2014 stimmte die Mehrheit der Schotten bei einem Unabhängigkeitsreferendum gegen die Bildung eines schottischen Staates. Hauptgrund damals: Bei einer Unabhängigkeit – so glaubten viele – würde Schottland nicht mehr Mitglied der EU sein. Für die EU-freundlichen Schotten ein wichtiger Grund mit Nein zur Unabhängigkeit zu stimmen.
Die Geschichte ist bekannt und es ist eine Ironie der Geschichte: Das Vereinigte Königreich ist nicht mehr Teil der Europäischen Union und wird am Ende dieses Jahres vielleicht auch ohne Handelsabkommen dastehen. Die Chaos-Politik von Premierminister Boris Johnson in der Corona-Pandemie und die anhaltende Bevormundung durch London bringen außerdem viele Schotten dazu, ihre Meinung zur Unabhängigkeit zu ändern.
Die Süd-Tiroler Freiheit ist wie die regierende schottische Nationalpartei SNP Teil der „Europäischen Freien Allianz“ (EFA) und verfolgt die Entwicklung in Schottland sehr genau. Erst vor kurzem nahmen Vertreter der Süd-Tiroler Freiheit an einer Online-Veranstaltung des Meinungsforschungsinstitutes „Progress Scotland“ teil, wo die Ergebnisse der neusten Umfragen präsentiert wurden.
Zwischen 25. September und 05. Oktober 2020 wurde unter 2.093 Schotten eine repräsentative Umfrage u.a. über die Unabhängigkeit, die Zufriedenheit mit den Regierungen in Edinburgh und London und die wirtschaftlichen Perspektiven durchgeführt. Die wichtigsten Ergebnisse werden hier präsentiert.
Allgemeine Fragen:
- 64% der Befragten glauben, dass das Ja bei einem Unabhängigkeitsreferendum gewinnen würde.
- Ein Drittel der Nein-Wähler von 2014 würden jetzt Ja wählen oder sind unentschlossen.
- Doppelt so viele Nein-Wähler als Ja-Wähler haben ihre Meinung seit 2014 geändert.
- Ausschlaggebende Themen für Ja oder Nein bei einem Referendum: Gesundheitssystem (NHS), wirtschaftliche Zukunft, Brexit/EU.
- Auf die Frage: „Würden Sie ein neues Referendum unterstützen“ sagen 49% Ja, 38% Nein und 13% wissen es nicht.
- 68% der Befragten mit einer Meinung glauben nicht, dass die britische Regierung EU-Kompetenzen nach dem Brexit an Schottland abtretten wird.
EU-Austritt des Vereinigten Königreiches (Ergebnisse mit jenen Befragten, die eine Meinung dazu haben):
- Die britische Regierung bereitet das Land gut auf die Zukunft ohne die EU vor. Ja: 24%; Nein 76%.
- Ich bin zuversichtlich, dass bis Ende 2020 ein gutes Handelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU ausgehandelt wird. Ja: 28%; Nein: 72%.
- Der Brexit macht die Unabhängigkeit Schottlands wahrscheinlicher. Ja: 73%; Nein 27%.
- Wenn das Vereinigte Königreich die Europäische Union ohne einen Deal verlässt, würde ich eher für die Unabhängigkeit stimmen. Ja: 61%; Nein: 39%.
- Ein unabhängiges Schottland sollte Vollmitglied der Europäischen Union sein. Ja: 67%; Nein: 33%.
- Der Austritt aus der EU wird auf lange Sicht gut für die schottische Wirtschaft sein. Ja: 40%; Nein: 60%.
- Ich warte ab, welche Auswirkungen der Brexit auf mich hat, bevor ich mich entscheide, wie ich bei einem Unabhängigkeitsreferendum abstimme. Ja: 30%; Nein: 70%.
Vergleich der Regierungen Schottlands und des Vereinigten Königreiches:
- Kompetenz: 67% halten die schottische Regierung für kompetent, 70% die britische Regierung für inkompetent.
- Effektivität: 68% halten die schottische Regierung für effektiv, 69% die britische Regierung für ineffektiv.
- Kommunikation: 80% denken, dass die schottische Regierung gut mit der Öffentlichkeit kommuniziert, 72% glauben, dass die britische Regierung nicht gut darin ist.
- Empathie: 71% denken, die schottische Regierung ist empathisch, 80% denken, die britische Regierung ist nicht empathisch.
- Autoritärer Regierungsstil: 76% denken, die schottische Regierung regiert autoritär, 55% denken, die britische Regierung regiert autoritär.
- Corona-Management: 70% bewerten das Corona-Management der schottischen Regierung positiv, 25% bewerten das Corona-Management der britischen Regierung positiv.
Wirtschaft und Zukunft:
- Entscheidungen über die Beziehungen Schottlands zur EU sollten vom schottischen Parlament bzw. der Regierung gepflegt werden. Ja: 74%; Nein 26%.
- Ich würde für ein Ja beim Unabhängigkeitsreferendum wählen, wenn ich überzeugt wäre, dass es gut für die schottische Wirtschaft ist. Ja: 75%; Nein: 25%.
- Die Kontrolle über die Entscheidungen, die die Menschen in Schottland betreffen, sollten vom schottischen Parlament bzw. der Regierung gefällt werden, unabhängig davon, welche Partei regiert. Ja: 70%; Nein: 30%.
- Die Unabhängigkeit wäre für die schottische Wirtschaft auf lange Sicht von Vorteil. Ja: 57%; Nein: 43%.
- Die Unabhängigkeit würde der schottischen Wirtschaft mehr schaden als der Brexit. Ja: 49%; Nein: 51%.
- Entscheidungen über Verteidigung und außenpolitischen Beziehungen, die Schottland betreffen, sollten weiterhin von der britischen Regierung bzw. Parlament getroffen werden. Ja: 51%; Nein: 49%.
- 54% wollen den Pfund als Währung langfristig behalten, 19% den Pfund kurzfristig behalten und langfristig zu einer eigenen schottischen Währung wechseln, 5% kurzfristig zu einer eigenen Währung wechseln, 10% den Euro einführen, 12% wissen es nicht, 1% vertreten andere Optionen.
Alle Ergebnisse im Detail findest du hier: https://www.progressscotland.org/research?type=polling
Stefan Zelger, Mitglied der Landesleitung der Süd-Tiroler Freiheit.