Italien hat nach dem Zweiten Weltkrieg ungeheure Summen zur „Verteidigung der Italianità“ in Südtirol und im Gebiet von Triest ausgegeben. Die Tätigkeit des von Alcide Degasperi eingesetzten „Ufficio per le zone di confine“ war lange Zeit geheimnisumwittert; jetzt ist sie erstmals mindestens teilweise erforscht worden. Damit ist dieses unrühmliche Kapitel der italienischen Minderheitenpolitik noch lange nicht abgeschlossen.
Nach dem Ersten Weltkrieg hatte das faschistische Italien das „Ufficio speciale per le nuove Province“ (Sonderamt für die neuen Provinzen) eingerichtet, das die Italienisierung der deutsch- und slowenischsprachigen Bevölkerungen betreiben sollte, die gegen ihren Willen zu Italien gekommen waren. Mit welchen Methoden dies gemacht wurde, ist ja bestens bekannt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden diese nationalistischen Aktivitäten zunächst von verschiedenen Ämtern bzw. Ministerien weiter betrieben, bis Ministerpräsident Alcide Degasperi im Jahr 1947 wieder alles in einem Amt zusammenfasste, dem berüchtigten „Ufficio per le zone di confine“ (Amt für die Grenzgebiete, kurz UZC). Die Zielsetzung war die gleiche geblieben, auch personell hatte Degasperi für Kontinuität mit dem Faschismus gesorgt, indem er den Präfekten Silvio Innocenti zum Leiter des UZC berufen hatte. Innocenti hatte unter dem Faschismus Karriere gemacht und sich nach dem Krieg als ultranationalistischer Präfekt in Bozen den Zorn der Südtiroler zugezogen. Das UZC wurde im Jahr 1954 aufgelöst, nachdem Degasperi 1953 gescheitert war und Mario Scelba, einer seiner Kurzzeit-Nachfolger, die Stimmen der SVP im Parlament brauchte. Die Tätigkeit dürfte jedoch unter anderen Namen weitergelaufen sein. Mit dem Fall Degasperis war auch das von ihm auf Betreiben Innocentis erlassene Verbot verschwunden, Immobilien, die von Optanten an die „Ente Nazionale per le Tre Venezie“ abgegeben worden waren, an deutschsprachige Südtiroler zu verkaufen. Selbst die ehemaligen Besitzer hatten ihre Immobilien wegen des von Degasperi erlassenen Verbotes nicht zurückerwerben können, auch dann nicht, wenn sie den Kaufpreis von der Ente noch gar nicht erhalten hatten.
Lange Zeit war die Tätigkeit des UZC geheimnisumwittert. Man konnte nur spekulieren, was dieses Amt alles unternommen hat, um Südtirol zu italienisieren. In den Archiven fanden sich keine Spuren. Vor einigen Jahren stießen dann bezeichnender Weise Mitarbeiter der sogenannten „Commissione stragi“ (Kommission Blutbäder) des Parlamentes, die über die Beteiligung staatlicher Institutionen am Terrorismus ermittelte, auf die ungeordneten Akten des Amtes. Die Historiker Diego D’Amelio, Andrea Di Michele und Giorgio Mezzalira haben eine erste Auswertung vorgenommen und ihre Forschungsergebnisse gemeinsam mit einigen zeithistorischen Beiträgen im Band „La difesa dell’italianità“ veröffentlicht.
Die wichtigste Erkenntnis ist, dass über dieses Amt ungeheure Summen geflossen sind, die z. B. im Gebiet von Triest auch an neofaschistische Gruppen gingen, die Kommunisten und Slowenen verprügelten. Ob solche Gruppierungen auch in Südtirol finanziert wurden und ob auch nach der Auflösung des UZC noch Gelder für Terrorismusaktivitäten geflossen sind, die man den Südtirolern in die Schuhe schieben wollte, ist vorerst nicht bekannt. Hier gäbe es noch viel zu ermitteln. Wohl aber weiß man, dass „ungeheure Geldsummen“, so die Autoren des Buches, an die italienische wie auch an die italienfreundliche deutsche Presse in Südtirol gegangen sind. Ungeheure Summen hat auch die katholische Kirche erhalten, um die Italiener in Südtirol zu betreuen, und wohl auch um das Wohlwollen der Kirche zu erreichen.
Bei der Vorstellung des Buches in der Bibliothek der Uni Bozen zeigte es sich, dass die Veröffentlichung von Fakten, wie es mit diesem Buch geschehen ist, noch lange nicht ausreicht, um die Geschichte aufzuarbeiten, weil die Interpretation der Fakten zu unterschiedlich ist.
Die italienischen Historiker zeigten sich bei der Buchpräsentation überzeugt davon, dass die Maßnahmen zur „Verteidigung der Italianità“ durchaus legal und richtig gewesen seien, weil sich die Italiener in den Grenzgebieten nicht zu Hause fühlten und ihre Abwanderung drohte. Von deutscher Seite sieht man hingegen in den Maßnahmen des UZC eine Weiterführung der faschistischen Italienisierungspolitik mit anderen Mitteln und eine absolut undemokratische Ungerechtigkeit bei der Verteilung der Ressourcen. Das Thema ist noch lange nicht abgeschlossen.
Für den Südtiroler Heimatbund
Hartmuth Staffler
Hartmuth Staffler, ein Tiroler und Journalist, ist selbst Buchautor. Aus seiner Feder entstammt unter anderem das Buch „Krummstab und „Krummnase“ – antijüdische Propanda in der „Brixner Chronik““ und „Bomben auf Brixen – Brixen im 2. Weltkrieg“.