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Wenn italienische Politiker von Europa reden…

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Wenn italienische Politiker von Europa reden…

Als Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg wurde am 25.03.1957 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), der Vorläufer der Europäischen Gemeinschaft, gegründet. Zu den Gründungsmitgliedern gehörte auch Italien. Wirtschaftliche Interessen sollten dadurch auf friedlichem Wege gelöst werden. Der Umweltschutz stand zu dieser Zeit ebenso wenig im Mittelpunkt des Interesses wie der Schutz ethnischer Minderheiten.

Die Diskussion zu den Themen „Minderheitenschutz“ und „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ nahm im universitären Bereich erst wieder an Fahrt auf, als das Kolonialsystem zusammenbrach und wurde weiter entfacht, als das sozialistische System auseinander fiel.

Ein besonderer Höhepunkt für die Menschheit war zweifellos, als 1977 viele Staaten, unter anderem Italien, den Internationalen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte sowie den Internationalen Pakt über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte unterschrieben.

Westeuropa entwickelte sich weiter und hatte neue Regeln betreffs des Minderheitenschutzes aufgestellt. Allerdings hinken diese den heute gängigen Vorstellungen weit hinterher. Dafür haben wohl Vertreter von solchen EU-Staaten gesorgt, die den Nationalismus nach wie vor hegen und pflegen. Dazu zählen Italien, Frankreich und Spanien. – Ein aktuelles Beispiel ist die Ablehnung einer Initiative der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) durch die EU-Kommission am 30.09.2013. – Südtirols Landeshauptmann Luis Durnwalder haderte mit dieser Entscheidung: „Leider scheint man in Brüssel noch nicht verstanden zu haben, daß die verschiedenen Volksgruppen für Europa keine Gefahr, sondern eine Bereicherung darstellen.“ [1]
Vielleicht gibt es einen Schub in der Weiterentwicklung der Rechte für Minderheiten / Volksgruppen, wenn Schottland und Katalonien unabhängig werden sollten.

Südtirol kann sich zum Glück auf das Pariser Abkommen berufen. Der Preis für die Unfreiheit sollte eine von Italien garantierte Autonomie sein. Allerdings haben die Italiener die Rechte, die zurzeit die Südtiroler genießen, nicht geschenkt, sie wurden hart erkämpft.

Viele italienische Politiker sehen die Autonomie als einen Betriebsunfall an und trachten nach einer Revision. Leider hat sich auch die italienische sozialdemokratische Partei, die Partito Democratico (PD), vom entschiedenen Ablehner der Annexion Südtirols in den 20-er Jahren des letzten Jahrhunderts zum Befürworter entwickelt. Die wenigsten Politiker in Rom sagen es offen. Sie betreiben den Abbau der Autonomie eher auf subtile Art und Weise.
Es ist schon sehr auffällig, daß gerade in den letzten Jahren, seit Italien in der tiefsten Wirtschaftskrise steckt und das „Los von Rom!“ immer lauter wird, das Wort „Europa“ immer häufiger verwendet wird. Sind aus den nationalistisch gesinnten italienischen Politikern plötzlich bekennende Europäer geworden?

Durch die Wirtschaftskrise ist besonders Italien gezwungen, Einsparungen vorzunehmen. Die EU-Sparvorgaben werden von Rom dazu genutzt, die ungeliebte Autonomie Südtirols auszuhebeln. Die italienischen Politiker schieben die Verantwortung für die unangenehmen Maßnahmen auf die EU und auf die Bundeskanzlerin Merkel. Aber diese schreiben nicht vor, wo und wie gespart werden soll. Rom setzt den Rotstift überall an, nur nicht bei sich selbst.

Wie die „Neue Zürcher Zeitung“ vom 09.11.2013 zu berichten weiß, plant das Abgeordnetenhaus in Rom, nächstes Jahr seine Ausgaben um 10% zu erhöhen. Das Deputiertenhaus in Italien gibt 2,4-mal mehr Geld aus als das britische Unterhaus. Der Quirinalspalast ist doppelt so kostspielig wie das Elysée, obwohl der italienische Präsident weit weniger Befugnisse hat als der französische Staatspräsident [2] und ist 8-mal so teuer ist wie das Bundespräsidialamt in Berlin. [3]
Die deutsche Illustrierte Stern“ schreibt: „Berlusconi mag weg sein, am maroden politischen System in Italien ändert sich deshalb nichts. In keinem europäischen Land engagieren sich die Volksvertreter so sehr für ihr eigenes Wohlergehen und so wenig für das Wohl des Volkes.“ [3]
Die italienischen Politiker erwarten, daß die nord- und mitteleuropäischen Länder sowie Südtirol für dieses Verhalten bluten. – Ist das im europäischen Geist?

Wenn Ministerpräsident Enrico Letta am 14.11.2013 auf dem Parteitag der SPD in Leipzig sagt, daß auch Italien mit 18% am Staatenrettungsfond beteiligt ist, dann dürfte es ein schwacher Trost für alle aus Nord- und Mitteleuropa sein, deren mühsam erspartes Geld durch die Niedrigzinspolitik und den Ankauf von Staatsanleihen entwertet wird.
Seiner Meinung nach seien alle Kritiker Populisten und Feinde Europas. [4] –Scheinheiliger geht es kaum noch!

Bundespräsident Gauck und Staatspräsident Napoletano trafen sich dieses Jahr mehrere Male. Dabei wurde der europäische Geist beschworen und von einer Wertegemeinschaft geredet. – Während in Deutschland die faschistische Vergangenheit aufgearbeitet wurde, unterscheidet man in Italien zwischen dem deutschen und italienischen Faschismus. Der erstere wird geächtet und der zweite ist durch die Amnestie von Justizminister Togliatti im Jahre 1946 gesellschaftlich wieder hoffähig geworden.

Das beste Beispiel: Postfaschist Ignazio La Russa war unter Berlusconi von 2008 bis 2011 Verteidigungsminister. Italien schützt „dank“ der Amnestie seine Kriegsverbrecher bis zum heutigen Tage vor nationaler und internationaler Strafverfolgung. [5] In Südtirol stehen noch heute faschistische Denkmäler, die auch für Gedenkfeiern genutzt werden.
Für Südtirol sind noch heute Gesetze aus der Zeit von Mussolini gültig. Am 14.04.2009 verbot der Polizeipräsident von Bozen, Innocenti, eine Demonstration vor dem Kapuzinerwastl in Bruneck, die den Abriß dieses Alpini-Völkermorddenkmales bezwecken sollte. – Wo sind da die gemeinsamen Werte?

Um der italienischen Bevölkerung und der Welt die „Italianíta“ Südtirols zu beweisen, regte der Bürgermeister von Bozen, Luigi Spagnolli an, in Bozen ein Alpini-Treffen zu veranstalten. Am 11. und 12.05.2012 fand dieses mit allem, was zu einem nationalistischen Getöse dazugehört (Parade, ein Tricolore- Fahnenmeer, entsprechende Spruchbänder), statt. Der Präsident des Alpini, Corrado Perona, ließ es sich nicht nehmen, am 10.05.2013 am Kapuzinerwastl in Bruneck, das dem Massenmord in Äthiopien huldigt, einen Kranz niederzulegen, was in Südtirol heftig kritisiert wurde. [6]
Landeshauptmann Durnwalder, umrahmt vom Nationalisten Luigi Spagnolli und vom Postfaschisten La Russa, nahm die Parade der Alpini ab. Der Umzug ging am Mussolini-Relief am Finanzgebäude vorbei… In seiner Abschlussrede bedankte sich Bozens Bürgermeister bei allen Teilnehmern und bezeichnete die Alpini als „der beste Teil Italiens und sprach von „jenem offenen Italien, das nach Europa und in die Welt schaut“. [7]

Tausende Tricolore- Fahnen hingen noch einen Monat nach dieser Veranstaltung in Bozen herum. Auf die Kritik von Roland Lang, Obmann des Südtiroler Heimatbundes, dass diese teilweise ein Verkehrshindernis darstellten und die Anbringung gegen die Straßenverkehrsordnung verstössen, antwortete Luigi Spagnolli in einem Brief trotzig: „Die Südtiroler werden dadurch an die schöne Momente des Alpini-Treffens erinnert, nicht an die Staatsregierung, die damit nix zu tun hat, da die Fahne vielmehr ein Symbol der Nation*, viel weniger des Staates, ist. … Wir sind derzeit italienische Staatsbürger, morgen werden wir vielleicht auch etwas anderes sein, europäische Bundesstaatsbürger zum Beispiel. …“

Am 18.09.2013 stimmte der Südtiroler Landtag dem Beschlussantrag Nr. 674/13 mehrheitlich zu. Der Wortlaut: „Der Südtiroler Landtag beauftragt die Landesregierung:
1. Dafür zu sorgen, dass die Schutzhütten, die ans Land Süd-Tirol übergegangen sind, zukünftig nur mehr mit dem historischen Hüttennamen geführt werden und die faschistischen Namen gestrichen werden;
2. Bei der zukünftigen Verpachtung der im Landesbesitz befindlichen Schutzhütten, die bisherige Pflicht zum Hissen der italienischen Fahne vor der Hütte zu streichen.“

Geschichtlicher Rückblick:
Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich in Südtirol zunehmend ein Bergwander- / Bergklettertourismus. Der Deutsche und Österreichische Alpenverein (DÖAV) errichtete 77 Schutzhütten, die nach dem Namen der nächstgelegenen Bergspitze oder nach der Sektion des DÖAV benannt wurde, die die Schutzhütte finanzierte.

Nach der Annexion Südtirols durch Italien und der Machtergreifung Mussolinis wurde alles dafür getan, um die Entnationalisierung und Italienisierung voranzutreiben. Der Einfallsreichtum der italienischen Faschisten schien keine Grenzen zu haben. Das Hauptaugenmerk wurde auf die Auslöschung der (deutschen) Sprache gelegt, weil sie die Wurzel der Identität eines Volkes ist. So wurden unter anderem 1925 der DÖAV aufgelöst und alle Schutzhütten konfisziert. Diese wurden dann dem italienischen Alpenverband CAI zur Verwaltung übergeben. Die deutschen Namen der Schutzhütten wurden verboten. Stattdessen erhielten sie italienische Phantasienamen.
Mit dem Inkrafttreten des 2. Autonomiestatuts wurden einige, aber nicht alle, Schutzhütten dem Land Südtirol zurückgegeben.

Durch den Beschlussantrag Nr. 674/13 wollte der Südtiroler Landtag ein begangenes Unrecht wenigstens teilweise rückgängig machen. Das aber rief Rom auf den Plan. Regionenminister Graziano Delrio (Partito Democratico) forderte den Landtag auf, den Beschluss zu revidieren. In seiner Begründung missbraucht er das Wort „Europa“ wie viele seiner Kollegen: „…Die Schutzhütten-Betreiber hängen die Fahne ihrer Nation* aus, um damit zu zeigen, dass sie Schutz bieten. Das sind keine Gesetze, sondern Regelungen und vor allem gute Gepflogenheiten. Wir wollen, dass vor den Schutzhütten auf italienischem Boden weiterhin die Trikolore ausgehängt wird, weil es die Fahne des Italiens von heute ist, das Richtung Europa blickt und in dem sich alle Kulturen daheim fühlen können.“ [8]

–Die Bezeichnung und Beflaggung der Schutzhütten ist eine Sache der Provinz, nicht aber eine Sache des Staates! Diese grobe Einmischung zeigt, was die Autonomie Südtirols wert und wessen Geistes Kind die sozialdemokratische Partito Democratico ist.

Wenn italienische Politiker von Europa reden, soll es einen Eindruck des Fortschrittlichen und der Weltoffenheit machen. Aber in Wirklichkeit sind diese Politiker in der Zeit stecken geblieben bzw. zurückgefallen, als die EWG gegründet worden ist.

Was Südtirol betrifft, wollen die Machthabenden in Rom, dass die ungerechten Verhältnisse so bleiben, wie sie sind, wenn nicht gar eine Angleichung an eine normale Provinz. So erklärte Ex-Außenminister Franco Frattini: „Man muss und kann das Südtiroler Statut im europäischen Sinne revidieren. Die EU sieht keine auf ethnischer Basis gegründeten regionalen Gebiete vor. Ich bin daher gegen eine Euregio Tirol.“ [9]

Italienische Namen, faschistische Denkmäler und Gesetze sowie die Trikolore sind in den Augen Roms für Südtirol unentbehrlich. Die Welt ist insofern eingeladen, um sich von der vorgegaukelten „Italianitá“ Südtirols zu überzeugen. Ansonsten möge Europa/die Welt sich nicht einmischen…

Und an die Adresse von Ministerpräsident Letta sei folgendes Zitat gerichtet:
„Anti-europäisch“ sind nicht jene, die Bürgerrechte, Gerechtigkeit und Freiheit fordern.
Europa, wie es die meisten Bürger verstehen, ist Vielfalt, Subsidiarität und Kontrolle der Politiker.
„Anti-europäisch“ sind jene Politiker, die einen Zentralstaat wollen, bei dem sie Niemandem mehr verantwortlich sind und ungeniert ihrer „Interessensdemokratie“ nachgehen können.“ [10]

Wolfgang Schimank

*) Nation bezeichnet größere Gruppen oder Kollektive von Menschen, denen gemeinsame kulturelle Merkmale wie Sprache, Tradition, Sitten, Gebräuche oder Abstammung zugeschrieben werden.“ (Wikipedia)

Buchempfehlung:
Sergio Rizzo / Gian Antonio Stella: „la casta. cosí i politici italiani sono diventati intoccabili”
(„Die Kaste, So wurden die italienischen Politiker Unantastbare“)

[1] „Dolomiten“, 01.10.2013, „Durnwalder kritisiert EU-Kommission“
http://www.stol.it/layout/set/print/content/view/artikel_print/725589
[2] „Neue Zürcher Zeitung“, 09.11.2013, „Italiens verschwenderische Politiker“
http://www.nzz.ch./aktuell/international/reportagen-und-analysen/ital…
[3] „stern“, Ausgabe 47, 17.11.2011, Seite 56-64, Claus Lutterbeck: „Sich zanken … und bedienen“
[4] „Süddeutsche Zeitung“, 02.11.2013, „Italiens Premier warnt vor Aufstieg der Populisten“
http://www.sueddeutsche.de/politik/2.220/enrico-letta-italiens-premi…
[5] „Zeit“, Ausgabe 38, 31.12.2005, Aram Mattioli, „Kriegsverbrechen: Der unrichtbare Dritte“
http://www.zeit.de/2005/38/A-Abessininienkrieg
[6] „Dolomiten“, 12.05.2012, „Alpinitreffen: Kranzniederlegung sorgt für Kritik“
http://www.stol.it/layout/set/print/content/view/artikel_print/455782
[7] Newsletter und Pressemitteilungen der Stadt Bozen: „85. Alpini-Treffen abgeschlossen“
http://www.gemeinde.bozen.it/stampa_context.jsp?ID_LINK=426&a…
[8] „Die Neue Südtiroler Tageszeitung“, 26.09.2013, „Delrios Machtwort“
http://www.tageszeitung.it/2013/09/26/delrios-machtwort/
[9] „Tiroler Tageszeitung“, 25.04.2008
http://hochtirol.wordpress.com/2009/11/21/selbstbestimmung-fur-sud…
[10] „Deutsche Wirtschaftsnachrichten, 15.11.2013, „Gabriel warnt vor dem Aufstieg der „Anti-Europäer“
http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/11/15/sigmar-gabrie…

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