Die Alpini wurden 1872 als Gebirgstruppe aufgestellt, um die Alpengrenzen Italiens zu verteidigen. Darin kam zum Ausdruck, dass der im 19. Jahrhundert aufgekommene italienische Nationalismus immer mehr Wert auf die angeblich natürliche Grenze am Alpenhauptkamm legte. Bereits 1888 wurden die Alpini, die eigentlich die Alpengrenze verteidigen sollten, erstmals nach Afrika geschickt, um für Italien Kolonien zu erobern. Am italienisch-türkischen Krieg 1911/12, mit dem sich Italien die türkischen Provinzen Tripolitanien und Cyrenaika, das heutige Libyen, sowie den Dodekanes aneignete, waren zehn Bataillone Alpini beteiligt, ebenso an der folgenden brutalen Unterdrückung der libyschen Freiheitsbewegung mit Konzentrationslagern, Todesmärschen in die Wüste und Giftgaseinsatz gegen Zivilisten. An diesen Krieg erinnert das Alpini-Denkmal in Meran und die Inschrift am italienischen Gefallenendenkmal in Brixen, „Caduto in terra d‘Africa per la più grande Italia“, also gefallen für die Eroberungsansprüche Italiens in Afrika. Laut Propaganda, die heute noch wiederholt wird, brachte man Kultur und Zivilisation, in Wirklichkeit nur Tod und Verderben. „Die wahren Barbaren sind wir“, schrieb damals die sozialistische Zeitung „Avanti“.
Im Krieg gegen Österreich ab 1915 trugen Alpini die Hauptlast der Kämpfe vor allem an der Front gegen Tirol. Nach dem Krieg wurde daraus von der faschistischen Propaganda der Mythos geformt, wonach die Alpini alpenländische Soldaten seien, die für Italien jenen Anteil der Alpen erobert hätten, der dem Land angeblich von der Natur und von Gott zugewiesen worden war. Bis heute halten sich die meisten italienischen Medien streng an die faschistische Rhetorik, wonach der Alpino ist ein einfacher, zäher, gutmütiger, tapferer und patriotischer Bergbewohner ist. In diesem nationalistischen Geist wurde 1919 die Alpinivereinigung ANA gegründet, die vom Faschismus gleichgeschaltet wurde und sich davon bis heute kaum distanziert hat.
Eine bedeutende Rolle haben die Alpini im Vernichtungskrieg 1935/36 gegen das Kaiserreich Äthiopien gespielt. Eigens dafür wurde am 31. Dezember 1935 die Alpinidivision „Pusteria“ aufgestellt, die den Namen des Tales bis heute entehrt. In diesem Krieg hat Italien in großem Stil Giftgas sowohl gegen Militär als auch gegen Zivilisten eingesetzt. Die italienischen Truppen machten kaum Gefangene. Auch die Alpini waren an Massenerschießungen der äthiopischen Oberschicht und der Geistlichen beteiligt. Allein in der Klosterstadt Debre Libanos wurde rund 2000 Geistliche, Mönche und Diakone erschossen. Die Divisione Pusteria war an den Gefechten von Tigrai, Amba Aradan, Amba Alagi und Tembien und an den Massakern von Mai Ceu und am Ashangi-See beteiligt und nach dem offiziellen Kriegsende an der brutalen Bekämpfung der Rebellen. Im April 1937 kehrte die Division nach Italien zurück und zog im Triumphzug durch Rom. 1938 ordnete Mussolini an, die „Heldentaten“ der Divisione Pusteria“ mit einem Denkmal in Bruneck zu ehren, an dem heute noch Gedenkfeiern stattfinden.
Die Divisione Pusteria war dann dabei, als Italien am 10. Juni Frankreich den Krieg erklärte. Auch am Überfall auf Griechenland ab 26. Oktober 1940 waren Alpini beteiligt, hauptsächlich die Division Julia, im weiteren Verlauf auch die Divisione Pusteria. Die folgende italienische Besatzungsherrschaft hat rund 100.000 Griechen das Leben gekostet. Die Divisione Pusteria wurde im Sommer 1941 zur Partisanenbekämpfung nach Montenegro und Kroatien beordert und hauste dort ebenso grausam wie in Äthiopien. Ganze Dörfer wurden niedergebrannt, Zivilisten gefoltert und getötet.
Ein eigenes Kapitel ist die Beteiligung der Alpini am Krieg gegen die Sowjetunion. Italien hat am 23. Juni 1941, einen Tag nach dem deutschen Überfall, der Sowjetunion den Krieg erklärt. Mussolini schickte 1941 das Corpo di spedizione italiana in Russia (CSIR), bestehend aus drei Infanteriedivisionen, und 1942 dann die neue 8. Armee, genannt Armata italiana in Russia (ARMIR), an die Front. Unter den zehn Divisionen der ARMIR waren auch die drei Alpinidivisionen Cuneense, Julia und Tridentina. Die Besatzungsmethoden der Italiener unterschieden sich kaum von denen der Nazi-Truppen. Laut Anweisungen ihrer Kommandos hatten sie aktiven oder passiven Widerstand der Zivilbevölkerung durch härteste Methoden zu unterbinden. Sogenannte Spione wurden an Ort und Stelle hingerichtet. Das Kommando des Alpinikorps unter General Gabriele Nasci hatte den Befehl ausgegeben, jeden feindseligen Akt mit „Repressalien von beispielhafter Strenge“ zu beantworten. Die Truppen sollten Geiseln nehmen und im Ernstfall als Vergeltung erschießen. Dies ist vielfach durch Dokumente bezeugt. Sowjetische Politkommissare, „Aufrührer“ und „unerwünschte Elemente“ wie Juden und Zigeuner sollten so schnell wie möglich an die Deutschen übergeben werden. Dokumentiert ist auch, dass italienische Truppen als Vergeltung für Partisanenüberfälle die Dörfer Snamenka und Gorjanowski zerstörten und alle Einwohner umbrachten. Die Sowjetunion hat mehrere italienische Offiziere wegen Kriegsverbrechen verurteilt und die Auslieferung zahlreicher Kriegsverbrecher beantragt, was Italien aber abgelehnt hat. Selbst deutsche militärische Stellen beklagten sich oft über das zu harte Vorgehen der Italiener. Der Kommandant der ARMIR, Giovanni Messe, schrieb hingegen kurz nach Kriegsende, das italienische Expeditionskorps habe sich durch seine „überlegene Kultur, seinen Sinn für Gerechtigkeit und sein menschliches Verständnis von allen anderen Heeren unterschieden“. Das entsprach dem faschistischen, bis heute bestehenden Klischee vom edlen Italiener als Träger einer jahrtausendealten Kultur. In Briefen italienischer Soldaten, die in der Zensurstelle in Mantua gesammelt wurden, ist aber von Übergriffen und Erschießungen von Zivilisten die Rede.
Nach dem Krieg ist in Italien eine reichhaltige Rechtfertigungsliteratur erschienen, die den Mythos von den Alpini als Opfer und nicht als Täter des Russlandfeldzuges begründet hat, der als reiner Raubzug geplant war. Tatsächlich waren die Alpini Opfer einer verantwortungslosen Regierung. Von 57.000 Alpini sind nur 11.000 aus Russland zurückgekehrt. Sie waren aber sowohl Täter als auch Opfer, wobei ihr Opfer vom Faschismus bis heute für eine Rechtfertigungspolitik und für neue Mythen missbraucht wurde.
So wird z. B. die Legende von Nikolajewka gepflegt, laut der die Alpinidivision Tridentina am 26. Jänner 1943 in hartem Gefecht eine sowjetische Einkesselung durchbrochen und damit vielen italienischen und deutschen Soldaten den Weg in den Westen freigemacht habe. Tatsächlich hat das 24. Deutsche Panzerkorps die eingekesselten Soldaten befreit. Wichtiger als dieses militärische Detail ist aber, dass die Alpini weiter einen angeblichen Sieg in einem verbrecherischen Krieg feiern, mit dem sie sich somit heute noch identifizieren.
Nach dem Krieg hat die Regierung Degasperi nach der von Justizminister Togliatti am 22. Juni 1946 verfügten Amnestie alles unternommen, um Prozesse gegen eigene Kriegsverbrecher, ob in Äthiopien, Libyen, am Balkan oder in der Sowjetunion, zu verhindern. Es sollte der Eindruck erweckt werden, dass die italienische Armee, selbst als Bündnispartner des Dritten Reiches, sich nie etwas habe zuschulden kommen lassen. Die Forderung Äthiopiens nach einem Kriegsverbrechertribunal wie in Nürnberg wurde von England verhindert, weil dies unangenehme Fragen zur britischen Politik aufgeworfen hätte. Schließlich hatte die nachgiebige Haltung Londons gegenüber Mussolini dessen aggressive Politik erleichtert. Auch sollte alles unterbleiben, was die Linke in Italien noch stärker gemacht hätte. Ganz in der Logik des Kalten Krieges wollten Großbritannien, Frankreich und die USA Italien im westlichen Lager halten und waren dafür bereit, Äthiopien im Stich zu lassen. Noch weniger waren sie daran interessiert, italienische Kriegsverbrechen in kommunistischen Ländern zu verfolgen. Dieser Generalpardon für Mussolinis Verbrecher prägt die Erinnerung an die Ereignisse entscheidend. Sie verhinderte, dass den vielen hunderttausenden Opfern der faschistischen Gewaltherrschaft Gerechtigkeit widerfuhr und trug dazu bei, dass Mussolinis Diktatur nie als jenes brutale Massentötungsregime ins kollektive Gedächtnis der Europäer einging, das sie tatsächlich war.
Nach dem Krieg haben die Alpini immer größten Wert auf Kontinuität gelegt und sich von ihrer Vergangenheit nicht distanziert. In Brixen wurde das Kommandogebäude der 1952 aufgestellten neuen Tridentina nach dem Kommandanten der faschistischen Tridentina, General Reverberi benannt, der nach dem Krieg von einer parlamentarischen Untersuchungskommission aus dem Dienst entfernt wurde, aber sonst keine Folgen tragen musste. Die Kranzniederlegungen an den Alpinidenkmälern in Meran und Bruneck zeigen, dass man sich auch der Verbrechen in Libyen und Äthiopien nicht schämt.
In Südtirol führten sich die Alpini weiter als Besatzungsmacht auf. In Brixen haben sie 1958 veranlasst, dass Bürgermeister Valerius Dejaco für sechs Monate suspendiert wurde, weil er sich geweigert hatte, an ihren Festlichkeiten am 4. November teilzunehmen, an dem sie den „Sieg“ über die von Bürgermeister Dejaco vertretene Bevölkerung feierten. In den 60er-Jahren haben Alpinisoldaten mehrere Südtiroler absichtlich oder versehentlich erschossen: 1961 Hubert Sprenger aus Mals, Josef Locher aus Sarnthein und Peter Thaler aus Brixen, 1966 Peter Wieland aus Olang. Auch das wird heute alles unter den Tisch gekehrt. Dafür bastelt man an neuen Legenden, z. B. dass die Alpini das Talferbett in Bozen hergerichtet hätten.
Hartmuth Staffler
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Literatur (kleine Auswahl)
Zu den italienischen Kriegsverbrechen in Libyen und Äthiopien:
– Angelo Del Boca, Gli italiani in Libia, 2 Bde., Rom, Bari, 1986-1988
– Nicola Labanca (Hg.), Un nodo. Immagini e documenti sulla repressione coloniale in Libia. Bari 2002
– Asfa-Wossen Asserate, Aram Mattioli (Hrsg.): Der erste faschistische Vernichtungskrieg. Die italienische
Aggression gegen Äthiopien 1935–1941. Köln 2006
– Aram Mattioli, Experimentierfeld der Gewalt. Der Abessinienkrieg und seine internat. Bedeutung. Zürich 2005
– Gerald Steinacher (Hg.), Zwischen Duce und Negus. Südtirol und der Abessinienkrieg 1935-1941, Bozen 2006
Zu den italienischen Kriegsverbrechen in der Sowjetunion:
– Thomas Schlemmer (Hg.), Die Italiener an der Ostfront. Dokumente zu Mussolinis Krieg gegen die SU
Zur italienischen Erinnerungskultur:
– David Bidussa, Il mito del bravo italiano, Mailand 1994