Vor 50 Jahren, in der Nacht vom 6. auf den 7. September 1964, um 2:30 Uhr, ereignete sich auf den Brunnermahdern über Saltaus der Mord an Luis Amplatz. Der Agent Christian Kerbler schoss auf die beiden schlafenden Freiheitskämpfer Georg Klotz und Luis Amplatz. Zuerst schoss er dreimal auf Amplatz, dann dreimal auf Klotz. Amplatz war sofort tot. Klotz bekommt einen Schuss in die Brust und einen ins Gesicht. Der dritte Schuss geht fehl. Georg Klotz flieht, mit einem Steckschuss und einer Gesichtsverletzung, barfuß einen Gewaltmarsch von 42 Stunden über die Schwarzscharte (2.862 m) nach Österreich.
Im Rahmen der „Jörg-Klotz-Wanderung“ zur Siegerlandhütte im Jahr 2009 erzählte Eva Klotz die Ereignisse auf der Brunnermahder-Alm. Ihre Erzählungen wurden auf Video festgehalten.
Der weitere Verlauf der Geschichte:
Christian Kerbler stellt sich in Sankt Leonhard der Polizei. Laut Polizeibericht kann der Mörder fliehen. Bis heute ist Christian Kerbler auf der Flucht bzw. untergetaucht. Der Mörder hat seine Strafe nie abgesessen, da er durch den italienischen Geheimdienst gedeckt wird. Der Mörder ist noch immer auf freiem Fuß.
Der in Abwesenheit in Perugia wegen des Mordes zu 22 Jahren Gefängnis verurteilte Spitzel Christian Kerbler war in London festgenommen und freigelassen worden, weil der italienische Auslieferungsantrag zu spät gestellt worden war. Dann wurde er angeblich in Südafrika gesichtet – eine Überprüfung der betreffenden Person brachte allerdings keine Klarheit. Angeblich wird Kerbler immer noch international gesucht.
BERICHT ÜBER DIE EREIGNISSE: DER SPIEGEL 44/1964 vom 28.10.1964, Seite 128
„In Südtirol ist ihm der Tod gewiss, in Österreich ist er zur Zeit der meistgesuchte Mann, der bundesdeutsche Verfassungsschutz soll ihn finden: Christian Kerbler, 24, aus Hall in Tirol, dringend verdächtig, Luis Amplatz, den verwegensten der Südtiroler Terroristen-Führer, am 7. September auf der Südtiroler Alm ‚Brunner Mahder‘ im Schlaf ermordet zu haben (SPIEGEL 38/1964).“
Der Mordverdächtigte, von Österreichs und Italiens Presse in Südamerika, Australien oder Sizilien vermutet, war auf seiner Flucht in der Bundesrepublik untergetaucht.
Das österreichische Innenministerium bat am 14. Oktober die Kölner Verfassungsschutz-Zentrale, Christian Kerbler aufzuspüren. Damit soll seine Auslieferung und gerichtliche Verfolgung ermöglicht werden.
Christian Kerbler war ein Spitzenmann jenes 600 Agenten starken Netzes, mit dem Italien die Südtiroler Terroristen (österreichisch: „Bumser“) beobachtete. Christian Kerbler und sein Bruder Franz, 27, hatten eine Sonderaufgabe: Als Photoreporter getarnt, sollten sie die seit April in Wien internierten Chef-Bumser Luis Amplatz und Georg Klotz zu Filmaufnahmen über Terroraktionen nach Südtirol locken und sie dann lebendig, nötigenfalls aber auch tot in die Hände der Italiener bringen. Ihr Lohn: die Kopfprämien für Amplatz und Klotz, insgesamt 16 Millionen Lire (100 000 Mark).
Nun war Christian Kerbler mit den beiden Chef-Bumsern allein. Er stieg wenige Stunden nach der Rückkehr von Klotz ins Taldorf Saltaus, um Proviant zu kaufen. Dort wurde er, so berichteten Saltauser, von einem schwarzen Fiat 1800 mit Mailänder Kennzeichen erwartet und unterhielt sich kurz mit dem Fahrer. Am 6. September vormittags kehrte er auf die Brunnermahder zurück. Bei seiner Rückkehr hatten sich Klotz und Amplatz entschlossen, ihre im nahen Sarntal geplanten Anschläge zu verschieben und nach Österreich zurückzukehren. Der Feuerüberfall auf Klotz, Aufklärungsflüge von Hubschraubern und starke Truppenbewegungen in Passeier hatten sie vorsichtig werden lassen. Sie verschoben ihren Aufbruch jedoch auf den nächsten Tag.
Das wurde Amplatz zum Verhängnis. Von einer „sonst nie gekannten bleiernen Müdigkeit“ befallen (so Klotz später zur österreichischen Polizei), krochen die beiden Terroristen am 6. September abends in ihre Schlafsäcke. Christian Kerbler lag zwischen Klotz und Amplatz im Heu. Er hatte den beiden, so mutmaßte die „Tiroler Tageszeitung“, Schlafmittel in das Essen gemischt.
Um 2.30 Uhr in der Nacht knallten Schüsse durch die Einstiegluke. Amplatz starb durch drei Kugeln aus einer Beretta-Pistole, Kaliber neun Millimeter. Der hochschnellende Klotz wurde durch zwei Schüsse verletzt. Das Reservemagazin entglitt dem Schützen in der Dunkelheit, er hetzte davon.
Gegen 5 Uhr früh stolperte ein junger Mann, zerschunden und völlig entnervt, ins Wirtshaus von Saltaus. Er hatte eine leer geschossene Beretta-Pistole bei sich und wurde auf eigenen Wunsch in die nahe Alpini-Station geführt. Das Bozener Polizei-Hauptquartier gab bekannt: Der Beretta-Besitzer, „Peter Hofmann, 25, Medizinstudent aus Österreich“, sei bei der nächtlichen Überstellung von Meran nach Bozen entsprungen. Die Wirtsleute von Saltaus identifizierten Peter Hofmann an Hand von Bildern zweifelsfrei als Christian Kerbler. Ein Militärhubschrauber holte den toten Amplatz von der Alm. Der angeschossene Klotz war barfuß entkommen und von Helfern über die Grenze nach Nordtirol geschleust worden. Im Gebirgsort Sölden verhafteten ihn österreichische Gendarmen.
Kerbler alias Hofmann war nicht, wie die Bozner Polizei angegeben hatte, von einem Militär-Jeep in Richtung Bozen, sondern von einem schwarzen italienischen Pkw in die entgegengesetzte Richtung gefahren worden: an die Schweizer Grenze. Aus der Schweiz flog Kerbler zu Freunden nach London. Von dort reiste er über Holland in die Bundesrepublik. Im holländischen Eindhoven lebt Roms bisher erfolgreichster Südtirol-Agent, Anton Stötter (SPIEGEL 20/1964).
Kerblers Grenzübertritte gingen glatt vonstatten. Neben einem belgischen Personalausweis führte er mehrere Blankopässe der österreichischen Staatsdruckerei mit den laufenden Nummern 544 723 bis 544 730 mit sich. Für Mitte September bestellte Kerbler unter dem Namen Gert Prossler im Hotel „Bären“ im Schwarzwälder Schützendorf Hornberg ein Zimmer. Er kam nicht. Stuttgarter Kriminalbeamte, mittlerweile informiert, warteten vergebens auf Kerbler. Sie sollten ihn verhaften und nach Österreich abschieben. Der Grund: Christian Kerbler ist seit dem 28. Oktober 1963 in der Bundesrepublik unerwünschter Ausländer. Er hatte ohne Aufenthaltsgenehmigung und von „nicht kontrollierbaren Einkünften“ (Münchner Polizei) in Bayern gelebt und war daher ausgewiesen worden.
Als die Stuttgarter Beamten Wartestellung bezogen, ließ Regierungsrat Walter Kriese von der Grenzkontrolldirektion in Koblenz die Grenzpolizeiinspektion im bayrischen Kiefersfelden verständigen, mit der Überstellung Kerblers sei am 19. oder 20. September zu rechnen. Die Kiefersfelder Grenzer teilten dies der österreichischen Grenzpolizei in Kufstein mit.
Am 23. September wurden die Österreicher ungeduldig und drängten die Deutschen. Die Station Kiefersfelden fragte bei Kerbler-Ankündiger Kriese zurück, dieser wandte sich an das Innenministerium in Bonn. Höcherls Amt teilte mit: Kerbler sei nicht im „Hotel Bären“ erschienen, es handle sich um einen Irrtum, der Gesuchte halte sich überhaupt nicht in der Bundesrepublik auf.
Diese Ansicht nährte Kerbler. Er ließ österreichische Diplomaten in Bonn telephonisch („Guten Tag, mein Name ist Trollberg“) wissen, Christian Kerbler sei am 18. September von Amplatz -Freunden zwischen Bregenz und Lindau erschossen und in den Bodensee versenkt worden. Die erhoffte Publizität blieb jedoch aus. Die Mär vom Tod im Bodensee musste in der ersten Oktoberwoche nochmals verbreitet werden. Diesmal durch einen anonymen Anruf bei der Austria-Presse-Agentur in Wien. Es klappte, die österreichische Gendarmerie unternahm mit deutscher und Schweizer Beteiligung eine aufwendige Suche im Bodensee – ohne Erfolg.
Wenige Tage später erhielten Tiroler Politiker von deutschen Freunden einen neuen Tip: Christian der Tote halte sich in Hannover auf. Darauf ersuchte Wien, nachdem Interpol ein Fahndungsersuchen abgelehnt hatte, den bundesdeutschen Verfassungsschutz um Mitarbeit. In Hannover wurde Christian Kerbler nicht gefunden. Bruder Franz, der im Linzer Gefängnis die Anklage wegen Beihilfe zum Amplatz-Mord erwartet, zur österreichischen Polizei: „Der Christian ist in Sicherheit!“
Nachdem Kerbler über Münchner Mittelsmänner dem Wiener „Express“ erfolglos die Geschichte des „wahren Peter Hofmann“ hatte anbieten lassen, tauchte er in Zürich auf. Ein katholischer Priester vermittelte ihn an die Züricher Presseagentur „metro press“. Im Züricher „Hotel Elite“ beteuerte er metro-press-Chef Werner Schollenberger gegenüber seine Unschuld.
Schollenberger („Er ruft mich nur in der Nacht an“) stellte den Kontakt zu einer Zeitschrift her, zu der Kerbler nach eigenen Angaben „ausgezeichnete Beziehungen“ hat: Burdas „Bunte Illustrierte“. „Bunte“-Chefredakteur Theodor Kleiber und Serien-Chef Claus-Jürgen Frank trafen sich mit Christian Kerbler nach eigenen Angaben nicht, wie von Südtiroler Terroristen vermutet, im Burda-Verlagsort Offenburg; sie flogen mit einer Burda-Privatmaschine „nach Westen, aber nicht in die Schweiz“ (Kleiber). „Irgendwo in Europa vertraute er sich der ‚Bunten‘ an“, meldete das Bilderblatt. Kerbler, „ein Bündel Angst“ (Kleiber), bestritt, Verrat und Mord begangen zu haben.
Tiroler Amplatz-Freunde glaubten Christian Kerbler kein Wort. Ende der Woche davor war von Innsbruck eine Suchmannschaft aufgebrochen. Die Information, Kerbler sei in einen der Benelux-Staaten retiriert, tat das Kerbler-Kommando als Zweckmeldung ab. Die Tiroler waren überzeugt, dass sich der Vielgesuchte in der nächsten Umgebung Münchens aufhält.