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Interview mit Matteo Grigoli aus Venezien

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Interview mit Matteo Grigoli aus Venezien

Roland Lang, Leitungsmitglied der SÜD-TIROLER FREIHEIT, bat Matteo Grigoli aus Venezien zum Interview. Im Gespräch erzählt der gebürtige Veronese Grigoli von der „Lingua Veneta“, der Zeit während des Königreiches und des Faschismus, über die Vereinigung „Veneto Nostro“ und die Selbstbestimmungsbemühungen seiner Heimat.

Was ist für Sie „Veneto“? (Ursprung, heutige Grenzen, Zusammengehörigkeitsgefühl)

Veneto ist meine Heimat, das Land meiner Väter, mein Land. Veneto ist für mich alles, es ist Arbeitsamkeit, Solidarität, Tradition, Kultur und Geschichte, Respekt und Schutz für die Umwelt. Wer sich dazu bekennt, der ist Veneter. Wenn wir auf die von Italien aufgezwungenen Grenzen schauen, so ist Veneto heute kleiner als zur Zeit der „Serenissima“, aber es gibt viele Staaten auf der Welt, die noch kleiner sind, sowohl von der Bevölkerungszahl als auch von der Fläche und vor allem von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit her. Ich bin jedenfalls überzeugt, dass sofort nach Erreichen unserer Unabhängigkeit viele angrenzende Gebiete um Anschluss an uns ansuchen würden, nach dem föderativen Modell der Verträge, mit denen sich früher viele Gebiete unter die Hoheit der „Serenissima“ stellten. Ich denke dabei an die Gebiete von Brescia, Mantua, Pordenone und Udine und an die ladinischen Gebiete von Süd- und Welschtirol. Für diese Gebiete wären nicht nur die wirtschaftlichen Vorteile attraktiv, die Venetien bieten kann, sondern vor allem das Ausmaß der Selbstverwaltung, die ihnen Venetien garantieren würde.

Ist die „Lingua Veneta“ eine eigene Sprache oder ein italienischer Dialekt?

Venetisch, wie die Wissenschaft sagt (umgangssprachlich wird auch der eigentlich nur für die Mundart von Venedig geltende Begriff Venezianisch verwendet) ist in jeder Hinsicht eine Sprache; sie ist zwar nicht genormt, aber sie hat derart ausgeprägte morphologische, syntaktische, phonetische und lexikalische Eigenheiten, dass jeder Versuch, sie den italienischen Dialekten zuzuordnen, lächerlich wirkt. Trotz der erheblichen Unterschiede in den verschiedenen Gebieten verstehen sich alle Sprecher dieser Sprache ohne Probleme. Wer Venetisch spricht, kann von Belluno nach Rovigo oder Verona fahren und wird überall verstanden. Internationale Sprachforscher und Universitäten, ja selbst die UNESCO, erkennen Venetisch als Sprache an. Das wurde auch beim ersten Kurs für Venetisch betont, den Dr. Alessandro Mocellin aus Bassano del Grappa in der Provinz Verona abgehalten hat. Ich konnte daran teilnehmen. Es ist eher so, dass das Italienische als Sprache nicht existiert. Italienisch wurde am Schreibtisch entwickelt. Im Laufe der Jahre hat man, vor allem mit Hilfe des Fernsehens, versucht, das Italienische zu standardisieren, um daraus eine Sprache zu machen, die auf der ganzen Halbinsel verstanden wird. Venetisch ist die Muttersprache der Veneter, Italienisch ist die von der Bürokratie des Staates Italien verwendete Kunstsprache. Die Völker mit italienischer Staatszugehörigkeit sind gezwungen, diese Sprache zu erlernen, um mit dem italienischen Staatsapparat verkehren zu können.

Wie veränderten das Königreich Italien und der Faschismus Land und Leute im Veneto?

Die 148 Jahre der Präsenz Italiens in Venetien haben nur Zerstörung und Unglück gebracht. 1866 wurde Venetien von Italien nach einem Referendum annektiert, das in der Geschichtsschreibung als „plebiscito truffa“ (Betrugs-Plebiszit) bezeichnet wird. Bereits sechs Jahre später begannen die ersten Massenauswanderungen, hervorgerufen durch den Hunger und das Elend, in das man die Bevölkerung gestürzt hatte. Zwischen 1870 und 1910 sind mehr als zwei Millionen Menschen ausgewandert. Von 1915 bis 1918 hat Italien seinen Expansionskrieg gegen Österreich geführt, der fast ausschließlich auf dem Gebiet Venetiens ausgetragen wurde und der ganze Generationen von Jugendlichen ausgelöscht sowie die Bevölkerung weiter verarmt hat. In den 20 Jahren des Faschismus hat das Regime statt der Auswanderung ins Ausland die Umsiedlung von Bauern aus Venetien nach Mittelitalien zur Urbarmachung der Pontinischen Sümpfe oder sogar nach Sardinien „gefördert“. Nach dem Zweiten Weltkrieg, der für Venetien ebenfalls verheerend war, sind die Veneter bis zum Beginn des wirtschaftlichen Aufschwungs wieder ins Ausland emigriert. Man rechnet damit, dass in den 148 Jahren der italienischen Verwaltung in Venetien so viele Veneter auswandern mussten, dass heute ihre Nachkommen in aller Welt mit zehn Millionen etwa doppelt so viele sind wie die knapp fünf Millionen Menschen in Venetien. Doch damit sind die von der italienischen Verwaltung verursachten Schäden noch nicht beendet. Seit einigen Jahren müssen unsere Jugendlichen wieder verstärkt auswandern.

Wurde auch die Geschichte des Veneto umgeschrieben?

Die Geschichte schreiben die Sieger, in diesem Fall die Besatzer. Sie haben 1100 Jahre glorreicher Geschichte der Republik Venedig auf eine kurze Erwähnung im Zusammenhang mit den Seerepubliken reduziert. Sie haben das geistige Erbe der venetischen Kultur und Identität herabgewürdigt und, schlimmer noch, alle Dinge, deren enormen Wert sie nicht leugnen konnten (denken wir nur an Marco Polo, Goldoni, Canaletto, Tizian, Canova und hunderte andere) der venetischen Kultur genommen und zur italienischen Kultur erklärt.

Was ist die Vereinigung „Veneto Nostro – Raixe Venete“? Welche Ziele verfolgt sie?

Die Vereinigung Veneto Nostro – Raixe Venete besteht aus einer Gruppe von Personen, die sich seit über zehn Jahren dem Schutz der venetischen Kultur, der Traditionen und der Identität widmet. Die Vereinigung ist in allen Provinzen Venetiens präsent, sie veranstaltet Tagungen, Ausstellungen und Veröffentlichungen. Sie organisiert zudem zwei Großereignisse: Die „Festa del popolo Veneto“ am ersten Wochenende im September in Cittadella (PD) und den Volksmarsch „Da San Marco a San Marco“ Mitte März, ein Staffellauf, der Venetien vom Gardasee bis Venedig verbindet.

Welche wichtige Entscheidung wurde am 12. Juni 2014 vom Regionalrat des Veneto getroffen?

Am 12. Juni 2014 hat die Mehrheit des Regionalrates des Veneto für ein Gesetz zur Abhaltung eines Referendums gestimmt, mit dem man den Wunsch nach Schaffung eines souveränen venetischen Staates ausdrücken kann. Sehr wahrscheinlich wird die italienische Regierung das Regionalgesetz anfechten, und dann wird man die wahre Natur Italiens erkennen. Wir haben keine Angst, da die Unabhängigkeitsbewegung Venetiens über hervorragende Juristen verfügt. Es geht jetzt darum, ob die Verwalter der Region Veneto den Mut haben, sich der Aufgabe würdig zu erweisen, die das Schicksal ihnen zugewiesen hat. Es gilt auf jeden Fall der lateinische Spruch „alea jacta est“ (Der Würfel ist gefallen).

Wie sollte eine Republik Veneto ihrer Meinung nach ausschauen?

Meiner bescheidenen Meinung nach braucht Venetien nicht viele Gesetze; die Bürger haben viel Selbstverantwortung. Es darf kein vollkommen liberaler, den Banken und dem Markt unterworfener Staat werden, sondern der soziale Aspekt muss immer im Mittelpunkt der Wirtschaft stehen. Familie, Bildung, Gesundheitswesen, die alten Menschen und die Umwelt, das sind die Werte, auf die die neue Republik Veneto aufbauen müsste. Sie müsste den Lokalkörperschaften weitgehende Autonomie einräumen. Im Vergleich zu der Situation, in die uns die italienische Besatzung gebracht hat, könnte alles verbessert werden.

Wäre eine „Repubblica Veneta“ wirtschaftlich lebensfähig?

Venetien ist, trotz der italienischen Präsenz, immer noch im Stande, einen wesentlichen Beitrag zur Stützung der Wirtschaft des Besatzerstaates zu leisten. Man stelle sich vor, was ohne diese drückende Last möglich wäre. Eine aktuelle Studie der Handelskammern des Veneto hat ergeben dass Venetien im ersten Jahr seiner Unabhängigkeit eine Steigerung des Bruttoinlandsproduktes um 12 % haben könnte. Die Wirtschaftskraft, die unsere Unternehmen entwickeln könnten, ist unvorstellbar. Wir hätten, wenn schon, das Problem, Zuwanderung und Grundverbrauch begrenzen zu müssen.

Herr Grigoli, sie haben viele Freunde bei den Schützen und der Süd-Tiroler Freiheit und waren schon mehrmals in Südtirol. Welche Ratschläge können Sie geben bzw. wie sehen sie die Zukunft Süd-Tirols?

Ich bin Süd-Tirol sehr verbunden. Ich versuche so oft wie möglich nach Süd-Tirol zu komme, es ist jedes Mal wie ein Besuch bei Freunden, der mich körperlich und geistig aufbaut. Einem Volk wie den Tirolern Ratschläge zu erteilen ist zu viel verlangt, ich habe viel von euch gelernt. Ich habe die Ernsthaftigkeit, das Identitätsbewusstsein und den Wert der Traditionen gelernt. Ihr habt das Glück, eine Sprache zu sprechen, die sich von der italienischen deutlich unterscheidet, und auf diesen Mehrwert müsst ihr setzen. Mit scheint, dass Italien in den letzten Jahren in Süd-Tirol eine üble Aktion durchführt. Man überhäuft euch mit Ausländern, vor allem Moslems, und schafft euch so ein Problem, dass ihr mit den Italienern gemeinsam angehen müsst. Es gäbe dann nicht mehr das Süd-Tiroler Volk, sondern nur noch Italiener und Nicht-Italiener. Der einzige Ratschlag, den ich euch geben kann, ist die Schaffung eines Runden Tisches der drei größten deutschsprachigen Parteien des Landes. Auch die SVP muss endlich einsehen, dass die fetten Jahre vorbei sind. Italien wird nicht mehr Geld geben, um alle ruhig zu halten. Setzt euch also zusammen und schafft gemeinsam ein neues Süd-Tirol, der Tradition verbunden, aber auf die Zukunft ausgerichtet.

Herr Matteo Grigoli, danke für das Gespräch.

Die Fragen stellte Roland Lang, Leitungsmitglied der Süd-Tiroler Freiheit. Aus dem Italienischen übersetzt hat sie Bezirkssprecher Hartmuth Staffler.

Matteo Grigoli wurde 1970 in Verona geboren. Bereits 1987 kam er zur Liga Veneta-Lega Nord, in der er bis 2012 aktiv war. In der vergangenen Amtszeit war er als Vertreter einer Bürgerliste Vizebürgermeister der Gemeinde Costermano (VR), er ist Verantwortlicher für die Provinze Verona der Vereinigung „Veneto Nostro – Raixe Venete“ sowie Gründer und Organisator der Veranstaltung „Da San Marco a San Marco – il cammino der popolo Veneto“ (Von San Marco zu San Marco – der Weg des Volkes von Venetien). Er führt mit seiner Frau das Familienhotel in Bardolino (VR).


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