(BARCELONA, 02.10.2017, 11:40 UHR) Jubelnde Menschen die sich in den Armen liegen, dutzende katalanische Fahnen und ein kollektives Gefühl des Stolzes, der Gewalt und der Repression Spaniens getrotzt zu haben: Szenen und Stimmungen von der „Placa de Catalunya“ im Herzen Barcelonas gestern Abend. Stefan Zelger war für die Süd-Tiroler Freiheit bei der Abschlusskundgebung an diesem, nicht nur für Katalonien, historischen Tag dabei.
„Katalonien erlebte eine Sternstunde der Demokratie. Die Demokratie hat über die Gewalt gesiegt. Es begann als Tag der Schande, denn die ganze Welt hat gesehen, was auch ich live mitverfolgen konnte: Eine Staatsmacht, die mit Schlagstöcken auf friedliche Wähler einschlägt und mit Vorschlaghammer Wahllokale stürmt. Eine Staatsmacht, die Plastikurnen mehr fürchtet als Plastiksprengstoff. Über 800, zum Teil schwer verletzte Personen, sprechen eine klare Sprache. Ihr Vergehen? Frei über die eigene Zukunft abstimmen zu wollen! Es war ein Offenbarungseid für Spanien und für Europa!
Doch der Tag der Schande wird am Ende zu einem historischen Tag der Freiheit. Bereits kurz nach 20.00 Uhr, als die Wahl offiziell beendet wird, ist die Placa de Catalunya von tausenden Menschen gesäumt. Ein Moderator auf der Bühne dankt allen, die trotz Verfolgung und Drohungen zum Gelingen der Wahl beigetragen haben. Riesiger Jubel brandet auf, als er der Landespolizei ‚Mossos d’Esquadra‘ dankt, die sich nicht von Spanien instrumentalisieren hat lassen und sich zum Teil schützend zwischen die Bürger und die Militärpolizei ‚Guardia Civil‘ stellte. Das ein oder andere Feuerwerk geht über unseren Köpfen hoch. Ein gellendes Pfeifkonzert ertönt, als am großen Bildschirm in der Mitte der Bühne Bilder von der marodierenden ‚Guardia Civil‘ erscheinen. Die Nachrichtensendung, die über die Leinwand flimmert, wird immer wieder von Independência-Rufen übertönt. Über die Lautsprecher werden Lieder gespielt. Volksfestcharakter. Auf den Podesten hinter mir hat sich die Weltpresse postiert. Dutzende Kameras sind auf den Platz und den großen Bildschirm gerichtet. Um 22:30 Uhr tritt Kataloniens Regierungschef Carles Puigdemont, flankiert von seinem Kabinett, vor die Kameras. Applaus und Jubel brandet auf, als Puigdemont die Worte sagt, auf die hier alle gewartet haben: ‚Wir haben das Recht gewonnen, einen unabhängigen Staat zu haben‘. Als die Regierung Kataloniens abtritt, stimmen die tausenden Menschen auf der Placa de Catalunya die katalanische Hymne an. Es sind vor allem junge Menschen hier, Frauen wie Männer, viele mit der ‚Estelada‘ um den Hals. Aus manch einer Ecke kommt einem ein Hanfschwall entgegen. Hier feiern keine Zündler oder gefährliche Nationalisten, sondern einfache Menschen, die sich nicht mehr länger von Madrid bevormunden lassen und selbst ihre Zukunft in die Hand nehmen wollen. Die Menschen harren noch bis 0:40 Uhr auf der Placa aus, um auf das offizielle Abstimmungsergebnis zu warten. Als der Nachrichtensprecher verkündet, dass 2,26 Millionen Menschen ihre Stimme abgeben konnten und 90 Prozent für die Unabhängigkeit stimmten, weiß jeder hier, dass nun nichts mehr so sein wird wie vorher. Als sich die große Menschenmasse langsam in allen Richtungen auflöst, bleibt auf der Riesenleinwand eine weiße Schrift auf grünem Hintergrund zurück: ‚Hola nou País‘, ‚Hallo neuer Staat‘!“
Stefan Zelger, Mitglied der Landesleitung der Süd-Tiroler Freiheit.
stefan.zelger@suedtiroler-freiheit.com