Der Südtiroler Heimatbund erinnert an einen außerordentlich mutigen Südtirolers, der am 4. Oktober 1944 vor 79 Jahren aus Gewissensgründen den Eid auf Hitler verweigert hat. Der am 27. Dezember 1910 auf dem Nusserhof in Bozen geborene Josef Mayr-Nusser war ein tief religiös geprägter Mensch und setzte damit persönlich ein klares Zeichen gegen Tyrannei und Führerkult.
Mit 24 Jahren wurde er erster Diözesanführer der Katholischen Jugend des deutschen Anteils der Diözese Trient. Der Leiter der Jugendarbeit der Katholischen Aktion war damals der katholische Priester Josef Ferrari, der vor allem nach 1945 sein Leben nicht nur in den Dienst der Bewahrung des Glaubens, sondern auch des Volkstums und der Wiederaufrichtung des deutschen Schulwesens in Südtirol stellen sollte.
Der geistig von seinem Vorbild Ferrari geprägte junge Mayr-Nusser folgte bei der Option von 1939 dem Vorbild von Josef Ferrari und Kanonikus Michael Gamper und optierte nicht für die Auswanderung, sondern betätigte sich im „Andreas Hofer Bund“ gegen die Umsiedlungspropaganda.
Im Jahre 1942 heiratete er Hildegard Straub, die ihm den Sohn Albert schenkte. Am 5. September 1944 wurde Mayr-Nusser zum Wehrdienst einberufen und kam zusammen mit etwa 80 weiteren Südtirolern nach Konitz bei Danzig. Dort erfuhren er und seine Kameraden, dass sie zu einer Einheit der Waffen-SS kommen sollten.
Für Mayr-Nusser war diese Situation offenbar mit innerer Not verbunden. Er wäre bereit gewesen, den Wehrmachtseid zu leisten. Er war aber nicht bereit, den SS-Eid zu leisten, in welchem Adolf Hitler persönlich (und
nicht nur als oberstem Militärbefehlshaber) die Treue geschworen werden musste. In dem Eid hieß es nämlich: „Ich schwöre Dir, Adolf Hitler, als Führer des Reiches, Treue und Tapferkeit. Ich gelobe Dir … Gehorsam bis in den Tod, so wahr mir Gott helfe.“
Mayr-Nusser erklärte nun, er könne die Ableistung dieses Eides – im Gegensatz zu dem Wehrmachtseid – nicht mit seinem Gewissen vereinbaren. (Margareth Lun: „NS-Herrschaft in Südtirol)“
Vergeblich versuchten ihn die Vorgesetzten davon abzubringen. Mayr-Nusser beharrte auf seiner Weigerung und begründete sie auch schriftlich. Damit legte er sich frontal mit der Macht des Regimes an.
Er wurde nun von der Geheimen Staatspolizei wegen „Wehrkraftzersetzung“ interniert und es wurde seine Überweisung in das Konzentrationslager Dachau verfügt.
Auf dem von Fliegerangriffen und Stillständen unterbrochenen Transport nach Dachau verstarb Mayr-Nusser an Erschöpfung, Hunger und Schwäche. Als der Zug am 24. Februar 1945 in Erlangen ankam, war er tot. Er wurde zunächst in Erlangen bestattet, im Jahre 1958 wurden seine sterblichen Überreste nach Bozen überführt, wo der sterbenskranke Josef Ferrari zunächst die Gebeine Mayr-Nussers in einem kleinen Sarg zutiefst erschüttert übernahm und eine Nacht bei sich behielt. Dann wurden die sterblichen Überreste in der Propsteikirche aufgebahrt und später in Lichtenstern am Ritten beerdigt. Seit seiner Seligsprechung ruhen seine sterblichen Überreste in der Pfarrkirche von Bozen.
Mayr-Nussers Handlungsweise wird bis heute teilweise kontrovers diskutiert, manche meinen, er hätte mit Rücksicht auf seine Frau und sein Kind nicht derart bedingungslos handeln sollen.
Doch wer vermag sich nachträglich wirklich in seine Gefühlswelt und in seine damalige Gewissensnot versetzen? Seine moralische und religiöse Integrität und auch sein Bekennermut stehen außer Zweifel. Seine persönliche Wahl zwischen einer grundlegenden Überzeugung und der Rücksichtnahme auf seine Lieben muss nicht von jedem geteilt werden. Sie ist aber als mit größter Tragik verbundene Gewissensentscheidung mit tiefem Respekt zur Kenntnis zu nehmen.
Bis heute erinnert uns sein Schicksal daran, in welch schreckliche Situation Faschismus und Nationalsozialismus die Südtiroler gebracht hatten, als sie das Volk einschließlich seines Klerus in verfeindete Lager von „Bleibern“ und „Optanten“ zerrissen und die Landeskinder in imperialistische Kriege von Äthiopien bis Russland geschickt hatten, in Kriege, welche kein Südtiroler gewollt hatte.
Im Gedenken an Mayr-Nusser sollten wir alle die Überzeugung an die Jugend weitergeben, dass äußere Freiheit mit Gewissensfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie eine untrennbare Einheit bilden.
Zu Mayr-Nussers 100. Geburtstag werden auch Leute zu seinem Gedächtnis leichtfertig ihre Stimme erheben, die in der täglichen Praxis das dauernde Einknicken gegenüber unrechtmäßigen Anmaßungen der Staatsmacht predigen. Es bedarf aber nicht der opportunistischen Lippenbekenntnisse bei wohlfeilen Sonntagsreden, sondern des praktizierten aufrechten Ganges. Das ist mit unendlich viel weniger Opfermut möglich, als Mayr-Nusser ihn gezeigt hat. Wer diese vergleichsweise bescheidene Zivilcourage heute vermissen lässt, sollte es sich nicht anmaßen, über Mayr-Nusser und sein Opfer zu sprechen und sich womöglich noch politisch auf ihn zu berufen.
Roland Lang
Obmann des Südtiroler Heimatbundes