Die Ortsnamengebung (Toponomastik) in Süd-Tirol harrt immer noch einer Lösung. Seit 10 Jahren ist Arno Kompatscher Landeshauptmann und hat in dieser Zeit, anders als die Süd-Tiroler Freiheit, nicht ein Mal dieses Thema aufgegriffen und somit nichts zur Lösung beigetragen. Umso mehr sieht sich die Süd-Tiroler Freiheit motiviert, gleich zu Beginn der kommenden Legislaturperiode erneut einen Vorschlag zur Lösung des Toponomastik-Problems im Landtag einzureichen. Diesen hat sie heute auf einer Pressekonferenz vorgestellt. Er beinhaltet einen völlig neuen Ansatz. Für eine amtlich mehrsprachige Toponomastik müssen demnach zwei Grundvoraussetzungen erfüllt sein: 1. Die Feststellung der Mehrsprachigkeit der betreffenden Gemeinde. 2. Die Feststellung der historischen Fundiertheit und folglich Authentizität der Ortsnamen.
Tirol war immer mehrsprachig, auch gab es mehrsprachige Ortsnamen.
Es ist eine historische Tatsache, dass das Gebiet des heutigen Süd-Tirols immer schon ein mehrsprachiges Land war. Allerdings galt die Mehrsprachigkeit – so wie auch im übrigen Tirol – nur punktuell und nicht flächendeckend. Jener Teil Tirols, der heute Süd-Tirol genannt wird, ist seit Jahrhunderten mehrheitlich deutsch besiedelt, an zweiter Stelle folgten die Ladiner. Der Anteil der italienischen Bevölkerung lag vor der Zeit des Faschismus bei unter drei Prozent.
All jene deutschen und ladinischen Ortsnamen sowie eine Reihe von italienischen Namen, die in Süd-Tirol schon vor dem Aufkommen des Faschismus existierten und auf natürliche Weise meist im Laufe von Jahrhunderten tradiert wurden, sind als historisch fundiert und authentisch zu definieren. Die übrigen italienischen Namen sind dagegen nur zum Schein italienisch. Sie wurden aus nationalistischen Überlegungen heraus von Ettore Tolomei geschaffen, um für ganz Süd-Tirol eine flächendeckende Italianität bzw. Mehrsprachigkeit vorzutäuschen, die es nie gab und bis heute nicht gibt.
Die historisch fundierte und somit authentische Toponomastik im heutigen Süd-Tirol lässt sich folgenden Sprachen zuordnen:
- Den größten Anteil haben die deutschen Namen.
- Den zweitgrößten Anteil haben die ladinischen Namen.
- Den drittgrößten Anteil bilden die italienischen Namen, das sind insgesamt ca. 200, darunter 55 Gemeindenamen. Diese finden sich:
1. Im Umkreis jener Gebiete, in denen bereits vor der Annexion Süd-Tirols durch Italien die Italiener einen beträchtlichen Anteil hatten.
2. An der Grenze zum italienischen Sprachraum (umgekehrt finden sich auch deutsche Namen im italienischen Sprachgebiet an der Grenze zum deutschen Sprachraum).
3. Für größere Orte und Fluren, deren Namen im italienischen Sprachraum seit je einen hohen Verkehrswert hatten.
Süd-Tirols Mehrsprachigkeit in der Gegenwart.
Wie sieht die Verteilung der Sprachgruppen in Süd-Tirol in der Gegenwart aus?
Laut Volkszählung von 2011 (aktuellere Daten sind noch nicht verfügbar!) erklärten sich 69,41 Prozent der deutschen, 26,06 Prozent der italienischen und 4,53 Prozent der ladinischen Sprachgruppe zugehörig. In tabellarischer Darstellung:
Sprachgruppen in Süd-Tirol laut Volkszählung 2011 | ||
deutsch | italienisch | ladinisch |
69,41 Prozent | 26,06 Prozent | 4,53 Prozent |
Und wie sieht die Verteilung der Sprachgruppen in den einzelnen der insgesamt 116 Gemeinden aus?
- In 103 Gemeinden bildet die deutsche Sprachgruppe die Mehrheit, in 8 Gemeinden die ladinische und in 5 Gemeinden die italienische.
- Von den 103 Gemeinden mit deutscher Mehrheit liegt der Italieneranteil in 10 Gemeinden zwischen 20 und 50 Prozent, in 5 Gemeinden zwischen 15 und 20 Prozent, in 8 Gemeinden zwischen 10 und 15 Prozent sowie in 79 Gemeinden bei unter 10 Prozent. In einer der 103 Gemeinden mit deutscher Mehrheit liegt der Ladineranteil bei über 15 Prozent.
- In allen 8 Gemeinden mit ladinischer Mehrheit liegt der Anteil der beiden anderen Sprachgruppen ebenfalls bei unter 10 Prozent.
- In allen 5 Gemeinden mit italienischer Mehrheit liegt der Anteil der deutschen Sprachgruppe bei über 25 Prozent.
Ein genauer Blick auf die Verteilung der Sprachgruppen auf Gemeindeebene macht auch für die Gegenwart deutlich: Süd-Tirol ist nicht flächendeckend ein mehrsprachiges Land, sondern de facto punktuell. Dementsprechend lassen sich hinsichtlich der Sprachgruppenverteilung die Gemeinden wie folgt definieren:
- Einsprachig deutsche Gemeinden
- Einsprachig ladinische Gemeinden
- Mehrsprachige Gemeinden mit deutscher Mehrheit
- Mehrsprachige Gemeinden mit italienischer Mehrheit
Ab wann spricht man international von Mehrsprachigkeit?
Für die Definition einer Gemeinde als „mehrsprachig“ gibt es international keine festgelegte Prozentzahl. Beispielsweise für die finnisch-schwedischen Gemeinden in Finnland liegt sie bei niedrigen acht Prozent, für Minderheiten in Polen und Rumänien bei 20 Prozent, für die slowenische Minderheit in Kärnten einst bei 25 Prozent und seit 2011 bei 17,5 Prozent. Bemerkenswert ist die Regelung in Graubünden: Gemeinden, in denen mindestens 40 Prozent der Einwohner – also sogar eine Minderheit! – das angestammte Idiom sprechen, gelten als amtlich einsprachig, und Gemeinden, in denen wenigstens 20 Prozent das angestammte Idiom sprechen, als amtlich zweisprachig.
Vorschlag 1 der Süd-Tiroler Freiheit: Festlegen, welche Gemeinden in Süd-Tirol einsprachig und welche mehrsprachig sind.
Im Vergleich mit den internationalen Praktiken und unter Berücksichtigung der realen Situation sowie der Bevölkerungsgeschichte schlägt die Süd-Tiroler Freiheit folgenden Prozentsatz vor: Süd-Tiroler Gemeinden mit einer anderssprachigen Minderheit von unter 15 Prozent werden als einsprachig definiert, Süd-Tiroler Gemeinden mit einer anderssprachigen Minderheit von über 15 Prozent werden als mehrsprachig definiert. Dies bedeutet konkret: Auf der Grundlage der Volkszählung von 2011 gäbe es in Süd-Tirol 87 deutsche Gemeinden, 8 ladinische, 15 deutsch-italienische, 5 italienisch-deutsche und eine deutsch-ladinische Gemeinde. Bei den mehrsprachigen Gemeinden handelt es somit genau genommen ausnahmslos um zweisprachige. In tabellarischer Darstellung:
Einsprachige Gemeinden: 95 | Zweisprachige Gemeinden: 21 | |||
deutsch | ladinisch | deutsch-italienisch | deutsch-ladinisch | italienisch-deutsch |
87 | 8 | 15 | 1 | 5 |
Vorschlag 2 der Süd-Tiroler Freiheit: Festlegen, welche Ortsnamen amtlich einsprachig und welche amtlich mehrsprachig verwendet werden.
Nachdem die Gemeinden hinsichtlich der Sprachgruppenverteilung klassifiziert sind, wird die Ortsnamenfrage angegangen. Der amtliche Gebrauch eines Ortsnamens setzt dessen historische Fundiertheit und Authentizität voraus. In Bezug auf die Gemeindenamen auf den Ortstafeln bedeutet dies Folgendes:
1. Einsprachige Gemeinden führen auf der Ortstafel grundsätzlich den Gemeindenamen in ihrer Sprache an, d.h. deutsch bzw. ladinisch. Auf Wunsch der Gemeinde kann auch der Name in der zweiten bzw. dritten Sprache in kleinerer Schriftgröße auf der Ortstafel hinzugefügt werden. Beispiele:
2. Zweisprachige Gemeinden beschriften die Ortstafel in beiden Sprachen, wobei die Sprache der Mehrheit Vorrang hat. Auf Wunsch der Gemeinde kann der Name in der dritten Sprache hinzugefügt werden. Beispiele:
Wissenschaftlich fundierter Ansatz und pragmatische Lösung.
Für alle 21 Gemeinden, die als mehrsprachig (= zweisprachig) definiert werden, sind entsprechende Namen historisch zweisprachig (mitunter auch dreisprachig) belegt. Konkret bedeutet dies, dass für all jene Gemeinden, in denen ein prozentuell relevanter Anteil von Italienern lebt, d.h. in Höhe von über 15 Prozent, durchwegs ein italienischer Gemeindename amtlich verwendet würde. In zwei Fällen weicht der heutige amtliche so genannte „italienische“ Name von der jeweils historischen Form ab: „Vipiteno“ für Sterzing und „Terlano“ für Terlan stellen ein tolomeisches (Re-)konstrukt dar. Für das Italienische tatsächlich historisch bezeugt sind hingegen „Sterzen“ und „Terla“. Den betreffenden Gemeinden sollte es frei stehen, ob sie historische italienische Namen (davon gibt es mehrere), die unter dem Faschismus durch artifizielle Namen ersetzt wurden, amtlich festlegen möchten oder nicht. Jene Namen, die nur zum Schein italienisch sind, sollten amtlich ausnahmslos keine Verwendung finden. Sie erfüllen nämlich bis heute einen manipulativen Zweck, weil sie die Siedlungs- und Sprachgeschichte Süd-Tirols in ein falsches Licht rücken und zudem den Eindruck erwecken, dass Süd-Tirol immer schon flächendeckend ein mehrsprachiges Land gewesen sei.
Mehrsprachige Namen dort, wo effektiv von einer mehrsprachigen Bevölkerung die Rede ist und wo die Namen ein historisches Fundament haben, hingegen einsprachige Namen in einsprachigen Gemeinden – dies erscheint der Süd-Tiroler Freiheit als pragmatische Lösung. Das größte Kulturverbrechen des Faschismus würde damit beseitigt und die Basis für ein friedliches Zusammenleben der Sprachgruppen auf Augenhöhe würde geschaffen.