In der Tageszeitung „Alto Adige“ vom 24. Mai ist ein Interview mit dem Historiker Dr. Leopold Steurer erschienen. Hier der Link zum Artikel: Link. Traurig ist er, der arme Dr. Leopold Steurer. So traurig, weil die Südtiroler sich als Opfer-Weltmeister fühlen. Wir Südtiroler, die alle jüngsten Kriege wollten. Natürlich Dr. Steurer, das wollten wir, mit Leib und Seele. Die Italiener dagegen nicht, die Armen.
Die wollten keinen Krieg. Deswegen haben sie uns angegriffen, nachdem sie in aller Ruhe überlegt haben, was mit einem Kriegseintritt zu verdienen war, nachdem sie, wie üblich, den Verbündeten gewechselt haben … na gut, nichts Neues, in der italienischen Geschichte: Italien hat nie an der Seite des gleichen Verbündeten den Krieg beendet, mit dem es angefangen hatte.
Was Gatterer geschrieben hat, passt bestens zum Dr. Steurer: Entweder kennt und erzählt man die ganze Geschichte, oder man bleibt lieber still. Die Fahnenverordnung ist natürlich ein Fehler … aber anscheinend kennt Dr. Steurer nicht den Unterschied zwischen der Flagge auf Halbmast (als Zeichen der Trauer) und der normalen Festflagge. Die Schützen sind laut Steurer Pangermanisten, Antiitaliener, Ewiggestrige, immer an der falschen Seite, sehr gefährlich. Der einzige, der wohl gefährlich ist, ist der Dr. Steurer, der eigene Meinungen als „Wahrheit“ verbreitet. Vielleicht glaubt er das wirklich.
Schon vor langer Zeit ist gesagt worden „Fatta l’Italia, bisogna fare gli Italiani“ (Nachdem Italien gemacht wurde, müssen wir die Italiener machen). Das Ziel ist noch sehr, sehr weit. Aostatal, Sardinien, Lombardei, Apulien … sie sind kein gemeinsames Volk, bis heute. Das sind wir, die Tiroler, mit unseren drei Sprachen und mit den gleichen Sitten und Bräuchen, die wir in Frieden gelebt haben, bis die Analphabeten, die uns die Kultur brachten, uns angegriffen haben.
Die Schützen schießen laut Steurer mit den gleichen Waffen, mit denen schon ihre Großväter in der Wehrmacht geschossen haben. Hat er Gedächtnisprobleme? Ist ihm das Wort „Landlibell“ unbekannt?
Und am Ende, als gebürtige Welschtirolerin, erlaube ich mir eine scharfe Kritik am „gemeinsamen Geschichtsbuch“. Ein Buch, das scheinbar alles, was zu Tirol und seiner Geschichte gehört, schlecht reden muss, für das natürlich unsere Helden keine Helden sind. Aber die walschen Verräter bleiben Helden.
Die fehlende halbe Wahrheit erzähle ich gerne. Als Beispiel: Bruno Franceschini, der Welschtiroler Landesschützen-Fähnrich, der treu zu seinem Österreich den Verräter Battisti festgenommen hat, wird totgeschwiegen. Man schreibt von dem „grinsenden Henker, flankiert von lächelnden Offizieren und anderen Schaulustigen“, „im offenen Leiterwagen durch seine Heimatstadt gefahren und dem Gespött der von der Polizei organisierten Menschenmenge preisgegeben“. Schade, dass die Historiker (Kustatscher, Lechner, Romeo, Spada) vergessen haben, eine andere Geschichte zu erzählen: Die Geschichte des Vaters, der seinem Sohn mit dem Wort „Verräter“ ins Gesicht gespuckt hat; die Geschichte von den einfachen Leute der kleinen Dörfern in der Umgebung von Trient, die in aller Früh aufgestanden sind, um zu Fuß Trient zu erreichen, um der Hinrichtung von Battisti beizuwohnen; die Geschichte der Frauen, die auf den Kopf des „Helden“ ihren Nachttopf ausgeleert haben. Und das alles, obwohl die Strecke zum Castello del Buonconsiglio mit Bedacht von den österreichischen Behörden geändert worden war, um das Schlimmste zu verhindern. Battisti war kein Held für die Welschtiroler, er war einfach ein Verräter.
Darüber kann man diskutieren wie lange man will, das ist die Geschichte, die nicht erzählt wird. Mit Absicht oder einfach aus Unwissenheit?
Übrigens: es gibt noch Zeitzeugen von der „furchtbaren Unterdrückung“ der Welschtiroler, z. B. Nonna Zelina aus dem Tesino. Onkel Google hilft.
Dr. Elena Bonetti Staffler, Brixen