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Interview mit Prof. Daniel Turp: „Das Wesen der Selbstbestimmung besteht darin, ein Volk über seine eigene Zukunft entscheiden zu lassen…!“

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Der Pressesprecher der Landtagsfraktion, Dr. Cristian Kollmann, traf Professor Daniel Turp zu einem kurzen Interview. Dabei sprach der Völkerrechtsexperte über das Selbstbestimmungsrecht der Süd-Tiroler, die italienische Verfassung und die Signalwirkung, welche vom Unabhängigkeits-Referendum in Schottland ausging. Hier können Sie das Interview nachlesen.

Professor Turp, hat Süd-Tirol ein Recht auf Selbstbestimmung?

Das Konzept der Selbstbestimmung beginnt damit, sich selbst als Volk zu definieren. Wenn dies der Fall ist, wird ein Volk zu einem Völkerrechtssubjekt, das das Recht auf Selbstbestimmung ausüben kann. Jene, die behaupten, dass die Süd-Tiroler kein Volk seien und nicht das Recht auf Selbstbestimmung hätten, die erkennen in Wirklichkeit nicht das Wesen der Selbstbestimmung. Dieses besteht darin, sich selbst als Volk zu definieren und selbst über den eigenen politischen Status zu entscheiden. Ich würde sogar soweit gehen zu behaupten, dass jene, die sich gegen das Recht auf Selbstbestimmung eines Volkes, das sich als Solches definiert hat, aussprechen, einem Grundprinzip der Demokratie widersprechen. In einer wahren Demokratie, in einem Land, das von sich selbst behauptet, demokratisch zu sein, wird das Recht, sich selbst als Volk zu definieren, durchaus akzeptiert, ebenso das Recht, die Selbstbestimmung auszuüben, um über die eigene Zukunft zu entscheiden.

Einige Politiker in Süd-Tirol behaupten, dass die italienische Verfassung die Selbstbestimmung nicht zulassen würde. Teilen Sie diese Meinung?

Jene, die das Prinzip der territorialen Integrität verteidigen, vergessen, dass im Völkerrecht dieses Prinzip nur zwischen Staaten gilt. Für Völker innerhalb eines Staates kommt es nicht zur Anwendung. Man kann zu einem Volk nicht sagen: „Du hast kein Recht auf Selbstbestimmung. Du hast kein Recht, über deine Zukunft zu entscheiden, weil es da dieses Prinzip der territorialen Integrität gibt, das dieses Recht nicht zulässt“. Der Internationale Gerichtshof hat sehr eloquent festgestellt, dass das Prinzip der territorialen Integrität nicht für ein Volk innerhalb eines Staates gilt. Nochmal: Das Wesen der Selbstbestimmung besteht darin, ein Volk über seine eigene Zukunft entscheiden zu lassen und nicht darin, Völker gegen ihren Willen in Staaten einzusperren und sich gegen eine demokratische Entscheidung zu stellen, ein Staat, ein Land zu werden. Ich bin dafür bekannt, und ich möchte es hier wiederholt betonen: Die italienische, aber auch die französische oder spanische Verfassung, die festschreiben, dass diese Staaten eins und unteilbar seien, sind illegal und mit dem Prinzip der Selbstbestimmung aus völkerrechtlicher Sicht nicht vereinbar.

Begünstigen die Entwicklungen in Europa, allen voran in Schottland und Katalonien, aber auch bei Ihnen in Québec, das Selbstbestimmungsrecht auf internationaler Ebene?

Ja. Ich denke, die interessanteste Entwicklung in diesem Zusammenhang hat sich aus dem schottischen Referendum am 18. September 2014 über die Unabhängigkeit ergeben. Mit der Anerkennung des Rechts des schottischen Volkes durch die britische Regierung, frei über seinen politischen Status zu entscheiden, wurde ein Präzedenzfall geschaffen. Nunmehr können sich die anderen Völker Europas wie die Katalanen und Südtiroler auf diese Anerkennung stützen, ebenso auf das Recht, das den Quebercern zuerkannt wurde, die Unabängigkeit ihrer Provinz von Kanada einzufordern.

ZUR PERSON: Daniel Turp ist Professor für Völkerrecht an der Universität Montréal, Präsident der Kommission für Internationale Beziehungen der „Parti Québécois“ und ehemaliger Abgeordneter zum kanadischen Parlament. Er war unter anderem Gastprofessor in Paris, Lyon, Brüssel und Straßburg und bekleidete mehrere Ämter im kanadischen Parlament. (Siehe auch: http://www.danielturp.org/professeur/english/notes/vitae.htm).

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