Immer wieder kommt es vor, dass Süd-Tiroler Tourismusverbände und -vereine außerhalb der deutschsprachigen Werbung − nicht nur in der italienischen − die offiziellen, so genannten „italienischen“ Orts- und Flurnamen verwenden. In Einzelfällen geht man sogar soweit, dass zusätzlich Namenteile in die jeweilige Fremdsprache übersetzt werden. Ein jüngeres Paradebeispiel hierfür ist die auf dem Penser Joch befindliche Begrüßungstafel des Tourismusvereins Sarntal, auf welcher auf Englisch die Gäste mit Sarentino Valley willkommen geheißen werden (siehe Anlage 1). Die Süd-Tiroler Freiheit hat versucht, im konkreten Fall zu intervenieren und hat den Tourismusverein Sarntal schriftlich informiert, dass u.a. „der Gebrauch der amtlichen, so genannten ‚italienischen‘ Ortsnamen, wie in diesem Fall Sarentino, außerhalb des italienischen Kontextes gesetzlich nicht verbindlich ist“ (siehe Anlage 2). In seiner Antwort berief sich der Tourismusverein Sarntal auf eine so genannte „Wording“-Liste der Südtirol Marketing Gesellschaft (SMG): „Wir richten uns beim Wording unserer Orts- und Flurnamen nach den jeweiligen Märkten. So gibt es ein von der SMG ausgearbeitete[s] Markt gerechtes Wording, an das wir uns halten, gerade eben bei engl. Begrifflichkeiten.“ (siehe Anlage 3). Besagtes „Wording“ der Südtirol Marketing Gesellschaft ist diesem Antrag beigefügt (Anlage 4) und gibt Anlass zur Kritik. Untenstehend die Kritikpunkte im Einzelnen:
- Die Frage, ob im fremdsprachigen Text die deutschen oder italienischen Orts- und Flurnamen zu gebrauchen sind bzw. welcher Sprache in jenen Kontexten, wo beide Sprachformen vorgesehen sind, der Vorzug zu geben ist, wird vom jeweiligen Markt abhängig gemacht. In der Mehrheit der Fälle (Italien, englischsprachige Märkte, Benelux, Polen) hat man sich für die so genannte „italienische“ Diktion entschieden, dagegen lediglich in zwei Fällen (deutschsprachige Märkte, Tschechien) für die deutsche. Der Mehrheit der Märkte wird Süd-Tirol somit als in erster Linie italienischsprachiges Land präsentiert. Dieses Bild entspricht jedoch nicht der Realität. Darüber hinaus wird dadurch, dass die Sprache der Orts- und Flurnamen marktorientiert festgelegt wird, den Märkten in ihrer Gesamtheit betrachtet kein einheitliches Bild von Süd-Tirol vermittelt.
- Bei den so genannten „italienischen“ Diktionen der Orts- und Flurnamen handelt es sich größtenteils um Konstruktionen bzw. Rekonstruktionen, die jeder siedlungs- und sprachhistorischen Grundlage bzw. Kontinuität entbehren. Sie wurden den Süd-Tirolern während des Faschismus amtlich auferlegt, um die Geschichte des neu geschaffenen „Alto Adige“ in ein falsches Licht zu rücken und die Süd-Tiroler zu demütigen. Der Gebrauch von derartigen pseudoitalienischen und faschistisch belasteten Orts- und Flurnamen steht im diametralen Widerspruch zum Anspruch der Tourismusbranche, mit Authentizität und Traditionsbewusstsein zu werben. Dass ein solcher Anspruch und demnach Widerspruch durchaus besteht, geht aus dem Schreiben des Tourismusvereins Sarntal deutlich hervor: „Trotzdem sind wir als Sarner stolz auf unser Tal, wohlwissend, dass wir eines der deutschesten, mit unverfälschter Tradition, Bodenständigkeit und Heimatverbundenheit gesegneten Täler des gesamten Alpenraumes sind.“ (siehe Anlage 3). Zudem werden auf diese Weise die Märkte in die Irre geführt, zumal diese meist nicht wissen, dass die so genannten „italienischen“ Namen größtenteils manipuliert sind.
- Das „Wording“ der SMG beinhaltet keinerlei Richtlinien zum Gebrauch der ladinischen Orts- und Flurnamen. Dies lässt den Schluss zu, dass beispielsweise für den englischsprachigen Markt die ladinischen Orte auf Italienisch, dagegen für den tschechischen Markt auf Deutsch zu benennen sind. Beides würde eine zusätzliche Irreführung der Kunden bedeuten.
- Das „Wording“ der Südtirol Marketing Gesellschaft wird von den einzelnen Verbänden und Vereinen, so auch im Falle des Tourismusvereins Sarntal, nicht kritisch hinterfragt. Mehr noch: Es werden sogar übernormiert Diktionen gebraucht, indem Namenteile wie –tal übersetzt werden. Das Ergebnis ist dann eine pseudoitalienisch-englische Hybridbildung wie Sarentino Valley, und darüber hinaus für ein deutsches Tal! Zwar ist der Zusatz Valley nicht inkorrekt, aber keineswegs notwendig, da zu aufgesetzt und nur zufällig wie ein Wort klingend. De facto handelt es sich bei Sarntal um einen Eigennamen und nicht um ein Wort. Eigennamen bezeichnen, selbst wenn diese oft, wie im Fall von –tal, wie Wörter klingen und inhaltlich transparent sind. Wörter bedeuten. Nur Letztere sind übersetzbar. Selbst von den Welschtirolern wurde der Name Sarntal nie übersetzt. In deren Mundart wurde und wird das Tal mitunter bis heute als Sarentol bezeichnet. Der Begriff Sarentino kam erst mit Ettore Tolomei, dem Erfinder des „Alto Adige“ auf und ist daher, wenngleich amtlich, konstruiert, pseudoitalienisch und faschistisch belastet. Der Begriff Sarentino bzw. Sarentino Valley ist nur ein Beispiel von vielen, das zeigt, wie sorglos artifizielle und manipulative geografische Namen verwendet werden, wohingegen den authentischen, historisch fundierten Namen nicht jene Relevanz beigemessen wird, die ihnen zusteht. Es ließen sich zahllose weitere Beispiele für pseudoitalienische Namen beibringen, die darüber hinaus nicht einmal mit einem der drei faschistischen Namensdekrete amtlich festgelegt wurden und daher gesetzlich gar nicht verbindlich wären, wie Monzoccolo für den Tschögglberg, Orto del Toro für den Stiergarten oder Pracupola für Kuppelwies. Eine weitere Stufe der Namensverunstaltung ist dann erreicht, wenn diese sogar auf das Deutsche überschwappt. So wirbt z.B. der Tourismusverein Ritten in seinem Logo auf Italienisch mit Corno del Renon[1] und auf Deutsch mit Horn Rittner (siehe Anlage 5)! Maßgeblich für das Logo, auf dem die Bestimmung der Namenbildung in kleinerer Schriftgröße erscheint, ist also der so genannte „italienische“ Name. Diesem wird, dem stimmigen Layout zuliebe, der deutsche Name untergeordnet und damit entstellt!
Zusammenfassend und schlussfolgernd gilt Folgendes festzuhalten: Orts- und Flurnamen sind identitätsstiftend und wichtige Zeugen der Siedlungs- und Sprachgeschichte eines Gebiets. Sie sind, wie die übrigen Traditionen, Teil der Kultur. Sie gehören der Allgemeinheit und sind nicht als Ware zu betrachten, die von den Touristikern (aber nicht nur) beliebig und aus einem falschen Selbstverständlichkeitsdenken heraus marktspezifisch angepasst werden darf. Konstruierte bzw. rekonstruierte geografische Namen stellen hingegen eine Manipulation der Geschichte und der Bewohner sowie im Falle der Tourismuswerbung zusätzlich eine Irreführung der Feriengäste dar. Die Tendenz von politischer Seite, diese Namen als mittlerweile entfaschistisiertes und friedenserhaltendes Kulturgut zu reinterpretieren, kommt der Relativierung und Verharmlosung der Geschichte sowie der Gegenwart gleich und ist daher entschieden abzulehnen! Zudem haben diverse Studien ergeben, dass selbst von den italienischen Touristen, die außerhalb von Süd-Tirol kommen, die autochthonen Orts- und Flurnamen auf Grund ihrer Authentizität viel positiver aufgenommen werden als die (re)konstruierten und nur scheinbar italienischen. Das Paradebeispiel hierfür ist der Begriff Südtirol bzw. Sudtirolo im Gegensatz zur tolomeisch-faschistischen Etikette Alto Adige. Diese Tatsache wurde unlängst auch von Landeshauptmann Arno Kompatscher in einer Antwort auf eine Landtagsanfrage der Süd-Tiroler Freiheit festgestellt: „Es ist eine Tatsache, dass die Landespolitik und auch Vertreter von Parteien und Verbänden im restlichen Staatsgebiet immer häufiger den Begriff Sudtirolo verwenden. Aber auch in den italienischen Medien und der Zivilgesellschaft findet die Bezeichnung Sudtirolo anstelle von Alto Adige immer größeren Zuspruch.“ (siehe Anlage 6). Spätestens jetzt drängt sich die Frage auf: Wäre es nicht naheliegend und folgerichtig, wenn auch die Landesregierung entsprechende Zeichen in diese Richtung setzen würde?
Vor dem Hintergrund des Dargelegten stellen die Gefertigten den
Antrag
Der Süd-Tiroler Landtag fordert die Landesregierung auf, bei der Südtirol Marketing Gesellschaft zu intervenieren, damit diese die Feriengäste Stück für Stück an die authentische Toponomastik heranführt und die Richtlinien zum Gebrauch der Orts- und Flurnamen in der Tourismuswerbung entsprechend modifiziert und verfeinert:
1) für den fremdsprachigen, d.h. nicht deutsch-, italienisch-, ladinischsprachigen Markt sind nur noch die historisch fundierten Orts- und Flurnamen zu verwenden (siehe Anlage 7); d.h. in Bezug auf mehrheitlich deutsche Gebiete die deutschen, auf mehrheitlich italienische Gebiete die italienischen und heute noch gebräuchlichen sowie in Bezug auf die ladinischen Gebiete die ladinischen, z.B. mehrheitlich deutsch: Meran; mehrheitlich italienisch: Bolzano; mehrheitlich ladinisch: Urtijëi;
2) für den italienischsprachigen Markt sind die (re)konstruierten und damit historisch nicht fundierten „italienischen“ Orts- und Flurnamen nur noch als rein informativer Zusatz bei Erstnennungen zu verwenden, z.B. Sterzing / Vipiteno[2] … in der Folge nur noch Sterzing;
3) für den italienischsprachigen Markt ist der Gebrauch der Landesbezeichnung Sudtirolo jenem von Alto Adige in zunehmendem Maße vorzuziehen;
4) die in der Originalsprache / in den Originalsprachen bezeichneten geografischen Objekte können bei deren Erstnennung in der Zielsprache im Fließtext mit einem eigenen Begriff definiert werden. Dieser Begriff hat rein deskriptiven Charakter und dient der Zusatzinformation. Er ist appellativisch und gehört nicht zum Namen, der als solcher eine Einheit bildet und unverändert bleibt, z.B. dt. Sarntal: ital. valle Sarntal, engl. Sarntal valley, frz. vallée Sarntal … in der Folge nur noch ital. Sarntal (vgl. italienisch-mundartlich Sarentol), ebenso engl., frz. Sarntal; dt. Vinschgau, ital. (val) Venosta: engl. Vinschgau valley, frz. vallée Vinschgau … in der Folge nur noch engl., frz. Vinschgau; dt. Sellajoch, ital. passo di Sella, lad. Mëisules (Jëuf de Sela)[3]: engl. Mëisules pass (Sela pass), frz. col de Mëisules (col de Sela) … in der Folge nur noch engl., frz. Mëisules (oder weiterhin engl. Sela pass, frz. col de Sela) (weitere Beispiele zu Punkt 4 bis 8, siehe Anlage 8);
5) appellativische Zusätze, mit denen in einer der Ausgangssprachen die Namen fakultativ versehen werden können, sind in die Zielsprache übersetzbar, z.B. dt. Passeier(tal), ital. (val) Passiria: engl. Passeier valley, frz. vallée Passeier … in der Folge fakultativ auch ohne appellativischen Zusatz engl., frz. Passeier; dt. Gröden(tal), ital. (val) Gardena, lad. Gherdëina: engl. Gherdëina valley, frz. vallée Gherdëina … in der Folge fakultativ auch ohne appellativischen Zusatz engl., frz. Gherdëina; dt. Brenner(pass), ital. (passo del) Brennero: engl. Brenner pass, frz. col du Brenner … in der Folge fakultativ auch ohne appellativischen Zusatz engl., frz. Brenner; dt. (Schloss) Runkelstein, ital. (castel) Runkelstein[4]: engl. Runkelstein castle, frz. château Runkelstein … in der Folge fakultativ auch ohne appellativischen Zusatz engl., frz. Runkelstein.
6) jene Elemente, die als Name und Wort zugleich empfunden werden, weil sie dem wissenschaftlich-geografischen Fachwortschatz entnommen sind, können in die Zielsprache übersetzt werden, sofern die Konstruktion als Ganzes segmentierbar ist, z.B. dt. Ötztaler Alpen: ital. Alpi dell’Ötztal, engl. Ötztal Alps, frz. Alpes de l’Ötztal[5]; dt. Sextner Dolomiten, ital. Dolomiti di Sesto: engl. Sexten Dolomites, frz. Dolomites de Sexten; dt. Schlerngruppe: ital. gruppo dello Schlern[6], engl. Schlern group, frz. groupe du Schlern;
7) auf der Grenze zwischen Appellativ und Eigennamen befindliche Namenbestandteile können, wie überwiegend bei Namen mit hohem Verkehrswert üblich, in die Zielsprache übersetzt werden, sofern die Übersetzung wissenschaftlich fundiert ist, dt. Kalterer See, ital. lago di Caldaro: engl. lake Kaltern, frz. lac de Kaltern; dt. Sellajoch, ital. passo di Sella, lad. Jëuf de Sela (Mëisules): engl. Sela pass (Mëisules [pass]), frz. col de Sela ([col de] Mëisules)[7];
8) für den fremdsprachigen Markt sind für die an einer Sprachgrenze befindlichen Gebiete – dies trifft überwiegend auf Pässe, Berge und Almen zu – die Namen bei deren Erstnennung in beiden Sprachen zu verwenden. Dabei ist der Name in jener Sprache vorzuziehen, die mehrheitlich im beschriebenen Gebiet vorherrscht bzw. in jenem Sprachgebiet vorherrscht, von dessen Seite aus das beschriebene Gebiet betrachtet wird. Je nachdem kann es also heißen z.B. deutsch-italienisch Karerpass / passo di Costalunga: engl. Karerpass / Costalunga pass, frz. col du Karerpass / de Costalunga oder italienisch-deutsch passo di Costalunga / Karerpass: engl. Costalunga pass / Karerpass, frz. col de Costalunga / du Karerpass; deutsch-ladinisch Würzjoch / Ju de Börz: ital. passo Würzjoch / Ju de Börz, engl. Würzjoch / Ju de Börz pass, frz. col du Würzjoch / Ju de Börz oder ladinisch-deutsch Ju de Börz / Würzjoch: ital. passo Ju de Börz / Würzjoch: engl. Ju de Börz pass / Würzjoch, frz. col du Ju de Börz / Würzjoch. Um die Lesbarkeit nicht zu beeinträchtigen, gilt es, bei nachfolgenden Nennungen im Text nur noch eine Sprache, und zwar jene, die bei der Erstnennung prioritär behandelt wurde, zu verwenden.
[1] Einzig historisch fundiert am Begriff Corno del Renon ist das Grundwort Renon. Doch ist dieses nicht italienisch, sondern grödnerisch. Die Gadertaler Version lautet Rignùn, die fassanische Retenón.
[2] Der Name Vipiteno ist eine tolomeische Rekonstruktion auf der Grundlage von lateinisch Vipitenum, Vepiteno, das heute im Talnamen Wipptal fortlebt. Noch bis 1916 verwendet Tolomei persönlich das italienische, aus dem Deutschen importierte Exonym Stérzen. Doch dann Tolomeis plötzlicher Wechsel zu Vepiteno, Vipiteno mit folgender Begründung: „Quando si fosse trattato d’un villaggio o d’una piccola borgata ci saremmo tenuti ad una delle forme italianate correnti. (Per questo luogo son parecchie: fin qui abbiamo usato, di preferenza, Stérzen). Ma nessuna di cotesti suoni deformati s’addice al decoro d’una città, quando essa è per entrare nel novero delle cento sorelle. Abbiamo proposto la resurrezione del nome antico: Vepitèno.“ Stérzen als Beweis gegen die romanische Siedlungskontinuität war Tolomei ein Dorn im Auge.
[3] Vgl. auch Punkt 7.
[4] Der Name Runkelstein geht auf älteres Runkenstein zurück. Er beinhaltet möglicherweise den mittelhochdeutschen Begriff runke ‘Falte’. Die Burg könnte nach dem zerklüfteten Stein, auf dem sie errichtet wurde, benannt sein. Der amtliche italienische Begriff Roncolo ist eine tolomeische Konstruktion und soll wohl einen Zusammenhang mit lateinisch runcare ‘roden’, der mit Sicherheit nicht gegeben ist, suggerieren.
[5] Die Bezeichnung Alpi Venoste e Passirie ist eine tolomeische Konstruktion, deren Intention wie bei Alpi Breonie für die Stubaier sowie Alpi Aurine für die Zillertaler Alpen darin besteht, jeden Zusammenhang mit Nordtirol zu leugnen. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts gebrauchte Tolomei für die Ötztaler Alpen den ebenfalls konstruierten Begriff Monti d’Ezio.
[6] Beim amtlichen „italienischen“ Namen Sciliar (älter Sciliàr) handelt es sich um eine tolomeische Konstruktion. De facto geht der Name Schlern auf vorrömisch *Skillèrio zurück, das lautgesetzlich zu den ladinischen sowie zur deutschen Form führte (italienisch „korrekt“ rekonstruiert müsste es wennschon *Scillèrio heißen).
[7] Vgl. auch Punkt 4.