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Die Folterbriefe der Freiheitskämpfer – Teil 8: Brief von Franz Muther

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Die Folterbriefe der Freiheitskämpfer – Teil 8: Brief von Franz Muther

Die Süd-Tiroler Freiheit möchte anlässlich der sich heuer zum 55 Male gejährten Feuernacht mit der Veröffentlichung von ausgewählten Folterbriefen der Freiheitskämpfer deren Einsatz und Pflichtbewusstsein für die Heimat in Erinnerung bewahren. Diese Serie wird den Titel „Feuernacht – Folternächte“ tragen. Gleichzeitig soll mit deren Veröffentlichung auch ein Zeichen gegen jeweilige Unterdrückung und Aggression gegenüber heimatreuen und freiheitsliebenden Menschen und Völkern gesetzt werden.

Die ausgewählten Folterbriefe stammen aus der zweiten ergänzten Auflage des Buches „Für die Heimat kein Opfer zu schwer“. Sie wurden vom Autor des Buches, Helmuth Golowitsch und vom Obmann des Südtiroler Heimatbundes, Roland Lang, zur Verfügung gestellt. Das Buch knüpft an den 1964 in erster, 1977 in zweiter Auflage erschienen Tatsachenbericht „Die Schändung der Menschenwürde in Südtirol“ an und bietet durch die Zusammenführung von neuen Erkenntnissen ein umfassendes und objektives Bild der 50er und 60er Jahre in Südtirol vor dem Hintergrund des Freiheitskampfes.

Die Folterbriefe der ehemaligen inhaftierten Südtiroler Freiheitskämpfer werden in den kommenden vier Wochen, jeweils am Dienstag und Donnerstag, auf der Homepage der Süd-Tiroler Freiheit publiziert. Sepp Mitterhofer, der ehemalige Obmann des Südtiroler Heimatbundes, sagte einst: „Wenn man diese Briefe liest, so gewinnt man den Eindruck, man blättere in einem Drehbuch eines Horrorfilms. Das wäre weiter nicht schlimm. In diesem Fall ist es allerdings tragisch, weil es kein Roman ist, sondern nackte Wirklichkeit und es uns Südtiroler betrifft.“ Diese Aussage trifft den Nagel auf den Kopf und lässt bereits erahnen, welches Grauen die Männer und deren Angehörigen erleiden mussten.

Der heutige Folterbrief wurde von dem aus Laas im Vinschgau stammenden Franz Muther verfasst. Mit seinem Hilfeschrei an die Landesleitung der Südtiroler Volkspartei bittete er vergeblich darum, alles daranzusetzen, weitere Folterungen zu verhindern.

„Bozen, 3.11.1961
An die Landesleitung der Südtiroler Volkspartei, Bozen Möchte Ihnen folgendes mitteilen, damit Sie, Ihnen ein Bild machen können, wie man in einem freien, Demokratischen-Staat die Polizeiverhöre führt.
Ich wurde am 10. Juli dieses Jahr, von Carabinieri Brigadier von Laas in die Kaserne gerufen, es war gegen 17.30 Uhr. In der Kaserne sagte der Brigadier, es würde jemand kommen, um einige Fragen an mich richten, dann könnte ich gleich wieder nach Hause gehen. Ich mußte warten, gegen 21 Uhr wurde ich aus der Kaserne geführt und mußte in eine Kampagnola (richtig „campagnola“, Geländefahrzeug der Carabinieri und der Polizei) welche vor der Kaserne stand, einsteigen. Gleich darauf brachte man Matthias Parth aus Eyrs, welcher ebenfalls im Wagen Platz nehmen mußte. Es wurde schnell die Plane verschnürt und abgefahren. Ein Carabinieri hat uns gegenüber Platz genommen mit der Maschinenpistole im Anschlag. Wir wurden nach Meran in die Carabinieri Kaserne gebracht, in einem Zimmer geführt, wo wir unter Bewachung stehen mußten, ohne sich bewegen zu dürfen. Gegen Mitternacht wurde ich in ein anderes Zimmer geführt, dort stellte ein Mann in Zivikleidungl einige Fragen an mich. Wie ich nachher erfahren konnte, war es Capitano Gazolla oder Marzolla. Nachdem ich diese Fragen nicht zu seiner Zufriedenheit beantworten konnte, wurde ich beschimpft und verhöhnt, er drohte mir mit Mißhandlungen, unter anderem würde man mir die ganzen Haare ausreißen. Ich mußte die Hände hochhalten, dann schlug er mir mit einem Eisenstäbchen mir auf den Finger. Garzolla rufte dann nach einem gewissen Lungo,dies war ein großer kräftiger Mann, und gab ihn den Befehl mich abzuführen zur, ‚cura speciale‘, wie er sich ausdrückte. Ich wurde wiederum in einem anderem Zimmer gebracht, mit dem Rücken gegen eine Wand gestellt, und von zwei kleine Scheinwerfern, welche auf Augenhöhe, 80 cm. vor mir aufgestellt wurden angestrahlt. Nach kurzer Zeit, als meine Augen genügend geblendet waren, wurde ich in die Mitte des Zimmers gezogen, um mich herum standen ungefähr 6 – 8 Mann in Zivilkleidung und einer in Uniform. Jener in Uniform ging auf mich zu, verhöhnte, beschimpfte, drohte mich auf das schärfste, dann auf einmal, fasste er mich an die Brust, riss mir das Hemd runter und zugleich Haare aus der Brust. Dann schlug er mit der Faust auf meine Schedeldeke los, zugleich schlug der Lungo an der Seite meines Kopfes, besonders aufs linke Ohr, wo ich heute noch immer Schmerzen habe und auch schlecht höre.

Von anderen erhielt ich Fußtritte im Unterleib, ich konnte nicht mehr sehen mir wurde schwarz vor den Augen. Nach einiger Zeit, wurde ich wiederum mit dem Rücken gegen eine Wand gestellt. Diesmal brachten sie einen großen Scheinwerfer, welcher wieder auf Augenhöhe 60 – 80 cm. vor mir aufgebaut wurde, ich mußte in die Mitte des Lichtkegel schauen. Jedesmal, wenn mir vor Schmerz die Augen zufielen, erhielt ich Stöße in alle Körperteile, besonders Fußtritte an den Schienbeinen, am rechten Bein sind heute noch die Narben zu sehen. Dieses Bein war längere Zeit angeschwollen und ganz gelb. Diese Tortur vor dem gr. Scheinwerfer dauerte 5 – 6 Stunden ununterbrochen, ich glaubte wahnsinnig zu werden. Meine Bitte um Wasser wurde hönisch verneint. Als endlich der Scheinwerfer abgeschaltet wurde, glaubte ich, das Augenlicht verloren zu haben, da ich einige Zeit nicht mehr sehen konnte. Ich war am ganzen Körper nass von Schweiß, besonders im Kopf. Ich wurde in die Mitte des Zimmers auf einen Stuhl gebracht, es war ein fürchterlichs Zugluft, da Fenster und Tür offen waren. Gazolla drohte mir auch 20 Kg. Gewichte an die Geschlechtsteile hängen zu lassen. Ein anderer sagte mir, jetzt würde man meine Frau holen, die wird man schon zum sprechen bringen. Es war nicht mehr auszuhalten, der Gedanke, daß man jetzt auch noch eine unschuldige Frau auf solche Weise, wofür es für einen zivilisierten Menschen keinen Ausdruck mehr gibt, verhört wrden solltet, war für mich furchtbar. Ja, zuzumuten war es ihnen ohne weiteres, habe es doch am eigenen Leid erfahren, und wo nun einmal die moralische Vernuft versagt, der Haß überhand bekommt, dort beginnen die Wahnsinnstaten.
Ich hatte auch ganz roten Urin, auch zwei 2 – 3 Tage noch im Bozner-Gefängnis, wo ich am Sonntag, den 17. Juni eingeliefert wurde. Wegen Platzmangel möchte ich davon absehen, die Ausdrücke, welche man mir gegenüber, gegen, gegen unsere Volksvertreter und das ganze Deutsche Volk gebrauchte davon absehen. Jedoch sei eines erwehnt, daß jener in Uniform mich anschrie, voi tutti porchi Crucki di Detedescki si dofrebe impicare. (Sinngemäß:„Euch deutsche Schweine müßte man alle aufhängen“)
Ja, und dies alles in einer Zeit wo man an einem vereinten Europa denkt. In diesem Sinne habe ich auch anfang Oktober eine Anzeige wegen der Mißhandlung an die Staatsanwaltschaft von Bozen gemacht. Nachdem ich aber bis heute nichts davon gehört habe, befürchte ich, daß man alles vertuschen will. Nachdem ich seelisch, moralisch und körperlich vollkommen zerschlagen war, kann ich mich nicht mehr erinnern, was ich bei den Carabinieri, so wie auch beim Staatsanwalt Dr. Castellano aussagte und u. unterschrieb. Die hier angeführten Mißhandlungen entsprechen voll und ganz der Wahrheit. Ich möchte Sie aufrichtig bitten, das Sie alles daransetzen, um weitere solche an das Südtiroler-Volk zu vermeiden. Es wäre noch viel zu sagen aber ich habe kein Papier mehr.
Es zeichnet hochachtungsvoll
Franz Muther, Laas“

Weitere Folterbriefe und detailliertere Hintergrundinformationen sowie Zusammenhänge finden Sie im Buch „Für die Heimat kein Opfer zu schwer“. Dieses kann auch online im Werbekatalog der Süd-Tiroler Freiheit erworben werden.

Die bisher veröffentlichten Folterbriefe finden sie hier.

Archiv, Matthias Hofer, Vinschgau
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