiengesellschaften durch ausländische ist extrem schwer. Davon können deutsche Aktiengesellschaften ein Lied singen. Italien ist ein investitionsfeindliches Land.
2. Maßnahmen der EZB
Die Europäische Zentralbank unter Führung des Italieners Draghi ergreift zwei Maßnahmen, um den Euro zu stabilisieren: die Niedrigzinspolitik und der Ankauf von Staatsanleihen.
2.1. Niedrigzinspolitik
Die Niedrigzinspolitik soll bewirken, dass Unternehmen zu billigeren Krediten kommen und der Zinssatz für Staatsanleihen niedrig bleibt. Ein Zinssatz von über 6% wird als kritisch angesehen. Befinden die Ratingagenturen, dass ein Land kreditunwürdig geworden ist, so wird es herabgestuft und der Zinssatz steigt (Risikozuschlag). –So wurden am 30.09.2013 die Zinsen für 10-jährige Staatsanleihen für Italien um 0,31% auf 4,73% erhöht.
Die Schattenseite dieser niedrigen Zinsen ist, dass Vermögen vernichtet wird, weil die Inflationsrate höher ist, als das, was derzeit geboten wird.
2.2. Der Ankauf von Staatsanleihen
Mit dem Ankauf von Staatsanleihen kriselnder Staaten durch die EZB wird ein Dammbruch (Rechtsbruch) bestehender EU-Verträge begangen. Dort wird davon ausgegangen, dass jeder Staat für seine eigenen Schulden aufkommt. Warum soll ein Staat überhaupt noch sparen?
3. Maßnahme der EU
Zusätzlich hat die EU einen Rettungsschirm namens ESM aufgespannt. Dieser soll einerseits die europäischen Staaten vor schädlichen Aktionen von Hedgefond- Unternehmen abwehren und andererseits „systemrelevante“ Banken, die in Schieflage geraten sind, unterstützen. Mitgliederstaaten erhalten unter Einhaltung wirtschaftspolitischer Auflagen Kredite.
Aber keinen einzigen Cent erhält davon der einfache Bürger! Griechenland ist nicht einmal imstande, das geliehene Geld zurückzuzahlen. Wie Herr Schäuble (CDU) schon angekündigt hat, soll neues Geld nachgeschossen werden.
In Deutschland lehnen der Bund der Steuerzahler, die deutsche Bundesbank, die Linken, Teile der Grünen und der CSU und die Alternative für Deutschland (AfD) den ESM in dieser Form ab. Auch Prof. Obwexer von der Innsbrucker Universität. Begründung:
-Verlust der Souveränität des Staates über die Finanzen,
-Intransparenz,
-der ESM-Gouverneursrat kann unbegrenzt hohe Kreditsummen bewilligen,
-die Steuerzahlerbürgschaften können damit ein Fass ohne Boden werden,
-die unzureichende Beteiligung privater Gläubiger und
-die ESM-Mitgliedsstaaten haben kein Austrittsrecht***.
4. Die Folgen für Südtirol
Italien lässt auf Grund der Sparmaßnahmen in Südtirol Gerichts- und Krankenhausstellen streichen. Deutschsprachige Bahnangestellte müssen plötzlich auch außerhalb von Südtirol fahren und italienischsprachige Bahnangestellte fahren auch nach Südtirol. – So wird das Nützliche gleich mit dem Praktischen verbunden, der Proporz klammheimlich aufgeweicht, und die ungeliebte Autonomie ausgehöhlt. Südtirol wird immer mehr an eine normale italienische Provinz angeglichen.
Der nächste „konsequente“ Schritt wäre, aus Kostengründen die deutschen und italienischen Schulen abzuschaffen und dafür eine einheitliche einzurichten. In dieser Richtung geht es schon. Das Zauberwort heißt „Immersion“.
Finanziell verheerend ist der Koalitionsvertrag der SVP mit der Partito Democratico (PD). Aus Gründen des Machterhalts und der Sicherung der Pfründe hat sich die SVP verpflichtet, sich an der Konsolidierung des italienischen Staatshaushaltes zu beteiligen, bis die Staatsverschuldung nur noch 60% beträgt. Dieser Zustand war das letzte Mal 1980 unter der Regierung Cossiga/Forlani.
Ausgehend von der Tatsache, dass die Südtiroler 1% der Bevölkerung in Italien ausmachen, präsentiert sich folgende Rechnung: Bei einer Verzinsung der Staatsschulden von 4,5% (aktuell 4,73%) zahlt Südtirol 900 Mio. €. Bei einer Staatsschuld von 2.000 Mrd. € sind zusätzlich 10 Mrd. € an Zahlungen für Südtirol fällig. Man bedenke, dass Südtirol einen jährlichen Haushalt von 5 Mrd. € hat! Allein die Zinszahlung macht ungefähr 20% des Haushaltes aus!
Diese ganze Rechnung ist ohnehin ohne den Wirt (den Provinzen südlich von Rom) gemacht! Diese Provinzen sind schon jetzt nahezu zahlungsunfähig, ganz zu schweigen von Sizilien! Das heißt, die nördlichen Provinzen dürfen noch mehr bezahlen!!!
Die SVP-Führung möge den Wählern erklären, wie Südtirol diese Schuldenlast schultern will, gewiss nicht mit der eigenen Parteikasse und ihren üppigen Diäten!
Die Jugendarbeitslosigkeit ist von 6,4% im Jahre 2010 auf 11,5% im Jahre 2012 gestiegen****. Wie eingangs angedeutet, leidet auch das Hotel- und Gaststättengewerbe unter der Wirtschaftskrise Italiens.
Es ist eine „italienische Spezialität“, dass Steuern im Nachhinein erhoben werden können und dass diese ansteigen, je mehr Personen ein Betrieb angestellt hat.
Je schlechter es Italien geht, umso misstrauischer und gehässiger kontrollieren italienische Behörden Südtiroler Unternehmen, während in anderen Provinzen oft der Schlendrian herrscht. So ist jedenfalls der Eindruck vieler Unternehmer.
Südtirol ist halt die Melkkuh Italiens!
Es wird höchste Zeit, sich von Italien zu verabschieden!
Wolfgang Schimank
Berlin, den 18.10.2013
*) „FOCUS“ Nr. 41/13, 07. Oktober 2013, Seite 70, 72
**) „Hohe Steuern in Europa treiben Unternehmen in die Schatten-Wirtschaft“
http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/05/08/hohe-steuern-…
***) http://de.wikipedia.org/wiki/Europäischer_Stabilitätsmechanismus#K…
****) http://www.tageszeitung.it/2013/02/04/115-prozent-arbeitslose/