In der DDR gab die Zeitung der SED „Neues Deutschland“ den Ton an, was die Wahrheit ist, wie die Wahrheit zu sein hat. Alle anderen Zeitungen druckten den gleichen Wortlaut ab. Laut Philosophie der Redakteure vom „Neuen Deutschland“ gab es nur Freunde oder Feinde des Sozialismus.
Anfang der 80-er Jahre betreute ich Lehrlinge aus Nordkorea, ein Mädchen und einen Jungen. Der Junge war Propagandist. Er hatte auf die Ideologietreue seiner Lehrlingsgruppe zu achten. Eines Tages zeigte er mir stolz eine nordkoreanische Zeitung. Dort gab es bunte Fotos aus Nordkorea und Schwarz-Weiß-Fotos von Südkorea. Ich mußte schmunzeln, denn das war im wahrsten Sinne des Wortes Schwarz-Weiß-Malerei, plumpe Meinungsmache. -Während man sich in der DDR heimlich über den westdeutschen Rundfunk und über das Fernsehen anderweitig informieren konnte, waren (und sind noch heute) die Nordkoreaner hermetisch abgeriegelt und somit mit Haut und Haar den dortigen Demagogen ausgeliefert…
In der Schule hat man gelernt, daß sich die westliche Demokratie durch ihre Meinungsvielfalt auszeichnet. Allerdings wurde die Meinungs- und Pressefreiheit mit dem Zusammenbruch des Sozialismus Stück für Stück zurück gedrängt. Stattdessen gibt es immer mehr Tabuthemen, Wortreglementierungen und Ausgrenzungen politisch Andersdenkender. Zwar muß man nicht mehr ins Gefängnis gehen, wenn man eine andere Meinung vertritt als der Staat, aber die Methoden der Meinungsmache und Stigmatisierung von politisch unliebsamen Menschen ist nicht minder perfide… Zur „political correctness“ (politische Korrektheit) sagte der ehemalige US-Präsident George H. W. Bush: „Was als Kreuzzug für Anstand begann, ist umgeschlagen in einen Konfliktherd und sogar in Zensur.“ [1] Daß sich die Menschen dadurch immer weniger mit dieser Gesellschaft identifizieren können, wird von den Machthabenden in Politik und Medien billigend in Kauf genommen.
Jeder Herausgeber einer Zeitung verfolgt ein bestimmtes politisches Ziel. Das ist legitim. Von öffentlichen Medien erwartet man, daß sie sich der Wahrheit und nur der Wahrheit verpflichtet fühlen. Doch weit gefehlt! Anhand der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“ möchte ich zeigen, wie dem unbedarften Leser ein einseitiges Bild über Südtirol vermittelt wird. Vielleicht sind meine Beispiele nur „Ausreißer“. Trotzdem sollte sich die Redaktion dieser Zeitung überlegen, ob sich das für eine seriöse Zeitung, wie „Der Standard“ es sein will, geziemt.
„Der Standard“ ist mit einer Auflage von knapp 70.000 Exemplaren die viertgrößte überregionale Tageszeitung Österreichs. „Die Zeitung ist dem Ehrenkodex der österreichischen Presse verpflichtet und bezeichnet ihre Blattlinie als liberal und unabhängig. Von Wissenschaftlern wird „Der Standard“ eher als linksliberal wahrgenommen. [2] –Liegt diese Ausrichtung am linksliberalen Mainstream und an der österreichischen Staatspolitik an der massiven Subventionierung der Zeitung aus dem Topf der Österreichischen Presseförderung (2011: 1,5 Millionen EURO)? [2]
Mit einer gewissen Naivität von Meinungs- und Pressefreiheit hatte ich in der Vergangenheit mehrere Male vergeblich versucht, einen kritischen Artikel bzw. Leserbrief über Südtirol im „Standard“ zu platzieren. Offenbar entsprach dieser nicht der Linie dieses Verlagshauses…
Erfreulicherweise berichtet „Der Standard“ wesentlich öfter über Südtirol als die deutschen Medien.
Die Berichterstattung erfolgt entweder über die Befragung von Prominenten / Wissenschaftlern / Politikern oder direkt durch den Korrespondenten, zumeist Gerhard Mumelter.
Auffällig ist, daß die Befragten eher aus dem linken Spektrum bzw. aus der regierenden SVP kommen. Politiker der Oppositionsparteien fristen dabei ein Schattendasein: Dr. Eva Klotz (Südtiroler Freiheit) und Dietmar Zwerger (BürgerUnion) versicherten mir, daß sie niemals vom „Standard“ befragt worden sind. Pius Leitner (Die Freiheitlichen) erinnert sich nur an eine Befragung kurz vor den Landtagswahlen 2013. Diese brachte lediglich eine Randnotiz ein. –Ausgewogenheit sieht anders aus!
Wenn Gerhard Mumelter über Südtirol schreibt, wird erst einmal der Eindruck vermittelt, als sei es ein Tatsachenbericht, aber in Wirklichkeit sind die Aussagen mit seiner persönlichen Meinung durchdrungen. Würde über seinem Text die Überschrift „Kommentar“ stehen, dann wüßte jeder sofort, woran er ist. Das wäre seriöser.
Beispiel für „Befragung“:
Unter der Überschrift „Ohne Autonomie wäre es sicher schlechter“ fand am 3. Jänner 2013 ein Interview mit dem Publizisten Gabriele De Luca statt, welches Gerhard Mumelter führte. [3]
Auf die Frage „Wie reagieren Sie auf die Parole „Los von Rom“?“ antwortete De Luca: „…Ich möchte gerne, dass mir jemand glaubhaft erklärt, wie man die juridischen, institutionellen, diplomatischen und sonstigen Probleme löst, die dabei auftreten. Das von Wien und Rom in langen Jahren ausgehandelte und von beiden Staaten mitgetragene Autonomiestatut müsste abgeschafft werden, die heutige Minderheit würde zur Mehrheit.“ –Obwohl diese Aussage falsch ist, sieht sich „Der Standard“ nicht genötigt, entweder an Ort und Stelle oder bei nächster Gelegenheit diese Falschaussage zurecht zu rücken. Anscheinend liegt der Zeitung daran, Angst vor der Zukunft Südtirols ohne Italien zu schüren. (1. In seinem Buch „Südtirol und das Vaterland Österreich“ auf den Seiten 363 und 364 ist Felix Ermacora darauf eingegangen. [4] Magnago hatte nämlich auch diese These vertreten. 2. Francesco Cossiga hatte 2006 bei seinem Vorschlag zum Selbstbestimmungsreferendum für die Südtiroler festgelegt, falls das Referendum scheitern sollte, fiele Südtirol in den alten Zustand zurück. 3. Es ist eine Binsenwahrheit: Wer die Freiheit nicht fordert, wird sie nie erhalten!)
Oftmals wird der Eindruck hinterlassen, die Südtiroler sollten doch den Italienern dankbar sein, daß sie ihnen eine Autonomie gewähren. Diese sei Quelle des Wohlstands. Aber ist der Wohlstand der Südtiroler nicht eher deren Fleiß und Organisationstalent geschuldet? –Sizilien hat eine weitergehendere Autonomie als Südtirol, trotzdem ist diese Provinz ein Sozialfall. „SPIEGELONLINE“ ging am 20.07.2012 auf die Situation in Sizilien unter der Überschrift „Das Kreuz des Südens“ ein: „…Wer immer regierte, hat seine Freunde und deren Freunde im öffentlichen Dienst untergebracht. Es hat sie ja nichts gekostet.“ … „jeder achte von ihnen ist „Chef“ von irgendwas. Viele Behörden sind voll mit Menschen, die keine Ahnung haben, was sie dort tun sollen.“ … „Nicht die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise, sondern Korruption, Verschwendung und Vetternwirtschaft – das ist das wahre Kreuz des Südens. Natürlich gibt es auch in Deutschland, in den Niederlanden, überall, Beispiele für eine unfähige Verwaltung, … Sie stören, sie kosten viel Geld, aber sie zerstören nicht das Fundament der staatlichen Gemeinschaft.“ [5]
Beispiel für die „Berichterstattung“
Am 3. Jänner 2013 wurde von Gerhard Mumelter ein Artikel veröffentlicht „Südtirol: Alte Schlachtrufe statt Zukunftskonzepte“. [6] Dieser soll die Situation in Südtirol kurz vor den Parlaments- und Senatswahlen dem Leser näher bringen.
Allein die Überschrift des Artikels ist Programm für das, was folgt: Anstatt dem Leser die Beurteilung des Sachverhaltes selbst zu überlassen, legt Herr Mumelter diese ihm schon zurecht:
-„Alte Schlachtrufe statt Zukunftskonzepte“,
-„Im patriotisch getünchten Wahlkampf wird viel über Phantome und wenig über Fakten gestritten.“
-„Meilen trennen die markigen Parolen der Schützen von der lebhaften Kultur- und Kunstszene…“
-„Gedöns um Selbstbestimmung“
Gern zitiert er auch den Landtagsabgeordneten der Grünen Hans Heiss: „Man gebärdet sich noch immer so, als sei die ethnische Identität der Südtiroler gefährdet und nicht ihre von Betonierung bedrohte Landschaft.“
Gerhard Mumelter verwechselt in seiner Ausführung, wenn er von „Phantomen“ und „Fakten“ schreibt, Ursache und Wirkung in Südtirol:
Die Probleme, die die seit 1945 regierende SVP und die Südtiroler allgemein mit Rom haben, nämlich die Ignoranz und Verletzung von Verträgen, sind die Wirkung. Die Ursache ist die Fremdbestimmung durch Italien. Die SVP doktert leider immer nur an den Symptomen herum, aber nimmt sich niemals der Ursache an! –Kurz nach seinem Amtsantritt erklärte Luis Durnwalder am 14.11.1990 den Volkstumskampf für beendet. [7] Zwei Jahre vor Ende seiner Karriere als Landeshauptmann sagte er am 16.09.2011 in den „Dolomiten“, daß „man als österreichische Minderheit in Italien immer eine gewisse Angst haben müsse.“ [8] –Ist das nicht ein Eingeständnis, daß die Südtiroler in einem nationalistisch und zentralistisch ausgerichteten italienischen Staat nur durch einen ständigen Kampf um Selbstbestimmung mehr recht als schlecht überleben können? Hinzu kommt, daß in Südtirol zwei grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen von Vertragstreue aufeinander prallen. –Nachfolgend ein interessantes Zitat aus dem Internetforum „Brennerbasisdemokratie“ vom 04.02.2014, wo man zur gleichen Schlußfolgerung kommt: „Innerhalb der aktuellen nationalstaatlichen Ordnung sind Regionen, in besonderem Maße Regionen, die sich sprachlich / kulturell von der Titularnation unterscheiden, ist in irgendeiner Art und Weise immer zum Verteidigen verdammt.
Diese Verteidigungshaltung kostet nicht nur wertvolle Ressourcen, sondern es gibt langfristig auch keinerlei Garantie, dass innerhalb der gegebenen nationalstaatlichen Rahmenbedingungen nicht doch das nationalstaatliche Selbstverständnis stärker ist als alle regionalistischen Selbstverwaltungsbemühungen. … Die Autonomie war die richtige Antwort auf das falsche System des Nationalstaates. Wir können diese Antwort verteidigen, sie weiter verfeinern, werden aber dadurch nie das falsche System überwinden.“ [9] –Gerhard Mumelter bewies seinen ideologischen Scheuklappenblick nicht nur in dem von mir näher beleuchteten „Tatsachenbericht“: Auf der Diskussionsrunde des RAI Südtirol am 03.02.2014 äußerte er sein Unverständnis, wie Landeshauptmann Kompatscher bei seinem Besuch in Wien von „Schutzmacht Österreich“, „Vaterland Österreich“ und von „Nation“ reden konnte.
Auch wenn man das nicht offen sagen will, Südtirol ist für das offizielle Österreich nur mehr ein lästiges Problem. In Wien hat man auf dem Altar der guten wirtschaftlichen Beziehungen zu Italien (so wie in den 30-er Jahren) Südtirol geopfert. Insofern paßt schon die Stoßrichtung von Gerhard Mumelter: Wenn man den Faden der Ausführungen des Herrn Mumelter „bösartig“ weiterspinnen würde, dann käme man letztendlich zur sarkastischen Aussage: „Hunde, wollt ihr ewig leben? Wann wollt Ihr Südtiroler Euch endlich assimilieren lassen???“
Zum Thema Medienmanipulation liest man bei Wikipedia unter anderem: „Eine weitere Herausforderung für den Journalisten liegt in der Gewichtung, die er unterschiedlichen Positionen und Argumenten beimisst. Er muss alle relevanten Positionen und Argumente aufzeigen sowie durch eine Gewichtung verdeutlichen, dass die Argumente unterschiedliche Relevanz haben. Gelingt ihm das nicht, so spricht man von tendenziöser Berichterstattung.“ [10]
„Gezielte Manipulation durch bewusste einseitige Berichterstattung widerspricht den Grundsätzen unabhängiger journalistischer Berichterstattung und journalistischer Ethik…“ [10]
Die Eigentümer alsauch die Redaktion des „Standard“ sollten sich reiflich überlegen, ob sie sich nicht den schwer erarbeiteten Ruf einer seriösen Tageszeitung durch die journalistische Arbeit eines Herrn Mumelter, die oft vor politischer Voreingenommenheit strotzt, zerstören lassen wollen.
Wolfgang Schimank
Berlin, den 08.04.2014
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Politische_Korrektheit
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Standard
[3] Der Standard, 03.01.2013, Gerhard Mumelter, „Ohne Autonomiestatut wäre es sicher schlechter“
http://derstandard.at/1356426700265/Ohne-Autonomiestatut-waere-e…
[4] Felix Ermacora, „Südtirol und das Vaterland Österreich“, Seite 363 und 364
[5] SPIEGELONLINE, 30.07.2012,Hans-Jürgen Schlamp, „Das Kreuz des Südens“
http://www.spiegel.de/politik/ausland/italien-misswirtschaft-und-ko…
[6] Der Standard, 03.01.2013, Gerhard Mumelter, „Südtirol: Alte Schlachtrufe statt Zukunftskonzepte“
http://derstandard.at/1356426696876/Suedtirol-Alte-Schlachtrufe-sta…
[7] Felix Ermacora, „Südtirol – Die verhinderte Selbstbestimmung“, Seite 8
[8] Dolomiten, 16.09.2011, „Durnwalder: „Bin kein Kandidat für Nobelpreis in Demokratie“ http://www.stol.it/layout/set/print/content/view/artikel_print/255239
[9] Brennerbasisdemokratie, 04.02.2014, Wolfgang Niederhofer, „Rhetorik ändern.“
http://www.brennerbasisdemokratie.eu/?tag=karl-zeller
[10] http://de.wikipedia.org/wiki/Medienmanipulation