60 Jahre Feuernacht

Warum es 1961 zur „Feuernacht“ kam

Die Nacht des „Herz-Jesu-Sonntags“ vom 11. Juni auf den 12. Juni 1961, als an die 40 Hochspannungsmasten in Südtirol in die Luft flogen oder zumindest schwer beschädigt wurden, ging als „Feuernacht“ in die Geschichte ein.

Die italienische Regierung und der Großteil der italienischen Presse stellten die Situation so dar, als sei die Behandlung der deutschen und ladinischen Volksgruppe stets vorbildlich gewesen. Bei den Attentätern des „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS) handle es sich daher offenbar um „nazisti“ oder um Leute, die über Nacht verrückt geworden seien. Auch in Österreich fanden sich einige Nachbeter dieser Thesen.

Die Wahrheit ist allerdings eine andere. Um verstehen zu können, warum im Juni 1961 der Druckkessel in Südtirol platzte, muss man die Geschichte der Unterdrückung der Südtiroler in den Jahrzehnten davor kennen.

Die nachstehende Dokumentation soll über diese Vorgeschichte einen Überblick liefern

Roland Lang
Obmann des „Südtiroler Heimatbundes“ (SHB)

Die „Politik der 51 Prozent“

Das Ziel des Faschismus war es gewesen, einen zentralistisch regierten Staat mit einer homogenen Einheitsnation zu schaffen. Für das Weiterbestehen anderer Volksgruppen war in diesem Konzept kein Platz vorgesehen gewesen.

Die kulturelle Umformung der Südtiroler zu Italienern war von einer staatlich gelenkten und geförderten Masseneinwanderung begleitet worden, um die nicht zur Assimilierung bereiten Landesbewohner zur rechtlosen Minderheit im eigenen Lande zu machen. Nach 1945 wurde diese Politik konsequent fortgesetzt. Bereits im April 1954 hatte der italienische Generalkonsul in Innsbruck, Mario Paulucci, in einer geheimen Denkschrift für seine Regierung den Weg zur endgültigen Italianisierung Südtirols durch eine „Politik der 51 Prozent“ –  „politica del 51 percento – aufgezeigt. Um die möglichst rasche Majorisierung der Südtiroler zu erreichen, sei eine weitere progressive Industrialisierung Südtirols mit Schaffung neuer Arbeitsplätze für zuwandernde Italiener notwendig. Die Regierung in Rom handelte genau nach diesem Fahrplan.

Die Zahlen der amtlichen Volkszählungen geben hierzu Aufschluss:

1900 lebten in Südtirol 88,8 % Deutsche, 4 % Ladiner, 4 % Italiener. (Rest: Andere)

1921 lebten in Südtirol 75,9 % Deutsche, 3,9 % Ladiner, 10,6 % Italiener. (Rest: Andere)

(Zwischen 1921 und 1961 hatten keine Volkszählungen mit Sprachgruppenfeststellung stattgefunden, um das Ausmaß der forcierten Zuwanderung zu verschleiern.)

1961 lebten in Südtirol 62,2 % Deutsche, 3,4 % Ladiner, 34,3 % Italiener. (Rest: Andere)

(Aus: Autonome Provinz Bozen/Landesamt für Statistik – Astat (Hrsg.): „1991 Südtirol in Zahlen“, Bozen 1991, S. 10)

Bei linearem Fortlauf der Zuwanderung hätte der italienische Sprachgruppen-Anteil etwa 1970 bis 1971 die 50 %-Marke erreicht und überschritten.

Die „Feuernacht“ beendete diese Entwicklung. In der Folge sollte es sogar zu einer Trendumkehr und Abnahme des italienischen Bevölkerungsanteils kommen.

Die Umsetzung des Entnationalisierungs-Plans: Die Errichtung der Industriezone in Bozen

Die Zuwanderer benötigten natürlich  Arbeitsplätze. Diese wurden für sie vor allem in Bozen geschaffen.

„Volkswohnbau“ als Mittel der Majorisierung

Die Zuwanderer benötigten auch Wohnungen. Die meisten Zuwanderer wurden in Bozen angesiedelt, das ein zunehmend südländisches Erscheinungsbild annahm.

Laut einem Bericht in der Tageszeitung „Dolomiten“ vom 28. April 1954 erklärte der Südtiroler SVP-Politiker Dr. Alfons Benedikter: Das vom Faschismus im Jahre 1934 gegründete sogenannte Volkswohnhäuserinstitut besitze „in unserer Provinz derzeit 2.876 Wohnungen, wovon nur 60 (!) von Südtirolern bewohnt sind. … Vom Jahre 1949 bis November 1953 sind in der Provinz Bozen 633 Volkswohnungen (INA-Casa-Wohnungen) gebaut worden … Von diesen 633 Wohnungen sind nur 69 Südtirolern zugewiesen worden.“

Am 12. Juni 1958 teilte der italienische Bürgermeister der Stadt Bozen, Giorgio Pasquali, auf einer Pressekonferenz mit, dass ein neuer Bauleitplan vorsehe, die Einwohnerzahl der Stadt Bozen von derzeit 83.000 auf 150.000 Menschen in etwa 30 bis 35 Jahren zu erhöhen. Es sollte auch die Ausdehnung der Industriezone verdoppelt werden. (Siehe: Franz Widmann: „Es stand nicht gut um Südtirol“, Bozen 1998, S. 430)

Anstellung in öffentlichen Ämtern

In einem Memorandum der Österreichischen Bundesregierung aus dem Jahre 1956 wurde die Politik der Postenvergabe im öffentlichen Dienst aufgezeigt.

Dazu lieferte das Memorandum folgende Aufstellung:

Aus dem Memorandum der österreichischen Bundesregierung vom 8. Oktober 1956. (Veröffentlicht als Beilage 7 im „Memorandum der österreichischen Bundesregierung zur Südtirolfrage“ vom 5. September 1960, welches im Herbst 1960 der Vollversammlung der Vereinten Nationen überreicht wurde)

Die Verweigerung einer echten Autonomie

Anstelle einer im „Pariser Vertrag“ von 1946 zugesagten Autonomie für Südtirol wurde den Südtirolern im Jahre 1948 ein betrügerisches Autonomiestatut für eine gemeinsame Region „Trentino – Alto Adige“ aufgezwungen, in welcher die Südtiroler im Regionalrat einer italienischen Mehrheit ausgeliefert waren.

Wie zur Zeit des Faschismus: Die Ächtung der Tiroler Farben und Symbole

Gesetzwidriges Vorgehen der italienischen Behörden in den Jahren 1946 bis 1960 gegen Tiroler Fahnen und Symbole, deren öffentliches Zeigen als „aufrührerische Kundgebung“ eingestuft und gerichtlich verfolgt wurde. Darüber erschien eine Unzahl von Berichten in den „Dolomiten“.

Der römische Kulturkampf gegen die Südtiroler

Die deutsche Sprache nur „Hilfssprache“ im Verkehr mit Ämtern – Mangelnde Doppelsprachigkeit bei Gericht – Verbot einsprachig deutscher Aufschriften – Die sorgsame Bewahrung der erfundenen faschistischen Ortsnamen – Italianisierung der Kindergärten – Keine Zuständigkeit der Südtiroler für ihr eigenes Schulwesen – Missbrauch der Schule zum Zwecke der Italianisierung – Zensur von Theateraufführungen.

Über die faschistische und nachfaschistische Schulpolitik in Südtirol hat die Historikerin Margareth Lun eine fesselnd zu lesende Dokumentation erstellt. (Margareth Lun: „Die Schule in Südtirol vom Faschismus bis zum Kriegsende“, in: Margareth Lun (Hrsg.): „Die Deutschen brauchen keine Schulen“, Effekt-Verlag Neumarkt/Südtirol 2020)

Die Justiz als politische Waffe

Zahlreiche politische Prozesse in Südtirol unter Einsatz ehemaliger Faschisten als Staatsanwälte.

Die fortgesetzte Anwendung der politischen Paragraphen des alten faschistischen Strafrechts mit unglaublich hohen Strafrahmen: Zerstörung oder Herabdrückung des Nationalgefühls – Zerstörung des nationalen Empfindens – „Vilipendio“: Schmähung der italienischen Nation, Schmähung der Fahne oder anderer staatlicher Symbole – Anschlag auf die Einheit des Staates.

Darüber gibt es zahlreiche Berichte der „Dolomiten“ von 1946 bis 1961.

Unterdrückung und Übergriffe

Eine detaillierte Darstellung der auch nach 1945 andauernden Unterdrückung der Südtiroler würde den Rahmen der Darstellung sprengen.

Nachstehend nur einige wenige Beispiele aus einer Unzahl damaliger Berichte:

Bespitzelung der Bevölkerung und Verprügeln von Südtirolern durch Carabinieri

Am 28. Februar 1946 berichtete das SVP-Parteiorgan „Volksbote“ unter dem Titel „Ist es besser geworden?“ über solche Vorfälle.

Misshandlungen durch Carabinieri und Drohung der Einäscherung einer Ortschaft

Bericht in: „Dolomiten“ vom 4. Juni 1946. Bericht des Obmannes der SVP Tramin, Kurt Mair, vom 1. Juni 1946, sowie Bericht von Helene Menapace vom 1. Juni 1946, Tiroler Landesarchiv, Amt der Tiroler Landesregierung VIII K, Pos. 5-12, Südtirol, Jahr 1945 – 47, Karton Nr. 3.

1949 und 1957: Verbote eines Kongresses der europäischen Volksgruppen und Regionen

Artikel „Südtirol – Besser rot als deutsch“, in: „Der Spiegel“ vom 29. April 1953. „Dolomiten“ vom 15. November 1957

1956 und 1957: Verbote von SVP-Kundgebungen mithilfe eines faschistischen Sicherheitsgesetzes

„Dolomiten“ vom 20. September 1956 und vom 13. November 1957.

1957, 1959, 1960: Berichte über schwere Übergriffe der Carabinieri – Anwendung von Folter – Verprügeln von Bürgern

Günther Obwegs: „Freund, der du die Sonne noch schaust …“, Bozen 2004, S. 30. Bericht aus 1959: Tiroler Landesarchiv, Amt der Tiroler Landesregierung, Referat Südtirol, Jahr ca. 1957-1990, Karton Nr. 14. „Dolomiten“ vom 22. Februar 1960.

1957: Neofaschistische Übergriffe unter den Augen der Behörden

„Dolomiten“ vom 20. November 1957.

1958: Strafe für das Singen deutscher Lieder

Bericht des Bürgermeisters Saxl vom 25. Juni 1958. (Tiroler Landesarchiv, Amt der Tiroler Landesregierung, Referat Südtirol, Jahr ca. 1957-1990, Karton Nr. 14)

Februar 1961: Drohung mit Erschießen, Gewaltanwendung, Festnahme und Verhöre wegen des Singens deutscher Lieder

„Dolomiten“ vom 9. Februar 1961.

1961: Ein Vertreibungsgesetz droht

Am 27. April 1961 wurde ein von den Senatoren der „Democrazia Cristiana“ (DC) eingebrachter Antrag zur Novellierung des italienischen Staatsbürgerschaftsgesetzes im Senat mit einer großen Mehrheit angenommen. Dieser Gesetzesentwurf trug den Titel „Zur Ausbürgerung italienischer Staatsbürger, die sich der Republik gegenüber untreu verhalten“.

Dieses Gesetz sollte den Entzug der Staatsbürgerschaft von ehemaligen Südtiroler Optanten auf dem Verwaltungsweg ermöglichen. Das betraf die überwiegende Mehrheit der erwachsenen Bevölkerung deutscher und ladinischer Sprache.

Es fehlte nur noch die Bestätigung durch die Abgeordnetenkammer.

Die „Feuernacht“ hat im Juni 1961 dieses schändliche Projekt auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen.

Rom hatte bis dahin die Unterdrückung immer weiter gesteigert und die langjährige Geduld der Südtiroler mit einer Bereitschaft zur Selbstaufgabe verwechselt gehabt. Das Volk, welches bereits 1809 seine Wesensart aller Welt gezeigt hatte, war aber auch 1961 trotz aller Verzweiflung nicht zur Selbstaufgabe bereit gewesen – wie die „Feuernacht“ zeigen sollte. 

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