Als Preis für die Unfreiheit wurde den Südtirolern im Pariser Vertrag von 1946 von Italien eine Autonomie zugesichert. Unter Punkt 1b versprach Rom die „Gleichstellung der deutschen und italienischen Sprache in den öffentlichen Ämtern und amtlichen Urkunden…“. [1]
Nachdem es Italien durch diplomatische Raffinesse gelungen war, formal als Eigentümer des Territoriums Südtirols anerkannt zu werden, wollte es nun Nägel mit Köpfen machen und die Italianisierung vorantreiben. Von dem „Geist der Billigkeit und Weitherzigkeit“ dieser Vereinbarung wollte Rom nichts mehr wissen. Es kam noch schlimmer: Während der größte Teil Westeuropas sich der wiedergewonnenen Demokratie und des wirtschaftlichen Aufschwungs erfreute, versank Südtirol in eine Finsternis. Es war die Finsternis des italienischen Nationalismus und Faschismus: Alte faschistische Gesetze und die 51%-Politik in Form von Ansiedlung süditalienischer Arbeitskräfte wurden reaktiviert. 1957 (!) wurden über dem Portal des jetzigen Finanzamtes in Bozen die letzten Mussolini-Reliefs angebracht. [2] Ab Juli 1952 gab es ein striktes Verbot, die deutsche Sprache in den Ämtern Südtirols, auch zwischen deutschen Dienststellen, anzuwenden. [3] „Am 10. Februar 1955 gaben die Gerichtsbehörden in der Provinz Bozen ein Rundschreiben des italienischen Justizministers weiter, wonach es, gestützt auf die faschistische Verordnung vom 9. Juli 1939, verboten war, Kindern italienischer Staatsangehöriger fremdsprachige, d. h. deutsche Vornamen, zu geben.“ [3] Südtirol wurde von Rom wie eine Kolonie behandelt. –Die österreichische Bundesregierung begann Ende der 50-er Jahre in ihrem „Außenpolitischen Bericht“ die Diskriminierung der Südtiroler haarklein aufzulisten.
Erst durch den bewaffneten Kampf, den UNO-Resolutionen in den 60-er Jahren und den zähen Verhandlungen wurde Italien zur Respektierung der Grundrechte der Südtiroler gezwungen. In der Folge kam es zum Abschluß und der Erweiterung von Autonomieregelungen. Durch das Dekret des Präsidenten der Republik Italien Nr. 575 vom 15.7.1988 wurde die deutsche Sprache mit der italienischen Staatssprache gleichgestellt.
Mit einer gewissen Ohnmacht und Wut müssen die Südtiroler gewahren, wie ihnen Rom seit der Verfassungsreform im Jahre 2001 die Autonomierechte stutzt. Zum überwiegenden Teil geht es hierbei „nur“ um Verwaltungsrechte. Besonders, wenn es um die Orts- und Flurnamen (Toponomastik) geht und wenn sich Nachteile bei der Ausübung ihrer Sprache erwachsen, reagieren die Südtiroler äußerst allergisch. –Leider mehren sich in letzter Zeit die Vorfälle, wo Vertreter von italienischen Organisationen oder der Staatsmacht Südtiroler abstrafen, weil sie deutsch reden oder schreiben. Viele Fälle werden nicht an die Öffentlichkeit gebracht.
Im Dezember 2013 erregte ein Fall die Gemüter der Südtiroler. Er ging durch die Südtiroler Medien und war auch Gegenstand einer Auseinandersetzung im Südtiroler Landtag:
Die 1970 gegründete Firma Anton Pichler & Co. OHG ist ein Südtiroler mittelständisches Fuhrunternehmen mit Sitz in Brixen. Es begann mit der Belieferung von landwirtschaftlichen Betrieben und entwickelte sich zu einem Speditionsunternehmen mit den Geschäftsbereichen internationaler Straßengüterverkehr, Speditionsdienstleistungen und Baumaschinenlogistik.
Doch nun zum Stein des Anstoßes. Im April 2013 geriet ein Mitarbeiter dieser Firma in der Provinz Pordenone in eine Polizeikontrolle. Er wurde aufgefordert, seinen Arbeitsvertrag und eine Erklärung über arbeitsfreie Tage vorzulegen. Der Fahrer zeigte die Dokumente dem Polizisten. Der Ordnungshüter akzeptierte diese nicht, weil sie in deutscher Sprache verfaßt waren. Er verlangte die entsprechenden Papiere auf italienisch. Als der Mitarbeiter diese nicht vorweisen konnte, wurde der Staatsbeamte ungemütlich. Der Fahrer verständigte sofort Herrn Pichler, seinen Chef. Dieser sprach dann telefonisch mit dem Polizeibeamten vor Ort. Zur Beruhigung der Situation verwies Herr Pichler auf europäische Richtlinien. Diese Bemerkung führte nicht zur Entschärfung, sondern zum Zünden der Bombe. Ziemlich aufgebracht und in einem gehässigen Ton brüllte dieser ins Telefon „Qui siamo in Italia!“. –Diese Szene mag wohl dem Mitarbeiter des Transportunternehmens an den weltbekannten französischen Schauspieler und Komiker Luis de Funès in seiner besten Rolle als cholerischen und machthungrigen Gesetzeshüter erinnert haben („Der Gendarm von Saint Tropez“). Andererseits ist mit einem nationalistisch oder faschistisch angehauchten Polizisten, wie scheinbar in diesem Fall, nicht zu spaßen. Wer weiß, welche Schikanen er sich noch ausdenkt…
Innerhalb der nächsten 30 Minuten wurde der zuständigen Polizeidienststelle eine italienische Übersetzung zugesandt. Das nutzte nichts. Trotzdem wurde ein Bußgeldbescheid ausgestellt. Laut Protokoll wurde festgestellt, daß „der Fahrer wie vom Gesetz vorgesehen, den Arbeitsvertrag nicht vorweisen kann, der Fahrer aber einen entsprechenden Arbeitsvertrag in „deutscher“ Sprache vorweist.“ Desweiteren wurde laut Protokoll festgestellt, daß „der Fahrer wie vom Gesetz vorgesehen, die Erklärung über arbeitsfreie Tage nicht vorweisen kann, der Fahrer aber eine entsprechende Erklärung über arbeitsfreie Tage in „deutscher“ Sprache vorweist.“
Martin Pichler, Chef des Unternehmens, bat die Freiheitlichen Südtirols, sich diesen Fall anzunehmen. Die Freiheitlichen stellten per 18.12.2013 eine Anfrage an Frau Dr. Stocker, die Präsidentin des Südtiroler Landtages, die Parteimitglied der Südtiroler Volkspartei ist.
Die Freiheitlichen erhielten eine schriftliche Antwort, aber nicht von Frau Stocker, sondern vom Landeshauptmann Arno Kompatscher. Diese war datiert mit dem 21.02.2014. Er schrieb unter anderem: „Nachdem keine Ausfertigung des Bußgeldbescheides vorliegt, kann nicht erachtet werden, aufgrund welcher Gesetzesnorm im gegenständlichen Fall ein Bußgeld verhängt worden ist. … In dem als unwahrscheinlich erachteten Fall, wie bereits eingangs angeführt, aufgrund des fehlenden Bußgeldbescheides, daß das Bußgeld mit der Begründung verhängt worden wäre, daß ein Arbeitsvertrag in deutscher Sprache vorliegt, käme dies effektiv einer Diskriminierung der Südtiroler beziehungsweise einer Verletzung des Autonomiestatuts gleich, das ein Recht auf den Gebrauch der deutschen Sprache vorsieht.“
Man hat den Eindruck, daß die SVP bezweifelt, daß sich der Fall so zugetragen hat und es auch nicht wissen will. –Mir gegenüber hat der Chef des Transportunternehmens versichert, dem Landtagsabgeordneten der Freiheitlichen Südtirols Pius Leitner den Bußgeldbescheid zugestellt zu haben. Er hat mir auch den bereits oben genannten Wortlaut des Bußgeldbescheides zukommen lassen.
Herr Pichler war von der Tat eines nationalistisch / faschistisch gesinnten Polizisten ausgegangen und hatte deshalb bei der zuständigen Polizeistelle Widerspruch eingelegt. Die Präfektur von Pordenone akzeptierte den Widerspruch nicht und verwies den Vorgang an das Gericht in Pordenone. Am 20.05.2014 war die erste Gerichtsverhandlung. Das Urteil soll am 25.09.2014 gesprochen werden.
Martin Pichler befürchtet, daß er auf einen vierstelligen Betrag für den Rechtsbeistand sitzen bleiben wird. Er schrieb mir, daß er notfalls bis zum Europäischen Gerichtshof gehen werde.
Was die Polizei in Südtirol betrifft, so gab es nach Auskunft von Franz Pahl schon 1959 ein Gesetz, die Südtiroler deutsch anzusprechen, jedoch ohne Erfolg. Erst eine Durchführungsbestimmung von Mai 1995 und die Einstellung von deutschem Personal auf der untersten Hierarchieebene führten zur Verbesserung der Situation. Die leider sich immer wiederkehrenden nationalistischen / faschistischen Ausfälle kann er sich nur so erklären, daß die Polizei vom in Südtirol vorgenommenen Proporz ausgenommen worden ist.
Beim Südtiroler Schützenbund gehen immer wieder Klagen ein, daß in den unteren Amateurligen Südtiroler Fußballspieler vom Schiedsrichter abgestraft werden, nur weil sie auf dem Fußballfeld deutsch reden…
Italien mag sich wegen seiner Gesetze auf internationalem Parkett rühmen. Aber besonders die nationalen Minderheiten in Italien bekommen es immer wieder zu spüren, daß es zwischen Anspruch und Wirklichkeit eine große Kluft gibt. –Was nützen die schönsten Gesetze, wenn sie nicht mit Leben erfüllt werden? –In keinem Land wird das Wort „Europa“ so stark gebeutelt und muß für äußerst fragwürdige Aktivitäten der „la casta“ in Rom herhalten: für nationalistisch / faschistische Veranstaltungen, wie z. B. das Alpini-Treffen in Bozen, für die Beibehaltung italienischer Namen von Schutzhütten, die 1921 dem Deutschen und Österreichischen Alpenverein (DÖAV) geraubt wurden, für windige Praktiken bei der Auftragsvergabe im Rahmen europaweiter Ausschreibungen, für Geldtransfers aus dem reichen Nord- und Mitteleuropa usw..
Martin Pichler, der Chef des Transportunternehmens, fragt sich nicht zu unrecht, in welche Zeit er zurück versetzt worden ist, in die Zeit Mussolinis oder in die harten 50-er oder 60-er Jahre? Nein, wir sind im 21. Jahrhundert, aber in einem immer noch nationalistischen Italien! –Dabei sollte man aber differenziert herangehen. Das italienische Staatsvolk hat einen beachtenswerten Reifeprozeß vollzogen und ist der politischen Klasse in Rom meilenweit voraus: Im März 2014 führte das italienische Meinungsforschungsinstitut DEMETRA eine Umfrage durch und brachte erstaunliche Ergebnisse zutage. So stimmten 71,8% der Befragten dafür, daß die Südtiroler ihr Recht auf Selbstbestimmung ausüben sollen. Dieses Ergebnis wird den nationalistisch-faschistisch Gesinnten in Rom wohl kaum schmecken.
Wolfgang Schimank
Berlin, den 05.06.2014
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Gruber-De-Gasperi-Abkommen
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Gerichtsplatz_(Bozen)
[3] Rolf Steininger, Die Südtirolfrage, Seite 10
http://www.uibk.ac.at/zeitgeschichte/zis/stirol.html
P.S.: Der Andreas-Hofer-Bund empfiehlt jedem Südtiroler, sich bei Verstoß gegen das Gleichstellungsprinzip der deutschen und italienischen Sprache bei der Beschwerdestelle der Provinz Bozen unter der Telefon-Nr. (0471)412230 oder (0471)412236 zu melden. Er sollte wegen der Einhaltung von Fristen schnell reagieren.