Beschlussantrag

Straßennamen: Authentizität statt Aufgesetztheit

Anträge, Gemeinde
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Beschlussantrag

Straßennamen: Authentizität statt Aufgesetztheit

Laut Artikel 8 des Sonderstatuts für die Region Trentino-Südtirol besteht die Verpflichtung zur Zweisprachigkeit im Gebiet der Provinz Bozen. Allerdings wird im Sonderstatut nirgends sprachwissenschaftlich erklärt, was genau mit Zweisprachigkeit gemeint ist.

Fakt ist: Es gilt zu unterscheiden zwischen Zweisprachigkeit von Wörtern und Zweisprachigkeit von Namen. Wörter bedeuten, Namen bezeichnen. Ergo sind Wörter übersetzbar, Namen nicht, selbst wenn diese wie Wörter klingen. Namen bezeichnen etwas Individuelles, etwas Eigenes, daher der Begriff Eigenname.

Namen können, wie Wörter, aus mehreren Begriffen zusammengesetzt sein, also Komposita darstellen, z.B. Dorf (ein Begriff), Dorfstraße (zwei Begriffe). Mehrgliedrige Begriffe dieser Art lassen sich in Basis (Straße) und Bestimmung (Dorf) unterteilen. Erstere wird durch Letztere näher bestimmt, demnach: Was für eine Straße? Die Dorfstraße! In diesem Fall ist die Basis (Straße) Name und Wort zugleich und daher unter bestimmten Bedingungen übersetzbar, z.B. Andreas-Hofer-Straße = via Andreas Hofer. Es gibt jedoch eine Reihe von Fällen, in denen ein Kompositum eine Einheit bildet, wenn mindestens eines der Glieder nicht für sich alleine stehen kann. Dies trifft besonders dann zu, wenn es sich bei der Bestimmung um ein Adjektiv in erstarrter Flexion handelt, z.B. Langenweg, oder um ein Verb, z.B. Spiegelweg (von mundartlich spigeln ‚liegen gebliebenes Obst vom Boden auflesen‘). Die jeweilige Bestimmung Langen- und Spiegel- kann nicht für sich alleine stehen und ist mit der Basis zu einer Einheit verschmolzen. Etwaige Übersetzungen via Langen und via Spiegel würden die jeweilige Einheit zerreißen, weshalb solche Straßennamen als Ganzes nicht übersetzbar sind!

In der Tat ist an keiner Stelle im Sonderstatut für die Region Trentino-Südtirol überhaupt die Übersetzung von Straßennamen vorgeschrieben. Wenn diese in der Vergangenheit dennoch übersetzt wurden, hat es insbesondere folgende zwei Gründe: 1. Eine Reihe von Übersetzungen nicht nur von Orts- und Flurnamen, sondern auch von Straßennamen stammt aus der Zeit des italienischen Faschismus, als die deutschen und ladinischen Bezeichnungen verboten waren. 2. Seit postfaschistischer Zeit wird auf die Gemeinden, die ladinischen ausgenommen, immer noch Druck ausgeübt, Straßennamen, im Sinne der Verpflichtung zur Zweisprachigkeit, übersetzt zu lassen bzw. auch neue Straßennamen zu übersetzen.

Damit muss Schluss sein! Denn 1. Das Gebiet des heutigen Südtirols ist nicht flächendeckend zweisprachig, sondern nur punktuell. Was für einen Sinn hat es dann, wenn nicht nur Orts- und Flurnamen, sondern auch Straßennamen zweisprachig geführt werden? In Ladinien, sowohl auf Südtiroler als auch auf Welschtiroler Seite, finden sich nur einsprachig ladinische Straßennamen, also keine aufgesetzten Übersetzungen, weder deutsche noch italienische! 2. Jedwede forcierte Übersetzung von Eigennamen stellt einen „kulturellen Übergriff und Aggressionsakt“ dar. Dies ist in Abschnitt 470 des Berichts der Vereinten Nationen über Orts- und Personennamen aus dem Jahr 1985 festgehalten. Eine forcierte Übersetzung ist somit Ausdruck von Sprach- und Kulturimperialismus, soll jedoch in Südtirol nach außen den Eindruck einer sprachlich-kulturellen Bereicherung suggerieren. Fakt ist: Artifizielle und aufgesetzte Übersetzungen können niemals und für niemanden eine Bereicherung darstellen, im Gegenteil: Sie bedeuten eine Verarmung der Kultur und gefährden das friedliche Zusammenleben, weil sich nicht alle Teile der Bevölkerung mit aufgezwungenen Namen identifizieren können und wollen. Sie sind, kurzum, zurückzunehmen, wie es auch im vorgenannten Abschnitt von den Vereinten Nationen empfohlen wird: „Bemühungen müssen unternommen werden, die Wiedereinführung traditioneller einheimischer Orts- und Personennamen zu fördern, indem so weitgehend wie möglich ihnen angefügte fremde Elemente wieder entfernt werden, vorausgesetzt, dass die betroffenen einheimischen Personen es so wünschen.“

Vor den angeführten Hintergründen stellen die Gefertigten den Antrag, dass der Gemeinderat Folgendes beschließen möge:

1. Der Gemeinderat spricht sich für den Erhalt des historisch fundierten Orts- und Flurnamenguts aus, da dieses für die gesamte Gemeinschaft identitätsstiftend ist und ein kollektives sprachlich-kulturelles Erbe darstellt.

2. Der Gemeinderat missbilligt jede Art von forcierten und artifiziellen Übersetzungen, sei es von Orts- und Flurnamen, sei es von Straßennamen, da diese Ausdruck von mangelndem Respekt vor der Authentizität des Namenguts und hinderlich für das friedliche Zusammenleben sind.

3. Der Gemeinderat fordert den Gemeindeausschuss auf, unter Beiziehung eines sprachwissenschaftlichen Experten eine Revision des Straßennamenverzeichnisses vorzunehmen mit dem Ziel, forcierte und artifizielle Übersetzungen von Straßennamen zurückzunehmen.

4. Der Gemeinderat fordert den Gemeindeausschuss auf, bei Neubenennungen von Straßen auf artifizielle und aufgesetzte Übersetzungen zu verzichten.

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