Autismus ist eine bis heute noch nicht vollständig ergründete, tiefgreifende Entwicklungsstörung, die in verschiedenen Formen und Ausprägungen auftritt, welche unter dem Begriff „Autismus-Spektrum-Störungen“ (ASS) zusammengefasst werden.
Man unterscheidet dabei zwischen:
a) Frühkindlichem Autismus (Auffälligkeiten vor dem 3. Lebensjahr).
b) Atypischen Autismus (Auffälligkeiten nach dem 3. Lebensjahr).
c) Asperger Syndrom (Auffälligkeiten ab dem 3.-5. Lebensjahr).
Personen mit ASS zeichnen sich durch Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsstörungen auf. Sie zeigen Auffälligkeiten in Sprache und Kommunikation, im Verhalten, im sozialen Austausch, sowie durch stereotype Verhaltensweisen.
Die derzeitige Forschung geht davon aus, dass ASS auf neurobiologischen Funktionsstörungen beruhen, deren Ursachen in einem Zusammenwirken genetischer, neuropathologischer und psychologischer Faktoren liegen.
Dass genetische Faktoren dabei zuvörderst eine Rolle spielen, zeigt sich im vermehrten Auftreten von ASS bei Kindern mit genetischen Syndromen. Zwillings- und Geschwisterstudien belegen zudem, dass monozygote Zwillinge bis zu 96% vom selben Syndrom betroffen sind, während zweieiige Zwillinge, bzw. Geschwister nur zu 6,8% denselben Phänotyp aufweisen. Daraus erschließt sich ein hoher Erblichkeitsfaktor bei der Entstehung von ASS, der jedoch nicht der alleinige Grund sein kann, sondern auch von Umweltfaktoren beeinflusst werden muss; andernfalls würde bei monozygoten Zwillingen eine völlige Übereinstimmung festzustellen sein.
Während früher von einer Intelligenzminderung bei ASS ausgegangen wurde, belegen neueste Studien, dass durch das Intelligenzniveau eines Betroffenen kein direkter Rückschluss auf die Ausprägung der ASS gezogen werden kann. In diesem Zusammenhang sei auf die sogenannte Inselbegabung verwiesen, die häufig bei Personen mit ASS beobachtet werden kann. Dabei entwickeln die Betroffenen in bestimmten Bereichen beachtliche Fähigkeiten (z.B. im Kopfrechnen, in der Merkfähigkeit, in Kunstfertigkeiten usw.).
Auf der Basis der Feststellung dieser unterschiedlichen Begabungen können Therapieprogramme individuell und gezielt angepasst werden.
Sprache:
Sowohl in der Ausprägung von Autismus-Spektrum-Störungen, als auch in der therapeutischen Behandlung, nimmt die Sprache eine zentrale Rolle ein.
Störungen in der Entwicklung von Sprache, sowie im Einsatz derselben zur Kommunikation, sind — mit Ausnahme des Asperger Syndroms — typische Kernsymptome von Autismus-Spektrum-Störungen.
Diese äußern sich vor allem durch:
a) Retardierte oder völlige Störung der Sprachentwicklung, sowie fehlende oder mangelhafte Kompensationsversuche durch Gestik und Mimik.
b) Erschwerter Kommunikationsaustausch durch Beeinträchtigung beim Gesprächsaufbau und Aufrechterhalten einer sprachlichen Kommunikation.
Sprachstörungen bilden den Schwerpunkt der Autismus-Spektrum-Störungen, da diese direkte Auswirkungen auf die Kommunikation und gesellschaftliche Partizipation der Betroffenen haben.
Auch hiebei gilt es jedoch auf die heterogene Ausprägung derselben zu verweisen, die einmal mehr das breite Spektrum der Störungen aufzeigen.
Diagnostik:
Die Diagnose von ASS ist sehr aufwändig und erfordert eine umfangreiche Beurteilung des Patienten nach medizinischen und psychologischen Kriterien, bei denen ein möglichst breites Spektrum der Störungen untersucht werden muss. Besonderes Augenmerk wird mittels verschiedener Tests auf die Sprachverständnisleistung und die kommunikative Interaktion gelegt, weshalb auch die Beobachtungen der Eltern eine große Rolle spielen.
Involvierungstherapie und multifunktionelle Förderung nach Muchitsch:
Menschen mit ASS benötigen gezielte Förderungen, um ihre kognitiven und sozialen Fähigkeiten auszubauen und im Alltag anzuwenden. Ein möglichst frühzeitiger Therapiebeginn, sowie eine Miteinbeziehung der Eltern ist dabei unerlässlich. Dr. Elvira Muchitsch, die Leiterin der Wiener Fördereinrichtung für autistische Kinder, hat, auf der Basis von 35jähriger Forschungstätigkeit, ein international anerkanntes und gezieltes Therapieprogramm erarbeitet, welches durch strukturierte Lerninhalte die vorhandenen Fähigkeiten schrittweise ausbaut. Dabei wird mit der Involvierungstherapie zunächst auf spielerischer Ebene ein Zugang zu den Betroffenen erarbeitet. Der Therapeut lässt sich dabei auf das Spiel der Patienten ein, taucht somit selbst in das Verständnis der „autistischen Welt“ ein und baut eine Brücke zu dieser. Bei der multifunktionellen Förderungstherapie werden dann individuelle und gezielte Programme erarbeitet, bei denen die akustische und visuelle Wahrnehmung, der aktive und passive Sprachgebrauch, schulische Lernprogramme (Förderung des Lesens, Schreibens und Rechnens), Kunstfertigkeiten, rhythmische und musikalische Begabungen, sowie lebenspraktische Fertigkeiten trainiert werden.
Die dadurch erworbenen Kompetenzen und Fähigkeiten bringen den Patienten mehr Selbstständigkeit und bilden die Grundlage für weitere Persönlichkeitsentwicklungen, bis hin zu konkreten Berufsaussichten im Erwachsenenalter.
In Österreich hat sich bereits die Stiftung „Specialisterne“ gegründet, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, gezielt Arbeitsplätze für Menschen mit ASS zu schaffen. Dabei werden die besonderen Fähigkeiten von Menschen aus dem Autismus-Spektrum — z.B. ihre bemerkenswerte Hingabe zum Detail, Genauigkeit, konsequentes, logisches und analytisches Denken, kreative, innovative und unkonventionelle Lösungsansätze, ihre spielerische Leichtigkeit bei der Erkennung von (Un-) Regelmäßigkeiten und ihre hohe Toleranz und Konzentration gegenüber wiederkehrenden Routineaufgaben, sowie eine Null-Fehlertoleranz (sie finden Fehler, die andere nicht mehr finden) — in einen wirtschaftlichen Wettbewerbsvorteil verwandelt und somit Menschen aus dem Autismus-Spektrum neue Chancen eröffnet.
Autismus in Tirol:
Aufgrund des breiten Spektrums der Störungen und dem damit verbundenen aufwändigen Diagnoseverfahren, sind ASS bei vielen Personen unerkannt (vor allem beim Asperger-Syndrom), sodass sich nur schwer einschätzen lässt, wie viele Menschen in ganz Tirol effektiv betroffen sind. Man geht jedoch davon aus, dass ASS bei bis zu 1,16% der Gesamtbevölkerung auftreten.
In den letzten Jahren hat sich in der Wahrnehmung und im Umgang mit ASS sehr viel getan. Neben der Errichtung von Betreuungseinrichtungen in den Bezirken, der Weiterbildung von Lehrern und der Förderung von Selbsthilfegruppen, konnte 2011 in Innsbruck sogar ein eigenes Autismuszentrum eröffnet werden. Das Autismuszentrum „Aurea“ wird vom Land Tirol gefördert und nimmt sich der spezifischen Bedürfnisse von Kindern mit ASS an. Diese werden dort auf der Grundlage der Muchitsch-Methode therapeutisch behandelt, die das Zentrum als Supervisorin und Coach auch selbst betreut.Ein ähnliches Zentrum soll nun in Coredo im Nonstal entstehen.
Da die Einrichtung eines solchen Zentrums mit hohen Kosten verbunden ist und auf die essentielle Betreuung in der Muttersprache der Patienten geachtet werden muss, erscheint es für Süd-Tirol sinnvoll, eine Kooperation mit anderen Autismuszentren anzustreben.
Aus diesem Grunde stellen die Gefertigten den
Antrag
Der Süd-Tiroler Landtag wolle beschließen:
- Die Süd-Tiroler Landesregierung wird beauftragt, Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit dem Autismuszentrum „Aurea“ in Innsbruck auszuloten, um Betroffenen aus Süd-Tirol den Zugang zu den therapeutischen Maßnahmen zu ermöglichen.
- Die Süd-Tiroler Landesregierung wird beauftragt, mit der Regierung des Bundeslandes Tirol und den Gesellschaftern des Zentrums „Aurea“ (Gesellschaft für Psychische Gesundheit – pro mente tirol, der Autistenhilfe Tirol und der Gesellschaft für Psychotherapeutische Versorgung Tirols) diesbezüglich in Verhandlungen zu treten.
- Die Süd-Tiroler Landesregierung wird beauftragt, das im Aufbau befindliche „Centro per disabilità autistica Sebastiano“ nach therapeutischen Richtlinien zu überprüfen und bei positiver Beurteilung auch mit diesem Zentrum eine Kooperation anzustreben.
Tirol, 12. Feber 2015.
L.-Abg. Sven Knoll
L.-Abg. Myriam Atz-Tammerle
L.-Abg. Bernhard Zimmerhofer