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Die Folterbriefe der Freiheitskämpfer – Teil 7: Brief von Hermann Anrather

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Die Süd-Tiroler Freiheit möchte anlässlich der sich heuer zum 55 Male gejährten Feuernacht mit der Veröffentlichung von ausgewählten Folterbriefen der Freiheitskämpfer deren Einsatz und Pflichtbewusstsein für die Heimat in Erinnerung bewahren. Diese Serie wird den Titel „Feuernacht – Folternächte“ tragen. Gleichzeitig soll mit deren Veröffentlichung auch ein Zeichen gegen jeweilige Unterdrückung und Aggression gegenüber heimatreuen und freiheitsliebenden Menschen und Völkern gesetzt werden.

Die ausgewählten Folterbriefe stammen aus der zweiten ergänzten Auflage des Buches „Für die Heimat kein Opfer zu schwer“. Sie wurden vom Autor des Buches, Helmuth Golowitsch und vom Obmann des Südtiroler Heimatbundes, Roland Lang, zur Verfügung gestellt. Das Buch knüpft an den 1964 in erster, 1977 in zweiter Auflage erschienen Tatsachenbericht „Die Schändung der Menschenwürde in Südtirol“ an und bietet durch die Zusammenführung von neuen Erkenntnissen ein umfassendes und objektives Bild der 50er und 60er Jahre in Südtirol vor dem Hintergrund des Freiheitskampfes.

Die Folterbriefe der ehemaligen inhaftierten Südtiroler Freiheitskämpfer werden in den kommenden vier Wochen, jeweils am Dienstag und Donnerstag, auf der Homepage der Süd-Tiroler Freiheit publiziert. Sepp Mitterhofer, der ehemalige Obmann des Südtiroler Heimatbundes, sagte einst: „Wenn man diese Briefe liest, so gewinnt man den Eindruck, man blättere in einem Drehbuch eines Horrorfilms. Das wäre weiter nicht schlimm. In diesem Fall ist es allerdings tragisch, weil es kein Roman ist, sondern nackte Wirklichkeit und es uns Südtiroler betrifft.“ Diese Aussage trifft den Nagel auf den Kopf und lässt bereits erahnen, welches Grauen die Männer und deren Angehörigen erleiden mussten.

Der heutige Folterbrief wurde von dem aus Kurtatsch stammenden Hermann Anrather geschrieben. Er wurde am 16. Juli 1961 von den Carabinieri verhaftet.

„Ich, Hermann Anrather, Sohn nach Josef und der Albina Gruber geb. am 16. Mai 1930 in Kurtatsch wohnhaft in Kurtatsch.
Obgenanter wurde am 16. Juli 61 in Kurtatsch von den Carabinieri von Kurtatsch verhaftet. Es war 7 h Morgens. Von jener Stunde an wurde ich verhört und dauernd geschlagen. Ich mußte, mit der linken Hand oben, stehen, und man hatte mir dauernd mit der Hand und Faust ins Gesicht geschlagen u. ins Gesicht gespien. Mit einen vierkantigen Stock schlug man mir auf den Händen, Unterarm u am Oberschenkel weil ich nicht imstande war gerade zu stehen. Obwohl Sie wusten vom Gemeindearzt (ein Wort unleserlich) das ich eine schwere Operazion hinter mir habe. Es wurde im Jahre 1955 die rechte Niere mir herausgenommen. Dies alles dauerte bis zirka 11.45 h. Dan bis am Abend deselben Tages mußte ich stehen und zeitweilig mit den linken Arm erhoben. Zirka um 18 h gab man mir das erste Essen, das schon Stunden neben mir stand und nicht essen konnte weil ich völlig erschöpft war. Am folgenden Tag am 17. Juli zirka um 12 h, wurde ich wieder entlassen.

Um 22.30 h am selben Tag wurde ich wieder von den selben Carabinieri verhaftet. Wurde zirka eine Stunde lang ohne Rüksicht geschlagen wie am Vortage. Zusezlich gab man mir Fustritte und schlug man mir mit der Faust an dem Geschlechtsteil.
Mit einer Zange hate man mir die Finger gequetscht, sowie bei den Haaren gezogen das dem Carabiniere ein Handvoll Haare in die Hand gebliben ist. Als ich vertig und erschöpft war, wurde mir mein erstes Protokol geschrieben, wo ich auch zugegeben hätte das ich meine Mutter umgebracht habe, wen sie mich danach gefragt hätten. Am folgenden Morgen ward ich in ein Zimmer gebracht, wo noch Blutfleken von meinen Mitverhafteten Orian Josef, Anegg Josef und Pomella Adolf sichtbar waren. Habe mit meinen eigenen Augen gesehen wie Orian mit einem Teppichklopfer auf den nakten Leib geschlagen wurde sowie auch auf den Kopf.
Das Wimmern und schmerzliche Stönen der Mishandelten übertönte oft das gellende Geschrei des dort fortwärend laufenden Gramophons. Nach allem wurden wir alle genanten nach Neumarkt ins Gefängnis überführt, wo wir von den Carabinieri gedroht wurden nach Eppan zu überführen um von neuem Mishandelt zu werden.
Im Neumarkter Gericht wurden wir vom Gerichtsarzt aus Padua untersucht und wegen den Mishandlungen vernomen. Dort haben wir uns alle gesehen auch zum Teil mit ganz blau geschlagenen Körpern.
Hermann Anrather“

Anrather erstattete Anzeige gegen seine Folterer. Er wurde trotz des erfolterten „Geständnisses“ am 16. Juli 1964 in Mailand zu 2 Jahren und  Monaten Kerker verurteilt, in der Berufungsinstaz wurde die Strafe auf 7 Jahre und 4 Monate angehoben. Dieses Urteil wurde vom Kassationsgerichtshof bestätigt. Am 2. Juni 1969 begnadigte der italienische Staatspräsident unter dem Vorzeichen der gewünschten Annahme des „Südtirolpaketes“ durch die Südtiroler Volkspartei eine Reihe von Häftlingen, darunter Hermann Anrather.

Weitere Folterbriefe und detailliertere Hintergrundinformationen sowie Zusammenhänge finden Sie im Buch „Für die Heimat kein Opfer zu schwer“. Dieses kann auch online im Werbekatalog der Süd-Tiroler Freiheit erworben werden.

Die bisher veröffentlichten Folterbriefe finden sie hier.

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